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« sDer Meister des jüngsten Tages.Z Wer aus dem
neuen Roman von Leo Perutz „Der Meister des jüngsten Tages"
(Albert Langen, München) das Gruseln nicht lernt, der lernt es
gewiß nimmermehr. Selbstmords, sämtlich unter den gleichen rätsel
haften Umständen verübt, sind schon an sich unheimlich genug; wie
viel unheimlicher noch, wenn man von Anfang an ihren mysteriösen
Zusammenhang ahnt, ohne ihn doch vor Ablauf der Ereignisse un
zweideutig ergründen zu können. Zweifel, Grauen, Spannung so lange
wachzuhalten, ist eine nicht geringe Virtuosität aufgeboten. Es ge
lingt etwa, den als Erzähler eingeführten Hauptäkteur Freiherrn
von Aosch bis zuletzt in den unbestimmten Verdacht einzuhüllen,
daß er an dem plötzlichen Tode des Schauspielers Eugen Bischofs
die Schuld trage, mit dessen immer noch geliebter Frau Dina er
früher Umgang gepflogen hatte. Es gelingt weiterhin, durch Ve
rschwörung abgerissener Klänge, Ausstreuung fahler Lichter auf
Park, Straßen und Räume eine Stimmung zu erzeugen, die in!
alle Poren dringt und die Folge jener seltsamen Begebenheiten ge
spenstisch umlauert. Es gelingt schließlich, die Träger der Hand
lung: Halbkünstler und Balkanexistenzen in eine dichte Atmo
sphäre der Verwesung zu stellen, unter Vermeidung unan
gebrachter psychologischer Vertiefung ihre Wurmsüchigkeit ge
rade soweit anzudeuten, daß sie stets nur Hintergrund des die
eigentliche Mitte susfüllenden spannungshaften Geschehens bleibt.
Zu dem alten Bischofs mit seiner erloschenen Gestaltungskraft und
dem Freiherrn selber, der bereits zu sehr Spätling ist, um noch
brutal zupacken Zu können, -gesellen sich die Schattenriß-Figuren
des ehrenwerten Spanislen Albachary, in dessen Person sich die
Talente eines Wucherers und Kunsthändlers wundersam vereini
gen, seines Hausgenossen, des ausrangierten Majors Kulicek, wie '
der in allen Künsten dilettirenden Leopoldine Leichmann, die es
schlechterdings nicht ertragen kann, sich als Pharwakologin unbe-
rühmt und prosaisch durch die Welt schlagen zu müssen — ge
brochen sie alle, lediglich in den Zwischenschichten zuhause und
gut akklimatisiert an die Wiener Luft, deren UntergangshauH sie
Zubiläumskagung des Atöbel-Verbandes.
Die 21. Hauptversammlung des Deutschen Fröbel-Ver-
bandes, der in diesem Jahre auf sein fünfzigjähriges
Bestehen zurückblicken kann, wurde nach vorausgegangenem
Begrüßungsabend heute mit einer Festsitzung im Römer er
öffnet. Regierungsrat Dr. Lieser und StadLrat Meck-
bach bewiWommneten die Tagung, zu der auch Verband s -
freunde aus dem Ausland, zumal aus den nordischen Län
dern, erschienen sind, namens der staatlichen und städtischen
Behörden. Im Anschluß an ihre Ansprachen ergriff
Pros. EduarL Spranger
Zu seinem Festvortrag über neue Strömungen in der
Frauen- und Jugendbewegung das Wort.
! bFmcyt. Aus diesem Helldunkel tritt einzig der Ingenieur SolqmL
! scharf hervor: Deutschbalte, der einst im russisch-japanischen Krieg
^dei^Diunho eine Schützenkette von fünfhundert Japanern durch
HochspannunDsströme vernichtete und nun die Erinnerung an die
starre Reihe der Getöteten dauernd mit sich trägt. Durch jenes
ihm eingegrabene Schreckensbild der UnmiLLelbarkeiL des Lebens
und Mrtlebens enthoben, hat er den nötigen Abstand von Dingen
und Menschen gewonnen, um ihre Verkettungen furchtlos zu er
sahen. Er entwirrt, ein inwendig Erfrorener, mit dem Spürsinn
' des DetE W verborgenen. Fäden und dringt am Ende das
UnbvZMstM M tzSK MNers M M dem NP-!
