Einklang mit den Grundsätzen, nach denen er di^ „Schule der
Weisheit" leitet —, daß der deutsche Mensch durch zielbewußte
Ausbildung seiner Fähigkeit des Verstehens und EinveihenZ aller
geistiger Erscheinungen in noch ungeahnte Abgründe des „Sinnes"
hinabzusteigen habe, um derart, wie er sagt, nach dem Vorgang
des Christentums vor zweitausend Jahren dem Geiste gleichsam
eine neue „TiefeMmension" Zu eröffnen. Eine so gerichtete innere
Umwandlung, der unsere gegenwärtige Abgeschlossenheit sogar zum
Segen werden mag, ist ihm Bedingung für die Vormachfftellung
Deutschlands in der künftigen ökumenischen Kultur.
Die Botschaft klingt gut und freundlich und wer ließe sich
heute nicht gerne trösten? Indessen, so scheint es, ist auch
bei Keyserling der fromme Wunsch alleiniger Bildner seiner
Ideale. MenschheitsÖkumene! Verwechselt man politische Zu ¬
sammenschlüsse und abflachende zivilisatorische Ungleichungen
der Völker nicht mit ihr, so wird man vergeblich auch nur den
Ansatz zu rhr suchen. Vorerst weist viel eher alles darauf hin,
daß Kulturen und Nationen ihre Selbständigkeit genau wie
früher zu behaupten streben, und nicht einmal Faszismus und
Bolschewismus/ die Keyserling, wie sämtliche Welterscheinun
gen, auf einen Generalnenner bringen möchte, begegnen, ein
ander so ohne weiteres. Gesetzt aber selbst, ein ökumenisches
Reich fei der Menschheit verheißen, so wird es. sich gewiß nicht
als ein- neue, nur weiter gespannte Kultureinheit darstellen,
! die die alten, überwundenen Kulturen einfach ablöst, und über
haupt nicht in der Richtung liegen, in der Keyserling es M
sichten glaubt; nein, es wird ein Reich sein, das an ganz
andere Bedingungen als an das Vergehen und Entstehen von
AlemauML-LZchLspiele. Der Film dieser SpielwMe:
„Fraulein Raffke" entspricht nur zum Teil seinem Titel,
da Raffke-Züge lediglich sporadisch auftreten. Es handelt sich um
ein Parvenu-Ehepaar, dessen Tochter, ein von LeePerry ge
spieltes amerwan sich nicht, wie der Papa will, in den vom
väterlichen Reichtum .angelockten Baron v. Geldern, sondern in
einen armen Schlucker von Angestellten verliebt. Das junge
Paar wird verstoßen und der Ehemann ist so unwahr
scheinlich gesinnungstüchtig, daß er trotz Not und Armut
den freundlich sich ihm nahenden Raffke zurückstößt und
seinen Milliarden die Annahme verweigert. Eine tränenreiche
Zeit folgt, in der auch Raffkes Enkelkind eine sehr rührende
Rolle spielt, und man erkennt wieder einmal, daß Geld allein nicht
glücklich macht. Der Ausgang ist durchaus im Sinne der Courths-
Mahler. Man erlebt die moralische Genugtuung, daß der nach
gerade gemeingefährliche Baron von der Bildfläche verschwindet
und stellt befriedigt eine Wiederanbahnung der Beziehungen
zwischen Raffkes und ihren Kindern fest, die Fröhliches für die
Zukunft verheißt. — Immerhin, auch der Typus Raffke kommt
zu seinem Recht, freilich nicht der Typus des Schiebers, der unbe
denklich seine Netze auswirft und nichts anderes kennt, als
unmetaphysische Spekulationen, sondern der über Nacht reichge-
gewordene Mann aus dem Volk mit gesunden Säften, ein
Kerl, der lebt und leben läßt und von seinem Reichtum
auf eine entzückend barbarische Weise Gebrauch macht.
Werner Kraus verleiht ihm die Züge eines Menschen.
