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H:Kracauer, Siegfried/01.12/Klebemappe 1933 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.12/Klebemappe 1933 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043389
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.12/Klebemappe 1933 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.12/Klebemappe 1933
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1933
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Lokomotive über der Irredrkchstraße. 
Von S. Kraeauer» 
Berlin, im Januar» 
Wenn man über die Friedrichstraße m der Richtung auf den 
Bahnhof zu geht, sieht man oft eins mächtige V-Zugslokomotive 
in der Höhe hattew Sie steht genau oberhalb der Stmßenmitte 
und gehört zu irgendeinem FernZug, der aus dem Westen kommt 
Wer nach dem Osten fahrt. Erregt sie das Aufsehen der Menge? 
Niemand blickt zu ihr hin. Cafes, Schaufensterauslagen, Frauen, 
AutöMatenbüfeLts, Schlagzeilen, Lichtreklamen, Schupos, Omni- 
bMe>. Varietephotos, Bettler alle diese Eindrücke zu ebener 
Erde beschlagnahmen den Passanten viel zu sehr, als daß er die 
Erscheinung am Horizont richtig zu fassen vermöchte. Schon die 
ersten Stockwerke in dieser Straße verflüchtigen sich: die Karyatiden 
an dßn Fassaden sind ohne Gegenüber, die Erker könnten aus 
Pappe sein und die Dächer entschwinden im Nichts. Kaum anders 
LMht es der Lokomotive. Obwohl sie mit ihrem hochgelagerten, 
^nggezogenen Leib, ihrem funkelnden Gestänge und ihren vielen 
roten Rädern wurKerbar anzuschauen ist, harrt sie doch verwaist 
Wer dem Gewimmel der Fuhrwerke und Menschen, das sich durch 
die Unterführung, ergießt. Ein fremder Gast, der so unbemerkt im 
nächtlichen Dunst eintrifft und fortschwebt, als sei er immer oder 
überhaupt nicht vorhanden. 
Welch ein Whaujpiel aber bietet die Friedrichstraße selber dem 
Mann auf der Lokomotive! Man muß sich vorstellen, daß er die 
Maschine vielleicht stundenlang durchs Dunkel geführt hat/Noch 
dröhnt die freie Strecke in ihm nach: Schienenstränge, die auf ihn 
Masen, Signale, Bahnwärterhäuschen, Wälder, Ackerflächen und 
Wiesen. Er ist an kleinen Stationen vorbeigefahren und hat in 
düsteren Bahnhofshallen den Zug für wenige Minuten zum Stehen 
gebracht. Güterzüge, Personenzüge, erleuchtete Stuben, Kirch 
türme, RAfe. Wer dieses Leben ist immer wieder von der Erde 
geschluckt worden und im Himmel vergangen. Städte: kurzfristige 
Unterbrechungen; Dörfer: zerstreute Grüppchen im Land. Von 
Dauer sind nur die Böschungen und Telegraphenstangen gewesen, 
die Bsdenmuster, die' endlosen Räume. Mitunter ist das Feld 
hinter dem Kesselfeuer zurückgewichen, das später von einem Fluß- 
lMf/Q.hgM worden ist. Karren und Wagen haben an dtzn Weg 
kreuzungen gewartet, Schornsteine das Gelände durchschnitten und 
KirKerhandchen emporgewinkt. Und stets von neuem das rMe 
.SMerwerden schwarzer Masten und dann ihr sofortiger Untergang. 