Heber der Selbstmorde, dem „Döetster des jüngsten Tages" vor,
' dem freilich er selber auch zum Opfer fällt.' Wer ist dieser
Meister und welcher Sinn liegt den Geschehnissen zugrunde, die
unter seinem Einflüsse sich vollziehen? Ohne die Lösung preis-
zugeben, sei doch gesagt, daß sie, offenbar ihres zu Lohen An
satzes wegen, nicht ganz gestaltet worden ist. Metaphysische Gehalte
in dem Stoff des Kvrminalromans auszudrücken, muß man
'schon Dostojewski sein; Perutz jedenfalls versagt genau dort,
wo er die Grenzen einer auf Spannung aufgebauten Erzäh
lung zu überschreiten strebt. Dabei entbehrt die Idee, aus der
er die geheimnisvollen Vorkommnisse ableitei, keineswegs der
Tiefe. Es ist einleuchtend, daß mittlere oder erlahmte Künstler
naturen um sie aber handelt es sich zumeist bei den Selbst
Mördern -- ihre Phantasie an Gesichten gleichviel welcher Her
kunft zu nähren wünschen, und es ist gut erdacht, daß jeder
Mensch vor Entsetzen sich Löten muß, dem die vorwegnehmende
Schau des jüngsten Gerichts, und zwar seines besonderen
jüngsten Gerichts, zuteil wird. Wäre nicht, infolge des Man
gels an hier zudem unnötig beanspruchtem dichterischem Ver
mögen, der Weg allzu abgeblatzt, auf dem der Renaissancemaler
Giovanstmone Chigi, der Meister des jüngsten Tages, den nach
solcher Vision Begierigen den Zugang zu ihr vermittelt, so
bliebe ein Buch, das rein als Spannungsroman nicht leicht
übertroffen werden kann.
— Das Frankfurter soziale Frauensewinar. Trotzdem sich die
! Stadtverordneten-Versanm^ung in ihrer letzten Sitzung einstim
- mig für die Erhaltung des Frauenseminars ausgesprochen hat, be
haupten sich hartnäckig Gerüchte, die jenem Beschluß zuwiderlaufen.
Ihren Niederschlag mag die auch von uns vor kurzem gebrachte
Notiz (vergl. Stadt-Blatt vom 2. Oktober) bilden, derzufolge das
Frauensennnar am 1. April 1924 geschlossen werden soll. Ent ¬
gegen diesen mißverständlichen Gerüchten darf zuver
sichtlich damit gerechnet werden, daß die Verhandlungen mit dem
Oberpräsidenten zu einem günstigen Abschluß gelangen und das
nicht nur für Frankfutt unentbehrliche Frauenseminar weiterge
führt wird.
-- Dis Neue LichLöLhus in der Vilbelerstraße führt ein
sechsaktrges Drama: „Teufslsschmphonie" vor, das seinen
Namen nicht Zu Unrecht trägt. Das teuflichs Prinzip wird von
einem indischen Fakir verkörpert, der auf ebenso niederträchtige
wie phantasievolle Weise den Ehemännern einer in seinem hypno
tischen Banne befindlichen Gräfin nach dem Leben trachtet. Der
berühmte Sportsmann Fred Kelly, dem sein chinesischer Diener
getreulich zur Seite steht, zeigt sich zum Glück den einmal schon
gelungenen Anschlägen des Mordmenschen gewachsen. Dank
seiner VLelgewandrheit entrinnt er sämtlichen Gefahren, die in
dem Schveckenshaus des Jnmrs ihm drohen: Falltreppen, giftigen
Dämpfen, Ausräucherung in einem beweglichen Käfig; zum!
Schlüsse tötet er den Lsussichen Feind und rettet, wie sich von
selbst versteh die Gräfin, die, von Erna Morena gespielt, in
den s^wierigsten Situationen eine untadelige Haltung bewahrt.