Schlechthin liebenswert ist die Art, in der sein Raffke von einem
Schloß mit Ahnengalerie nicht ganz ohne Respekt Besitz ergreift,
und dort Feste solchen Ungeschmacks gibt, daß die Ahnfrau bei
ihrem Anblick, wie mit Recht bemerkt wird, Wohl im Grab rotieren
würde. Dieser große Schauspieler verwirklicht sogar das Un
glaubhafte: er entwächst für wenige Augenblicke der Sphäre des
Nur-Komischen und breitet über Raffke, wenn er etwa in seinem
Schlosse an verödeter Festtafel sitzt oder betrunken im Palais äe
clawe seinem Schwiegersöhne einen Auftritt macht, einen Schimmer
von Tragik aus. Ihm zur Seite steht Frau Raffke, deren Be
nehmen alle jene unfreiwilligen Raffkewitze rechtfertigt, die ihr
nachgesagt werden. Zum Ruhme des Films, der auch dort zu
lachen gibt, wo man vielleicht nicht nur lachen sollte, sei noch die
vorzügliche technische Aufmachung hervorgehoben. — Außer den
Raffkes produziert sich in einem Einakter der amerikanische
-Komiker Lloyd, ein wahrer Geschwindigkeitsteufel, der ohne
viel. Gemüt in jeder Situation heillose Verwirrung anrichtet. rae.
--- Mhronik der KüAste.Z Frankfurt: Der Frankfurts
Kunstverein bringt eine große, sorgsam durchgebikdete Lithographie
von der „Friedberger Warte* heraus, die erneut oaS reife
und so liebenswerte Künstlertum Fried Sterns bezeugt. Nie
derem Gehöft entsteigt der jedem Frankfurter vertraute massige
Turm, der mit der Landschaft zu einer festgefügten Komposition
verwächst- Reine Naturinnrgkeit beseelt das heimatlich anmutende
Vkrtt, das gewiß zu den schönsten Gaben des Kunstvereins gehört.
l I 0) kTe , iF - O t».
" „Freifahrkarte «ach Jerusalem". Au unserer Notiz im
„Stadt-Blatt* vom 11. Oktober haben wir aus unserem Leserkreis
verschiedene Zuschriften erhalten, di« beweisen, welche Ausmaße
der von uns gerügt» Unfug angenommen hat. Ein jüdischer Herr
teilt uns mit, daß feinem Sohne, der eine hiesige höhere Lehr»
anstatt besuche, eine Unzahl jener .Freifahrkarten* von verschie.
denen Mitschülern auSgehändigt worden sei. Er rühmt mit Recht
das Verhalten des Direktors, der auf seine Beschwerde hin die
Schüler sofort energisch vorgenommen und ihnen gedroht habe sich
in Wiederholungsfällen an ihre Mern Zu wenden. Freilich ist
damit — auch hierin sind wir mit dem Einsender einer Minung
— das Uebel noch nicht an der Wurzel behoben. Um dem Un
wesen wirklich zu steuern, müßte man schon wissen, wer die Ehren-
manner sind, die Schulkinder auf diese Wpise mißleiten, und wo
her sie die Mittel zu wahren Massenauflagen der bewußten Karten
beziehen.
— ^„Durch die Wüste".^ So lautet der Titel eines be
kannten Wenteuerbuches von Karl May. Aber um jedem
Mißverständnis vorAub engen: das neueste Werk von Ernst
Bloch (bei Paul Cassirer), das diesen Titel trägt, ist nicht von
Karl May, sondern wirklich von dem Philosophen Ernst Bloch,
der uns durch die geistige Waste unserer Zeit zu führen vor-
nimmt. Jedoch sind die schriftstelleriM Mittel Blochs nicht
minder abenteuerlich als die seines begabteren Kollegen. Auch
bereichert man dabei keineswegs seine geistes-geographischen
Kenntnisse, weil einem die literarpolemische Aufwirbelung des
Wüstensands die Aussicht benimmt. Da einige der indivi
duellsten Mitarbeiter der „Frankfurter Zeitung" von dem ich-
sprechenden Herrn Bloch mit philosophischen Dattelresten und
Kamels mist Leworfen werden, interessiert sich die Redaktion
hauptsächlich für diese Seiten des Blochschen Wirkens, dessen
Gefamtbesprechung wir uns nach solcher Einsicht gerne ersparen.