Hon dorther kommt der Mann auf der LokorMW. Na- einer 
WHd, auf der außer Erde und Himmel alle Dinge vor ihm flohen, 
HM er plötzlich über der Friedrichstraße, die ihrerseits Himmel 
und Erde verdrängt. Sie muß ihm als die Welfachse erscheinen, die 
sich schnurgerad und unermeßlich nach beiden Seiten hin dehnt. Mnu 
ihre Helle tilgt seine Erinnerungsbilder, ihr Gebraus übertönt das 
der Sttecke und ihr Betrieb ist sich selber genpg. Hier passiert man 
nicht eine DurchganMation, sondern weilt in der Mitte des 
LehMZ. Als ein fremder Gast blickt der Mann droben wie dar- 
ZMn Spalt in die Straße hinein. Sind auch seine an die Dunkel 
heit gewöhnten Augen noch außerstande, Einzelheiten zu unter 
scheiden, so erkennt er doch den Trubel, der die enge Häuserschlucht 
sprengt, nimmt den Glanz auf, der roter ist als die Räder seiner 
Maschine. Glanz und Truhe! vermischen sich ihm zu einem einzigen 
ausschweifenden Fest, das wie die Reihe der Bogenlampen keipen 
Anfang hat und kein Ende. Es nähert sich aus dem Hintergrund, 
umfaßt Arme und Reiche, Dirnen und Kavaliere und zieht sich, 
ein glühender Buchstabentaumel, an den Fassaden entlang bis Zu 
den Dächern. Dem Mann ist zumute, als habe er eine Tarnkappe 
auf und die Straße der Straßen woge über ihn weg. Eine Kette, 
die niemals abreißt. Ein Menschenhand, das sich unaufhörlich 
durch die flimmernde Luft Zwischen Acker und Acker entrollt. 
Fährt er weiter, so scheint ihm dis Nacht finsterer als je. Vor 
sich und hinter sich: überall sieht er eine lodernde Linie. Sie um- 
gaMlt ihn, ist bald nicht mehr in Zeit und Raum zu bannen 
und wird zum Gleichnis rötlichen Lebens. Auf der Friedrichstraße 
Hai niemand die Lokomotive bemerkt. 
Kräfte erfordern den Appell an,andere Kräfte. Das Unbehagen 
nun, das- der Film erMA entsteht offenbar dadurch, Häß-"er/eiN- 
historisches Geschehen nicht an - den nötigen historische Abstand 
rückt, sondern es, gerade umgekehrt, mit aller Macht dem Heuste- 
aufP ras s e n will. Die Nähe, die er den Ereignissen gibt-, pM- 
gewaltigt unser Bewußtsein, die Anstrengung, die er macht, um 
sie vollkommen Zu vergegenwärLiaen. beruht, auf einer Voraus 
setzung, -die nicht annehmbar ist. Es ich nicht der Mangel an Re 
alisierungskunst, der Uer" verletzte, sondern, im Gegenteil,-ihr 
Uebermaß, das gegen die bessere Einsicht verstößt. Daher auch hie 
Peinlichkeit der Kampfszenen. Sie bejahen naiv eine Wirklichkeit^ 
die von uns nur gebrochen erfahren werden kann und auD diesem 
Gründest unter keinen Umständen die aufreizend wirklichkeitsgetreue 
Wiedergabe vertrüge, die ihr tatsächlich zuteil wird. 
Präfide n L W a l d a m 
Gustav Wald-aus erste Filmrolle ist Zwar nur eine 
Nebenfigur, aber dafür ein Präsident. Der Pr'W'nt einer Dank, 
die offenbar von der Krise noch nichts gespürt hast.JHD 
scheinen zu florieren, ihre Düroraume stnch und die Er ¬ 
eignisse, die sich m Hr abspielen, märchenhaft. So arbeitet Zum 
Beispiel die Tochterdie es gar nicht noth HÄLe, 
als . kleine Angestellte im Oetchebsti und eins -kleiner AnWW 
bewahrt seinerseits auf wunderbare Weife die Bank vor großen 
Verlusten. Natürlich lieben und kriegen sich die Leiden'und-sind 
dann keine Angestellten .mehr. Nicht anders, geht es zu in. der 
Welt. Dennoch kann Man dem Film, der sich nach dem vonGustav 
Fröhlich herzhaft gespielten Glückspilz: „Ein. M a um mit 
Herz" nennt, nicht eigentlich Löst sein. Er erzeugt die Illusio 
