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H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043388
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1932
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Der KeLWer im Mrietö 
wäre. 
8. Lraeauer. 
stand einigen Leuten im Saal mit, was ihnen an einem be 
stimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt widerfahren 
ist. Hinzuzufügen wäre noch, daß seinen Auskünften lächerlich 
winzige Angaben zugrunde liegen. Die betreffenden Leute haben 
ihm Nämlich in der vorangegangenen Pause einen Zettel in die 
Hand gedrückt, der außer ihrem Namen nichts weiter als die zur 
Lokalisierung des jeweiligen Ereignisses nötigen Daten enthielt. 
Und trotz dieser minimalen Anhaltpunkte klärt der hinter 
seiner Binde hellsehende Herr Hanussen die Fragesteller vollstän 
dig über ihre Vergangenheit auf. Sie bestätigen durchweg die 
Richtigkeit der ihnen gemachten Eröffnungen und scheinen so 
erstaunt wie glücklich zu sein, daß sie auf eine derart rätselhafte 
Weise nochmals erfahren, was sie schon wußten. (Daß sie auch 
über die Zukunft jeden wünschenswerten Aufschluß erhalten 
können, beweist ein Blick in Hanussens Wochenschau, in der 
er der Öffentlichkeit und zahlreichen Privatkunden schlankweg 
die kommenden Dinge enthüllt.) 
Wie immer es mit den Gaben dieses Hellsehers bestellt sei, der 
Drang des Publikums, sie zu nutznießen, ist nicht zu bestreiten. 
Ich habe noch selten ein so gespanntes Publikum gesehen. Es 
steht in langer Reihe vor der Kabüse, in der die Zettel abzuliefern 
sind, es blickt so starr aus die kleine schwarze Binde, als sei sie 
das verschlossene Tor des Paradieses, es lauscht hörbar, wahrend 
sich Hanussen unhörbar konzentriert, und beginnt nach dem Ein 
treffen der Antworten wollüstig zu rumoren. Eine schwüle Er 
regung, die unwiderleglich anzeigt, wie sehr durch die Krise die 
Erwartung des Wunders gesteigert worden ist. Als ob sich die 
Krise durch ein Wunder überwinden lasse! Aber seiner im Halb 
dunkel zu harren, dünkt vielen bequemer als die planmäßige 
Verbesserung der Zustände, die das einzige rechtmäßige Wunder 
Berlin, im Mai. 
Kürzlich verbrachte ich einen Tag in München, von dem ich 
hier erzählen will. Ich wurde an diesem Tage in eine Ver 
gangenheit versetzt, die ich längst abgeschieden glaubte; oder viel 
mehr: die Vergangenheit nahm mich buchstäblich zu sich zurück. 
Zum näheren Verständnis muß ich vorausschicken, daß ich als 
Student vor dem Kriege mehrere Fahre in München gelebt und 
später die Stadt immer nur auf der Durchreise berührt habe. 
Von Berlin aus war ich noch nie dorthin gereist. 
Die Tatsache zu erwähnen, daß ich diesmal direkt von Berlin 
nach München fuhr, halte ich für ungemein wichtig. Berlin ist 
der Ort, an dem man schnell vergißt, ja es scheint, als verfüge 
diese Stadt über das Zaubermittel, alle Erinnerungen zu tilgen. 
Sie ist Gegenwart und setzt überdies ihren Ehrgeiz darein, ganz 
Gegenwart Zu sein. Wer sich längere Zeit in Berlin aufhält, 
weiß am Ende kaum noch, woher er eigentlich kam. Sein Dasein 
gleicht nicht einer Linie, sondern einer Reihe von Punkten; es 
ist jeden Tag neu wie die Zeitungen, die fortgeworfen werden, 
wenn sie alt geworden sind. Ich kenne keine andere Stadt, die 
das Gewesene so schleunigst abzuschütteln vermöchte. Auch sonstwo 
verändern sich zweifellos Platzbilder, Firmennamen, Geschäfte; 
aber nur in Berlin entreißen die Veränderungen das Vergangene 
radikal dem Gedächtnis. Viele empfinden gerade dieses Leben 
von Schlagzeile zu Schlagzeile als Reiz; teils weil sie davon 
profitieren, daß ihre frühere Existenz in der Versenkung ver 
schwindet, teils weil sie doppelt zu leben glauben, wenn sie rein 
in der Gegenwart leben. Daß ihnen durch das Aufgehen in 
aktuellen Momenten das Leben selber niemals gegenwärtig wird, 
ist allerdings unumstößlich gewiß... 
Mitten aus der Aktualität heraus wurde ich also nach München 
zurückgerissen. Und gleich beim ersten Schlendern am Sonntag 
morgen begann schon die Stadt ihre Gewalt auf mich auszuüben. 
Durch tausend .Mittel brächte sie meine Verwandlung zuwege. 
Da war der Geruch, jener einheimische Geruch, der von Malz, 
Benzin, Tandlerkram und wer weiß welchen'Bestandteilen her- 
rührt; da war der Himmel, der sich freundlicher als in Berlin 
zu den Häusern und Straßen herabläßt; da war der warme 
Widerschein einer beinahe italienischen Sonne. Je länger der 
Tag . dauerte, desto tiefer tauchte ich in verschollenen Zeiträumen 
unter, deren Existenz mir seit vielen Jahren nicht mehr bewußt 
Berlin, Lm Mai. 
