DLA Viewer Logo Full screen
  • First image
  • Previous image
  • Next image
  • Last image
  • Show double pages
Use the mouse to select the image area you want to share.
Please select which information should be copied to the clipboard by clicking on the link:
  • Link to the viewer page with highlighted frame
  • Link to IIIF image fragment

H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Access restriction


Copyright

The copyright and related rights status of this record has not been evaluated or is not clear. Please refer to the organization that has made the Item available for more information.

Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043387
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1931
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Das Kennzeichen des philosophischen Hundes ist, daß er 
rastlos nach dem Unerftagbaren fragt. Die Antwort der Mit- 
hunde ist: Schweigen. Dieses hartnäckige Schweigen über die 
„entscheidenden Dinge", das sich stets von neuem wie ein 
Wall vor ihm aufrichtet, gehört zu den bitteren Grunderfah 
rungen, die das kleine Häufchen der echten Frager von jeher 
herauszuschlüpfen! Den Türen fehlt der Schlüssel, und Löcher, 
die etwa entstehen, werden gleich wieder vermauert. „Leopar 
den brechen in den Tempel ein und saufen die Opferkrüge leer; 
das wiederholt sich immer wieder; schließlich kann man es 
vorausberechnen, und es wird ein Teil der Zeremonie." 
Der philosophische Hund bekennt einmal, daß er vor 
einem Gelehrten auch in der leichtesten wissenschaftlichen 
Prüfung sehr schlecht bestehen würde. Nicht aus Schwäche des 
Denkvermögens, sondern aus einem Instinkt, Hessen Richtung 
wie folgt bestimmt wird: „Es war der Instinkt, der mich 
vielleicht gerade um der Wissenschaft willen, aber einer 
anderen Wissenschaft, als sie . heute geübt wird, einer aller 
letzten Wissenschaft, die Freiheit höher schätzen ließ als alles 
andere." Diese Erklärung erweitert die früheren, besagt sie 
doch, daß es eine allerletzte Wissenschaft gibt, die möglicher 
weise in Freiheit zu erwerben sei. Also ist unsere Welt ein 
Ort der Unfreiheit, und wir schuften an einem Gebäude, das 
uns den Ausblick verbaut. Es ließe sich denken, daß Kafka bei 
der Beschreibung der Maulwurfshöhle jene menschlichen 
Organisationen vorgeschwebt hätten, deren Triumphe Schützen 
gräben, Drahtverhaue und weitverzweigte Finänzprojekte sind. 
Sein Bewußtsein, sich in der Gefangenschaft zu befinden, wird 
durch Ahnungen vom Zustand der Freiheit vertieft, in dem 
die Lehren der allerletzten Wissenschaft hervortreten können. 
Beinahe das Gegenteil eines Fortschrittgläubigen, verlegt er 
ihn oder doch die Möglichkeit, seiner teilhaftig zu werden, 
irr die Vergangenheit. Frühere Generationen, bemerkt der 
Erzähler in den „Forschungen eines Hundes", waren jünger, 
„ihr Gedächtnis war noch nicht so überlastet wie das heutige, 
es war noch leichter, sie zum Sprechen zu bringen, und wenn 
es auch niemand gelungen ist, die Möglichkeit war größer 
"^das wahre Wort hatte damals noch eingreifen, den Bau 
bestimmen, umstämM jedem Wunsche ändern, in sein 
Gegenteil verkehren können, und jenes Wort war da, war 
zumindest nahe, schwebte auf der Zungenspitze, jeder konnte 
es erfahren..." Am die eine Erkenntnis: daß wir vom 
wahren Wort abgesperrt sind, das auch er nicht vernimmt, 
kreist das ganze Werk Kafkas, und sie erst begründet auch 
zureichend das Gleichnis vom finstern Bau. Woher rührt es, 
daß seine damals dünneren Wände so undurchlässig geworden 
sind? Die Antwort beweist, daß Kafkas Rückschau unromantisch 
gemeint ist. „Nein, was ich auch gegen meine Zeit einzuwenden 
habe," versichert der forschende Hund, „die früheren Gene 
rationen waren nicht besser als die neueren, ja in gewissem 
Sinn waren sie viel, schlechter und schwächer." Die Haltung, 
die sich in dieser Aeußerung kundgibt, entkleidet die an 
schließende Legende vom Fehltritt der Ahnen des Scheins 
'dex Sehnsucht nach dem Gewesenen. „Als unsere Urväter 
-H irrten, dachten Sie wohl kaum an ein endloses Irren, sie 
