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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

N/L /'s F 
— Der Orient in der Krim. Auf Veranlassung des Orient 
Instituts svrach am Donnerstag Freiherr v. Pöllnitz über eine 
Reiseeindrücke von der Krim. Der Vortragende, der in seiner 
Eigenschaft als deutscher Offizier im Frühjahr 1918 nach der 
Krim gekommen war, gab zunächst einen kurzen Ueberblick über 
die GeMchte der wünschen Halbinsel, aus der sich ihr orientali 
scher Charakter erklärt. Die Tartaren, die sich im frühen 
Mittelalter dort festgesetzt hatten, wurden um die Mitte des 15. 
Jahrhunderts von den Türken unterworfen, und erst unter Katha 
rina II. riß Rußland die Herrschaft über die Krim an sich. Auf 
ein Manifest der Zarin hin wanderten 1782 Deutsche in Scharen 
nach der Krim aus, denen in der Zeit von 1813 bis 1820 ein neuer 
Schwärm folgte. De^ Redner schilderte, teilweise unter Zuhilfe 
nahme seines Kriegstagebuchs, den landschaftlichen Charakter der 
Halbinsel und entwarf ein Bild von der Eigenart ihrer Bewohner. 
Auf seinen militärischen Streifzügen stieß er vielfach auf deutsche 
Kolonien, in deren Dörfern alte heimatliche Traditionen un 
verändert fortleben. Besonders die Bevölkerung der nördlichen 
und mittleren Krim rekrutiert sich im wesentlichen aus Tartaren, 
die mit den Deutschen in gutem Einvernehmen stehen, während 
sie gegen die Russen feindselig gesinnt sind. Der Vortragende, der 
mit ihnen die besten Erfahrungen gemacht hat, beschrieb die Bau 
art ihrer Häuser, deren innere Einrichtung vorteilhaft gegen das 
unscheinbare Äeußere absticht, und berichtete in längeren Aus 
führungen von ihren Sitten. Vor allem rühmte er die Sauberkeit 
und den Ordnungssinn der zumeist vom Tauschhandel lebenden 
tartarischen Bevölkerung, auch hob er die Geschicklichkeit ^er 
Frauen im Sticken und Teppichknüpfen hervor. Der Vortrag 
wurde durch zahlreiche Lichtbilder unterstützt. 
KrarrkfurLer AngekegenHeitm. 
Ernährung der städtischen Bevölkerung. 
Vor den Teilnehmern an dem BorLragsiurs des Land» 
wirtschaftlichen Vereins sprach am Donnerstag Ge 
heimrat Pros. Aerodoe, der Direktor der landwirtjä-astlichen 
Hochschule in Hohenhekn, über die mögliche Besserung der Er- 
nährungsverhaltuisse der städtischen Bevölkerung. Der Redner 
entwarf zunächst ein Bild von dem Stand der Ernährung und 
der Landwirtschaft Deulschlalws vor dem Krieg. Während das 
deutsche Volk um 1800 noch größtenteils vegetarisch lebte und 
sich außer von Brot im wesentlichen von Breisperjen wie Grütze, 
Grics usw. nährte, nahm sein Fleischkonsum nach dem Krieg 
1870/71 so zu, daß er vor Ausbrüch des Weltkriegs den Englands 
sogar überbot. Neben dem Fleisch wurde in steigendem Maße 
die Kartoffel zum Hauptnahrungsmittel, und auch der 
Zuckerkonsum schwoll gewaltig an. Diese Erweiterung des 
Nahrungsspielraums, ermöglicht durch die Entdeckungen Liebigs 
und die Einführung rationellerer landwirtschaftlicher Betriebs 
Methoden, konnte aber nur mit Hilfe des Imports von Chili- 
salpeter und Phosphorsäure aus dem Ausland aufrecht erhalten 
werden, da Deutschlarrd selber lediglich über Kalisalze und Tho 
masschlacke zur Befriedigung seines Bedarfs an Kunstdünger 
verfügte. Hinzu kam zur Deckung unseres ungeheuren Fleisch 
konsums ein Import von Kraftfuttermirteln, der zuletzt jährlich 
rund 10 Millionen Tonnen erreichte. Auch inbezug auf die 
menschlichen Arbeitskräfte waren wir in verhängnisvoller 
Weise vorn Ausland abhängig. Wachsende Landflucht zwang zur 
Zulassung der polnischen Wanderarbeiter, die infolge ihres niedri 
gen stanckurä ok like nicht nur auf dem Land, wo ihre Zahl 
vor Kriegsausbruch etwa 400 000 betrug, sondern mittelbar auch 
in der Industrie als Lohndrücker wirkten. Die schwierigen Er 
nährungsverhältnisse während des Krieges waren außer auf 
den Mangel an jeglicher Zufuhr auch auf den Mangel an männ 
lichen Arbeitskräften zurückzuführen, und keinem Einsichtigen 
konnte es verborgen bleiben, daß der Zusammenbruch unserer 
Ernährung früher oder später kommen mußte. 