In der Scala, deren Programm unter anderem auch die 
glänzende equilibristische Nummer des Trios Willy Schenk L 
Co. enthält, zeigt jetzt der Hellscher Erik Jan Hanussen 
allabendlich seine Kunst. Er hat vor dem Avus-Rennen dem 
Fürsten Lobkowiez geraten, vorsichtig Zu fahren, und tatsächlich 
ist Fürst Lobkowiez beim Rennen tödlich verunglückt. Die 
übrigen aufs Rennen bezüglichen Voraussagen sollen allerdings 
sämtlich unrichtig gewesen sein. Sehr zuverlässig ist die Wirklich 
keit einstweilen noch nicht. 
Ehe Hanussen gleichsam im Merheiligsten das Hellsehen zele- 
. Wert, treibt er sich erst eine Zeitlang in den Vorhäfen herum. Er 
verunstaltet ein Paar telepathische Experimente, wie man sie früher 
schon häufig sah, plaudert über Graphologie usw. Ohne daß ich 
die'magischen Kräfte anzuzweifeln wagte, über die er auf Schritt 
und Tritt gebietet, muß ich gestehen, daß mir seine profane Fähig 
keit, das Publikum in Stimmung zu bringen, nicht minder 
Lewundernswert erscheint. Bald reißt er es gewaltsam empor, 
indem er für die einzigartigen Versuche, die er hier vorführt, 
einen stärkeren Beifall verlangt, bald gönnt er ihm kurze 
Erholungspausen, damit es nicht außer Atem gerät. Geheimnis 
volles Mienenspie! und Scherze mit der Damenwelt, Ausbrüche 
jenseitiger Zuversicht und rein irdische Plänkeleien: das ver 
mischt sich ohne Schwierigkeit und geht in einem fort ineinander 
über. Bis zuletzt die Zuschauer so durchgerüttelt sind, daß sie reif 
werden für das eigentliche Mysterium. 
Es besteht, kurz gesagt, in folgendem: Herr Hanussen sitzt 
auf einem Stuhl in der Mitte des Podiums, hat eine schwarze 
Binde um die Augen gebunden, die offenbar den Zustand 
äußerster Konzentration bewirken soll, und teilt in diesem Zu 
gewesen war und deren Fortexistenz ich noch am Tage vorher 
Lestritten hätte. Hatte sich München inzwischen nicht verändert 
oder gar wieder zurückverändert? Jedenfalls zeigte es sich mir 
wie damals, eine Stadt wie aus einem Traum, die dennoch kein 
Traum war. Ich erkannte kleine Läden, an denen ich als Stu 
dent vorbeigekommen war, und las Namenschilder, bevor ich sie 
richtig erkennen konnte. Auf dem Odeonsplatz hielten die Stu 
dentenkorporationen und Taubenschwärme ihren Stehkonvent ab. 
Schon Wunderte ich mich nicht über den Stillstand, sondern fragte 
mich nur, ob auch die fütternden Kinder und die photographie 
renden Reisenden sich wiederholen würden. Sie waren vorhanden, 
fütterten und photographierten. Hinterher faß ich im Hofgarten 
an einem gedeckten Tisch unter den altem grünen Bäumen; zur 
selben, Stunde,, zu der ich früher dort immer gesessen hätte. Und 
um die Unterschiede zwischen dem Heute und dem Gestern voll 
kommen zu verwischen, nahmen die gleichen, modisch gekleideten 
jungen Herren in/ der Nachbarschaft Platz, zitterten die gleichen 
Lichtkrmgel über Gestühl und Boden hinweg. Das Gestern war 
nahezu Heute geworden. 
Nicht so, als ob ich mich ganz verloren hätte. Ich beobachtete 
Hakenkreuze, die man seinerzeit noch nicht trug, und wußte 
wieder ganz genau, welches Jahr man jetzt schrieb. Auch ver 
gegenwärtigte ich mir, daß München eine Stadt sei, die so gut 
wie keine Arbeiter enthielt. Hier waren Fabriken fern, hier 
drang nur das Land herein, das sich mit der bürgerlichen Be 
völkerung .so^ vermischte. Bürger aller Schat ¬ 
tierungen bestimmten in Wahrheit den -Geist der Stadt, und in 
einer- Zert wie dieser hielten sie natürlich aus vielen Gründen 
vermehrt darauf, daß alles blieb, wie es einst war. 
Aber - die Ueberlegungen, die ich beflissen anstellte, ver 
mochten mich nicht vor der Macht des Vergangenen zu schützen. 
Im Gegenteil: als habe es nur einen kurzen Anlauf genommen, 
so gesammelt brach neuerdings das Vergessene aus den Gräbern 
hervor. Jetzt erst recht wurde ich seine Beute. Und zwanzig Jahre 
schienen nicht gewesen zu sein. 
Vor zwanzig Jahren hatte ich mit ein M 
einem im Studentenviertel gelegenen Cafehaus verkehrt, dessen 
Inhaberin uns persönlich bekannt gewesen war. Einmal im 
Fasching hatte sie uns sogar mit Wein und einem besonderen 
Abendessen bewirtet. In jener Zeit war es notwendig geworden, 
Wiederholung. 
Auf der Dur chreise in München.
	        

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