sähen ja förmlich noch den Kreuzweg, es war leicht, wann 
immer zurückzukehren, und wenn sie zurückzukehren zögerten, 
so nur deshalb, weil sie noch eine kurze Zeit sich des Hunde 
lebens freuen wollten..." Der hier erhobene Vorwurf der 
Lässigkeit —- sie gilt Kafka als eine Hauptsünde — wird auch 
in der kleinen Geschichte „Das Stadtwappen" den Erbauern 
des Babelturms gemacht, die im Vertrauen auf die Fort 
schritte der Nachkommen sich nicht bis an die Grenze der 
Kräfte bemüht hätten. Immerhin — das ist wichtig genug —° 
belastet Kafka mehr als den Hinweis auf das Vorhandensein 
einer alten Versäumnis die Erinnerung an den Verlust des 
währen Worts. Sie ist ein Leitmotiv, das immer wiederkehrt: 
so in der Legende vom sterbenden Kaiser, der dir, gerade dir 
eine Botschaft gesendet hat, die dich niemals erreicht; im 
Traktat „Zur Frage der Gesetze", in dem es von den Gesetzen 
Heißt, daß sie ihrem Charakter nach ein Geheimnis bleiben 
müßten; iw Bild von der monumentalen Gruppe, deren Teil 
er> Kafka, früher einmal war. Indem der Dichter das Ver 
lorene heraufbeschwört, rückt er es zugleich in eine unwirkliche 
Ferne, wie um darzutun, daß kaum noch der Traum von ihm 
einen Zufluchtsort hat. Der Bote des Kaisers bemüht sich 
umsonst, auch nur die innersten Palastgemächer zu verlassen, 
und das Volk weiß nicht, ob die geheimgehaltenen Gesetze, die 
es zu erraten sucht, überhaupt bestehen. Und in der merk 
würdigen Niederschrift „Der Schlag ans Fwftor" ist zwar 
die Wirkung des Schlags, der wahrscheinlich gar nicht getan 
wurde, daß sich , das Hoftor weit öffnet, aber nichts entfährt 
ihm, es sei denn ein Reitertrupp, der nur hineingesprengt 
ist, um sofort wieder zu wenden. 
Unter dem Titel „Beim Bau der chinesischen 
Mauer" ist ein Band Prosa erschienen, der ungedruckte Ar 
beiten aus dem Nachlaß von Franz Kafka vereint. 
(Gustav Kiepenheuer, Berlin. 266 Seiten.) Max Brod, der 
Freund des Toten und Hüter seines Erbes, hat in Gemein 
schaft mit Hans Joachim Schoeps dieses Werk zusammsn- 
gestellt. Dem Nachwort der beiden Herausgeber, dessen Deu 
tungsversuche nicht durchaus zulänglich sind, ist Zu entnehmen, 
daß sämtliche vorgelegten Erzählungsfragmente und Aphoris 
men aus der Spätzeit des 1924 verstorbenen Dichters stammen. 
Sie sind in den Jahren des Kriegs, der Revolution und der 
Inflation niedergeschrieben. Obwohl sich kein einziges Wort im 
ganzen Band unmittelbar auf diese Ereignisse bezieht, ge 
hören sie doch zu seinen Voraussetzungen. Vielleicht hat erst 
ihr Einbruch Kafka dazu befähigt, die Verwirrung in der 
Welt zu ermessen und auszukonstruieren. „Es kann ein Wissen 
vom Teuflischen geben", lautet ein Aphorismus, „aber keinen 
Glauben daran, denn mehr Teuflisches, als da ist, gibt es 
nicht." . 
* 
Ost kehrt das Bild des Baues in den Schriften wieder, 
und Zwar ist seine Hauptabsicht, das Trachten der abgelenkten 
und verwirrten Menschen zu bezeichnen. „Sehe ich die -Funda 
mente unseres Lebens," erwägt in „Forschungen eines Hun 
des" der Erzähler, ein philosophisch außerordentlich begabtes 
Tier, mit dem sich Kafka auf lange Strecken hin identifiziert, 
„ahne ihre Tiefe, sehe die Arbeiter beim Bau, bei ihrem 
finsteren Werk und erwarte noch immer, daß auf meine Fragen 
hin alles dies beendigt, zerstört, verlassen wird?" In der Tat, 
finster ist der Bau, den eine Generation nach der anderen er ¬ 
richtet. Finster aber darum, weil er eine Sicherheit gewähr 
leisten soll, die für Menschen nicht zu erlangen ist. Je syste- - 
matischer sie ihn anlegen, desto weniger können sie in ihm 
atmen, je lückenloser sie ihn aufzuführen streben, desto unver 
meidlicher wird er zum Kerker. Einem Alpdruck gleich wächst 
er in der Geschichte „Der Bau" empor. In ihr berichtet ein 
unbenanntes Tier, das ein Maulwurf oder ein Hamster sein 
mag, von dem Höhlenbau, den es aus Angst vor dem Einfall 
aller erdenklichen Gewalten geschaffen hat. Da diese Angst 
auch jene Unsicherheiten ausschalten will, die mit dem krea- 
türlichen Dasein selber gegeben sind, ist der Bau ein Werk der 