Ist die Handlung auch just nicht wahrscheinlich, so erfüllt sie doch -
zum mindesten den einen Zweck, verbrauchte Nerven durch die!
schnelle Folge erfinderisch ausgeheckter Greuel aufzureizen.
F a t t h in dem Lustspiel „Alles aus Liebe" ist wesentlich harm
loser als jener schlimm gesinnte Fakir Zwar, er prügelt wieder,
wenn er geprügelt wird, aber seine Dicke entwaffnet, seine Liebens
würdigkeit versöhnt. Als Köchin verkleidet, entfaltet er weibliche
Reize, die sogar das Herz eines älteren Farmers betören. Die
Handlung, in deren Verlauf Männer und Frauen verschiedensten
Kalibers in den Ziehbrunnen stürzen, durch die Fenster fliegen
und sich auf mannigfache Arten überraschend von der Stelle be
wegen, endet natürlich mit einem vollen Triumph von FaLths
Korpulenz.
Ausgehend von einer Würdigung Fröbels, den er als Urheber
der inneren Frauenemanzipation, als Befreier der Frau
aus geistiger Gebundenheit pries, skizzierte er die Entwicklung der
von Fröbel eingeleiteten Bewegung in der Folgezeit. Nach 1848
hat diese Bewegung, dem Redner zufolge, durchaus realistische
Bahnen eingeschlagen, fle fordert und erwirkt in enger Verbin
dung mit den demokratischen und sozialdemokvatischen Be
strebungen vorzugsweise die wirtschaftliche und politische Gleich
stellung der Frauen. Sind damit die äußeren Ziele der Frauen
bewegung erreicht, ihr eigentlicher Sinn bleibt nach Eroberung der
Außenforts noch zu erfüllen. Worin aber besteht dieser Sinn?
In der Entfaltung aller derjenigen Kräfte und Fähigkeiten, die
der Frau besonders eigentümlich sind und darum eine unersetzliche,
Bedeutung für den Aufbau unseres Kulturlebens haben.' Seit 1914
hat sich die Erkenntnis hiervon mehr und mehr verbreitet. Leider ,
fehlt es ihr vorerst an der rechten Durchschlagskraft, da es eine!
spezifisch weibliche Jugendbewegung noch nicht gibt.
Die heutige deutsche, Jugendbewegung kennzeichnete Professor
Spranger dahin, daß sie, zum Unterschied von der bisherigen
Frauenbewegung, nicht in den Strömungen des Jahres 1848
wurzele. Sie sage sich vielmehr los vom Individualismus, In
tellektualismus und Oekonomismus der voraufgegangenen Ge
neration und gründe statt dessen in der Sehnsucht nach neuem, reli
giös unterbautem Gemeinschaftsleben. Daher ihr sekten-
hafber Charakter, ihre vorläufige Ferne von der Wirklichkeit, ihre
eschatologische Richtung: alles Züge, die in der feinsinnigen
Schilderung Pros. Sprangers klar hervortraten, und bereits
manchen Hinweis auf die kommende Reife in sich enthalten.
Aufgabe unserer weiblichen Jugend wird es sein, rm Nahmen
der allgemeinen Jugendbewegung ihre Sonderart auszubilden.
Gemäß der Anlage des weiblichen Geschlechts hat sie von vorn
herein die Richtung auf das Ganze des Lebens zu nehmen, ihre
Bestimmung ist es, den lebendigen, totalen Menschen
in die von uns ersehnte Kultur hineinzutragen. Macht sich die
zukünftige Frauenbewegung solche Ziele dienstbar, so dürfen wir
hoffen, daß diese Kultur die endliche Vermählung des männlichen
und des weiblichen Prinzips bringe. Eine wichtige Etappe auf
dem Wegs zu ihr hin wird nach der Ueberzeugung des Redners
die im Interesse geeigneten Nachwuchses zu schaffende Frauen-
hochschule sein, die als UeLerbau über den verschiedenen
Formen der Frauenschule und der ihnen an gegliederten sozialen
und pädagogischen Anstalten sich erheben mag.