Es handelt sich um emen polemischen Wut-anfall gegen ^Wul
Bekke r, der Blochs „Geist der Utopie" auf seine musikalischen
Erkenntnisse hin besprochen hat, und gegen Dr. Siegfried Kra-
cauer, der seinerzeit den pseudo-prophetischen Geist des
„Thomas Münzer"-Buches sum Gegenstand einer tief argumen
tierenden Kritik gemacht hat. Man sollte nun denken, daß ein
Philosoph vom Selbstbewußtsein Blechs sich um Kritik der An
dern wenig kümmerte und gelassenen S nnes seine Wüsten
weiter pflügte. Aber was tut Mach? Nicht allein, daß er ein
aus lobenden Erwähnungen zusammengeleimtes Waschzetteln
Potpourri deZ eigenen Ruhmes zu singen anhebt, nein: er wür
digt auch die von ihm ob ihrer Winzigkeit verachteten Gegner
eines gigantischen Gezänks. Statt auf die gründlichen Aus
führungen des Kracauerschen Aussatzes sachlich einzugehsn —
mit jener Sachlichkeit, die Lessing auch einem Herrn Klotz gegen
über wahrte — verlästert der Weise den redlichen Gegner m.L
„dummem Mittelmaß", mit „Kümmerlichkeit", mit „purer In
suffizienz" und „niederträchtig mit Methode". Ja, Herr Mach
alaubt es seiner philosophischen Biederkeit schuldig zu sein, sogar
Kracauers äußere Erscheinung mit einem nicht gerade edlen
Witz zu- kritisieren. Der verblüffendste Zug im Schachsviel
unseres Polemikers ist aber ohne Zweifel dieser: daß Bloch
zur Zermalmung des von ihm ungek-Men Mannes einen jour
nalistisch-ironischen Bericht aus dem „Büberblatt der
Frankfurter Zeitung" heranzicht, um aus der zufällig-pcriphew-
schen Berufsarbeit ums tägliche Brot — die allerdings mit
Philosophie allein nicht zu bestreiten ist und jedermann auch
zu den Banalitäten des Alltags zwingt — seinen Kritiker lächer
lich zu machen. Lächerlich wird damit aber nur Herr Bloch.
Herr Bloch würde Wohl auch den Spmoza philosophisch wider
legen, weil er Brillen schliff; und den Jaoob Böhme, weil eben
die Schusterei nicht zur Philosophie gehört
Jedenfalls haben wir nun erkannt, wie Bloch den Lesern
seines Wüstenbuches Sand in die Augen streut, und immer
nur von der eigenen Oase redet, die doch auch nur eine FaL«
Morgana ist. Die armen Kamele aber, die zu dieser vorgespre-
gelten Weiheitsquelle traben, mögen einem leid tun.
«Die deutsche Zukunft."
Vortrag des Grafen Keyserling.
Gr-af Keyserling eröffnete in seinem gestrigen Frank
furter Vortrag weltumspannende Fernblicke auf Deutschlands
Zukunft, die viele Hörer ' - tröstlich anmuten mochten. Es geht
nicht anders, so lehrte er, wir Müssen das, was heute geschichsi
aus d'er Perjpektve von Jahrtausenden betrachten. Und da be
merkt man denn — Sjxngler hat nach ihm unstreitig recht hierin
— daß die alte AulLurstele rettungslos' dem Untergang verfallen
ist. Symbol: der Versailler Vertrag, der das Ende des alten
Europa letztgültig besiegelt.- Aber fvMch, jene Kulturseele g-oht
nur unter, mn in einer höheren wieder aufz-Gehen, sie dankt ab
HU Gunsten einer neuen ökumenischen Kultur, die einst die
ganze Menschheit umgreifen wrrd. Keyserling will allenthalben
schon die ersten schwachen Keime des Kommenden gewahr werben.
Ein neuer Europäertypus sei in Bildung begriffen, der sich mit
dem modernen JnDier etwa vortrefflich verstehe, auch der Islam
erwache und beteilige sich an dem allgemeinen geistigen Völker-
.gespräch — kurzum: der ökumenische Mensch reife langsam und
sicher heran.
Und Deutschland, das hinter den Stacheldrähten gefan
gene Deutschland? Muß es nicht angesichts dieser welthistorischen
Perspektiven sich sozusagen völlig verkriechen? Keyserlings Ueber
zeugung geht im Gegenteil dahin, daß die anbrechende ökumenische
Epoche zugleich die deutscheste Periode der Geschichte sein werde.
Begründung: das deutsche Volk ist noch jung, und da es zudem
die Sinnlosigkeit der «Werbenden Kultur so Lief wie kein anderes
Volk erfahren hat, mag es dank dieser Erfahrung zur Auffindung
eines neuen Sinnes am ehesten tauglich sein. Auch hegt Keyser
ling die Hoffnung, daß die nahende Menschheitsökumene, die cr
sich vorwiegend geistig und unpolitisch geartet denkt, gerade der
deutschen Wesensanlage besonders günstige Ausdrucksmöglichkeiten
gewähre.
In den Schoß allerdings fällt dem deutschen Volk diese Welt
geltung nicht, es muß sie vielmehr wollen und sich zur Führer-
schüft selber erziehen. Wie das geschehen könne, deutet Keyserling
leDer ctWM Mu dunkel an. Er meint ungefähr — gewiß im