Verblendung. Nicht umsonst entfalten sich seine labyrinthischen 
Gänge und Plätze in unterirdischer Nacht. Bei ihrer Dar 
stellung, deren Klarheit die des Wachtraums ist, legt Kafka 
ein besonderes Gewicht darauf, die Wechselbeziehuna zwischen 
der hoffnungslosen Angst und den ausgeklügelten Feinheiten 
des baulichen Systems nachzuweisen. Wie dieses das Produkt 
der Sorge ist, die sich um verwerfliche Selbstbehauptung müht, 
so erzeugt es seinerseits wiederum Sorge — eine stets bedroh 
lichere Verstrickung, die allmählich die Handlungsfreiheit des 
Tieres tilgt. Unter Tausenden von Vorsichtsmaßregeln wagt 
es sich aus der Höhle heraus, und die Rückkehr von der all 
täglichen Promenade verwandelt sich ihm in ein ungewöhn 
liches Unternehmen. Zuletzt enthüllt sich überdies die Vergeb- 
lichkeit des Baues; denn so guter gegen das Kleinzeug schützt, 
das die Erde durchwühlt, dem wirklichen Feind kann er nicht 
widerstehen, ja er zieht ihn vielleicht erst herbei.- Die Maß 
nahmen der Existenzangst gefährden die Existenz. 
Als einen Bau, der allerdings nicht eigentlich der Angst, 
sondern eher der Verwirrung entspringt, begreift Kafka un ¬ 
streitig auch die Wissenschaft; insofern wenigstens, als sie be 
stimmte Grenzen überschreitet. Im Prosastück „Der Riesen 
maulwurf" konfrontiert er ihr dunkles unabsehbares Gesamt- 
gebäude mit der gleichgültigen Entdeckung eines Dorfschul- 
lehrers. Birgt diese unter allen Umständen einen Gehalt, weil 
und solange sie unzertrennlich mit ihrem Entdecker verknüpft 
ist, so läßt jenes, das sich schwindelnd hochtürmt, die Menschen 
im Stich. „Jede Entdeckung", heißt es in der Maulwurf-Er 
zählung, „wird gleich in die Gesamtheit der Wissenschaften ge 
leitet und hört damit gewissermaßen auf, Entdeckung zu sein, 
sie geht im ganzen auf und verschwindet, man muß schon 
einen wissenschaftlich geschulten Blick haben, um sie dann noch 
zu erkennen. Sie wird gleich an Leitsätze geknüpft, von deren 
Dasein wir noch gar nicht gehört haben, und im wissenschaft 
lichen Streit wird sie an diesen Leitsätzen bis in die Wolken 
hinaufgerissM Wie wollen wir das begreifen?" Und ähnlich 
wird in den „Forschungen des Hundes" von der Wissen 
schaft der Ernährung gesagt, daß sie „in ihren ungeheueren 
Ausmaßen nicht nur über die Fassungskraft des einzelnen, 
sondern über jene aller Gelehrten insgesamt geht . . Wie 
die tierische Angst im selbstgeschaffenen Labyrinth verendet, so 
verliert sich der Geist in den Ausschweifungen der Wissenschaft. 
Die Arbeiter beim Bau: Kafka erblickt sie überall. Sie 
hämmern und klopfen, und ihr Mauerwerk ist so dicht, daß 
Von S. Krakauer.
	        

Hinweis zur Vollständigkeit

Die Blätter 89 und 90 fehlen im Original.

Hinweis zum Volltext

Die OCR-Ergebnisse sind experimentell.

Cite and reuse

Cite and reuse

Here you will find download options and citation links to the record and current image.

Manuscript

METS MARC XML Dublin Core RIS Mirador ALTO TEI Full text DFG-Viewer OPAC
TOC

Image

PDF ALTO TEI Full text Mirador
Download

Image fragment

Link to the viewer page with highlighted frame Link to IIIF image fragment

Citation links

Citation links

Manuscript

To quote this record the following variants are available:
Here you can copy a Goobi viewer own URL:

Image

To quote this image the following variants are available:
Here you can copy a Goobi viewer own URL:

Citation recommendation

Please check the citation before using it.

Image manipulation tools

Tools not available

Share image region

Use the mouse to select the image area you want to share.
Please select which information should be copied to the clipboard by clicking on the link:
  • Link to the viewer page with highlighted frame
  • Link to IIIF image fragment

Contact

Have you found an error? Do you have any suggestions for making our service even better or any other questions about this page? Please write to us and we'll make sure we get back to you.

How many letters is "Goobi"?:

I hereby confirm the use of my personal data within the context of the enquiry made.