Da eine Wiederaufrjchtung des Kraftfutterimports schon aus 
Valutagründen auf lange hinaus nicht möglich ist, fragt es sich, 
welche kurzfristigen Mitte! zur Hebung unserer land 
wirtschaftlichen Produktion anwendbar sind. Bei 
der Erörterung dieser Frage eröffnete der Redner zunächst den 
tröstlichen Ausblick, daß wir dank dem während des Krieges er 
! fundenen Verfahren Zur Stickstoffgewinnung aus der Luft in 
absehbarer Zeit in der Lage sein werden, den von der Land 
wirtschaft benötigten Stickstoff selber herzustellen. Aber auch 
hinsichtlich der Phosphorsäure ist zu hoffen, daß wir uns 
vom Ausland unabhängig machen können. Wir haben nämlich 
i bisher immer mit einem Ueberfchuß an Phosphor gedüngt, weil 
nickt aller Phosphor, sondern nur der leicht lösliche von den 
Pflanzen, zumal von den Halmfrüchten, ausgenommen wird. 
Versuche in Hobenheim haben nun ergeben, daß eine Neben- 
düngung von schwefelsaurem Ammoniak die Auf- 
j nähme auch der schwer löslichen Phosphate durch die Getreide- 
I pflanzen wesentlich erleichtert, und so wird sich denn in Zukunft 
der Bedarf an diesen Phosphaten ganz erheblich verringern. An 
Hand von Zahlen berichtete Geheimrat Aeroboe über die Erfolge 
die er mit dem neuen Düngverfahren in Hohenhcim erzielt hat 
Einschränkung der Phosphate und Steigerung von Stickstoff unk 
Kali 'werden nach feiner Ansicht den Kraftfutter-aufwand auf ein 
Minimum herabdrücken und eine Erhöhung der Eiweißstofse 
wird eine Vermehrung der Milcherträge herbeiführen. Die Um 
stellung der Dungmechoden erfordert freilich auch eine U m - 
stellung der Menschen, und es wird Sache hierfür be 
sonders geeigneter Männer sein, die Bauern, die nicht gerns 
mit alten Gewohnheiten brechen, über die Vorteile des neuen 
Verfahrens auszuklären. 
Der Redner schloß seinen äußerst beifällig ausgenommenen 
Vortrag mit der Ermahnung, überall und in großem Maßstab 
eine Wirtschastsberatung für bäuerliche Be« 
triebe zu gründen, da nur schnelles Handeln uns über di§ 
schlimmen Zeiten himvoghelfen könne. 
ZmMmler Angelegenheiten 
WükLküusftMmlg im Kunstgewerbemuseum. 
Im Kunstgewerbemuseum sind seit Sonntag Plakate aus der 
reichhaltigen Sanunlung von Dr. HerLeL ausgestellt, und Zwar 
werden vornehmlich Schöpfungen der französischen und eng* 
lischm Plakatkunst gezeigt, die zum Teil der ÄnMHsZctt. 
des Plakatwesens entstammen. Die Blatter von Jules Cheret 
aus den Wer Jahren des vorigen Jahrhunderts gehören mit zu 
den ersten Werken der jungen Kunstgattung überhaupt; sie klingen 
an Watteau und Fragonard an, der Schritt zum ergemlichm 
Plakat ist m ihnen noch nicht vollzogen. Ueberraschend Modern 
dagegen wirken die ebenfalls in die Frühzeit fallenden Schöpfun 
gen von Grün. Seine Riviemgestade deuten bereits wrf HoM 
weinsche Kunst vor, pIein°LirMalerei, die strahlende Helligkeit und 
Himmel des Südens hervorzuzaubern weiß, wird in ihnen ganK 
ptakarmäßig ausgewertn. Flammen des Aufruhrs lodern auA 
dem realistischen Revolmiouspwkat Lheophile Sieinlens der 
Menge oüg-egen. Ein anderes Blatt desselben Kühlers, reiM 
flächenhaft und von unnachahmlicher Feinheit der Umrißzeich^ 
nung, stellt Katzen dar, wie Steinlen sie oft und gern midergibt 
Boulevard-Leben, Moutmarn-e-Nächte, Treiben in Eaöarels und 
Bars, verführerischer Reiz der Demi-mondaim wird durch die 
Plakats Toulouse-Lautrecs gebannt. Seme Werke sind 
Erzeugnisse einer spaten, überreifen Kunst, lasterhaft und von 
prickelnder Sinnlichkeit, dabei geistreich in jedem Strich. Auch an 
Proben für Plakarhumor fehlt es nicht. Auf einem sig ¬ 
nierten Blair aus der Zeit des Burenkriegs überreicht der biedere 
Ohm Krüger der köstlich narrillierten Queen ein zierliches Päck 
chen „pilules dum-dum^. Von dem HMn Stand ftanzosischen 
> Augenkultur zeugen übrigens etliche Verkehrs- und Eisenbahn 
Plakate, die freilich noch allzu naturalistisch gehalten sind, um rein 
plakmmäßig zu wirken. Unter den englL s ch/e n Arbeiten ragm 
besonders Zwei Blätter hervor, die, als Plakate wenigstens, sicher 
lich die besten Leistungen der ganzen Ausstellung überhaupt smin 
Sie stammen aus der Hand Zweier Künstler, die sich als ^Bruder 
^Veggarstaff" unterzeichnen. Das eine von ihnen, für ^.Har- 
I pers Magazine^ entworfen, gibt einen Tswer-Wachter in-seiner 
! historischen Tracht wieder. Ein paar ickwarze Linien stehen aus 
§ rotem Grund, sonst nichts; alles ist auf die letzte Formel gebracht 
bis zum äußersten vereinfacht und stilisiert, das Müste wird dem 
Auge Zur selbsttätigen Ergänzung überlassen. In den nächsten 
^Wochen sollen Werke schtteifertscher UNd deutschex 
i Plakatkunst ausgestellt werden. Ar«
	        
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