nen ja mehr zi'm Spaß und wacht sie überdies durch ein. paar 
sympathische Einfälle nahezu wett. Der reizendste ist unstreitig 
die verblüffende Losung des/Problems, wie man sich in der Groß 
stadt einen Sonnabend-Nachmittag- lang kostenlos amüsieren- 
könne. Antwort: man, probiere in einer KochkunsL-AusM 
sämtliche Gratisgerichte durch und fahre später mit dem Autobus 
einer Siedlungsgesellschaft ins Grüne hinaus. Wer es schlau au - 
sängt, wird sich dort draußen gar nicht erst die Parzellen und 
Musterhäuschen zeigen lassen, sondern gleich auf den Zehenspitzen 
verduften. - / VZ / 
Doch die GeneralabsoluLion verdient der Wm allem um 
Waldaus^ willen, dessen ein^ der vor ¬ 
nehmen Gesinnung wie der Herzensgute entstammt. Es ist ein 
Glück, ihn erscheinen zu sehen und Zu beobachten, wie sich jem 
bezwingendes Wesen inmitten der Scherzchen behauptet. Indem 
er als Präsident auftritt, ist er nicht nur. der Präfldmt. sön^ 
auch der Mensch bzw.fSchauspieler Waldau, der sich Wer die ihm- 
zugedachts Rolle - innerlich ein wenig , mokiert. So ein Präsiden^ 
soll er sein! Aber da er sich nun einmal dazu entschlössen-Hat, due . 
Figur zu übernehmen, gängelt er sie mit souveräner Ironie durch 
den Film. Man merkt ihm an. daß er sich zum Präsidenten her- 
abläßt, glaubt zu spüren, daß er ihn fortwährend freundlich be 
gönnert. Er spielt also gewissermaßen doppelt: einmal als me 
Verkörperung der Filmgestalt und das andre Mal als der iyr 
überlegene Gestalter. Dem Filmmanuskr^ 
sident ein großer Herr und. ein liebevoller Vater sein, der alles 
versteht und alles verzeiht. Nun, Waldau entspricht natürlich dieser 
Vorschrift durchaus. Aber der eigenMche Zauber Spiels . 
ist, daß er darüber hinaus noch mehr gibt. .Wenn der Präsident 
etwa den kleinen Ancestellten von oben herunter absertigt, hat. 
man den Eindruck, als ob sich Walbau des Herrentums schäme, 
das er mimt. Der Grandseigneur, der er ist, desavouiert die An 
maßung des BankpräsidenteN im Verkehr mit- dem niederen Per 
sonal. Ueberall stellt er so die von Hm/vergegenwärtigte Figur 
unter Kontrolle, dämpft ihre Selbstgefälligkeit und chricht ihre 
Naivität. Und zwar vollzieht er diese Korrekturen mit Hilfe-einer 
verlegenen Schüchternheit/ die den. Repräsentanten, der sozialen 
Allmacht von vornherein und bändigt. Daß sie eine 
Kritik der Macht ist und dem unbeirrbaren Gefühl für menschliche 
Würde entspringt, zeigt sich in jenen Szenen, in denen der Prä 
sident sozusagen als Privatmann äuftritt. Besonders schön ist 
die Episode im Tanzcafe, wo er seiner Tochter und ihrem Freund, 
dem kleinen Angestellten begegnet. Hier entfaltet VMau Eigen 
schaften, deren sich gewöhnliche Präsidenten Zweifellos nicht oft 
rühmen können: eine , sanfte Schelmerei dem jungen Mann 
gegenüber und eine spate Innigkeit-beim Tanz mit der Tochter. 
Und immer, wenn er in der Rolle lächelt, ist es so, als lächle er 
auch über sie, als schenke er sein eigenes vielsagendes Lächeln 
der Rolle. Es kommt aus einem Dasein, das äus den Rollen 
nichts herausbolt, sondern etwas in sie chineintut. Dank seiner 
leisen Gewalt wird Waldau Zur selbstverständlichen Mitte des 
Films, an dessen Rand er sich befindet. Wenn er auftaucht, be 
herrscht er schon durch seine Anwesenheit die Szene, und ver 
schwindet er, so spielen die andern im Schatten. Er ist der 
wsbre Präsident des Films, und seine Existenz. ein gültiger 
Maßstab. v
	        

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