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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Von Naca. 
n piano gus daibe uns rnain kröl« 
l^ult äs,N8 1s soir rose st grig va^uemsni... 
Verlaine- 
DaS Klavier ist ein privates Geschöpf; es lebt ganz für 
sich tn der Ecke eines Zimmers, das nicht zu ihm paßt. Oel- 
bilder kleben an den Wänden, aus dem Boden strömt Familien- 
geruch empor. Die Leute, die sich hier angesammelt haben, 
nehmen auf die Anwesenheit des Klaviers keine Rücksicht, 
unterhalten sich vielmehr laut über persönliche Dinge. 
Beschäftigen sie sich einmal in den Pausen mit ihm, so legen 
sie ein Oberflächliches Betragen an den Tag, das dazu angetan 
ist, es einzuschüchtern, und die ihm von Natur aus inne 
wohnende Angst vor der Außenwelt nicht unbeträchtlich ver 
stärkt. Tonleitern und andere lächerliche Gemeinplätze sind 
alles, was es in einer solchen Umgebung hervorzubringen 
vermag. Unter der Unmöglichkeit, sich richtig äußern zu 
können, leidet es selber am meisten. 
Ich bin gern allein, denkt das KLavier bei sich. Der Trost, 
den es aus diesem Gedanken zieht,, hilft ihm freilich nicht 
durchaus über das Gefühl des Gekränktseins hinweg- Bezeigten 
sich die Leute etwa aus Zeitmangel gleichgültig ihm gegen- 
Aer, es fände gewiß mehr als eine Entschuldigung für sie; 
ein wenig Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse hat es 
ja auch. Aber sie vernachlässigen geflissentlich sein Aeußeres 
und verlangen Dienste von ihm, zu denen es an sich nicht ver 
pflichtet wäre. Mehrmals bereits ward ihm zugemutet, einen 
Kübel zu tragen — als ob es eine Anrichte oder gar eine 
Müllgrube sei. Unter dem geschlossenen Deckel verging es vor 
Scham. 
Mit den übrigen Einrichtungsgegenständen pflegt das 
Klavier keinen Verkehr. Sie sind HU verschieden von ihm, jeder 
ist gleichsam nur auf einen Ton gestimmt. Dennoch würde es 
natürlich, schon um der Einsamkeit zu entrinnen, bei Gelegen 
heit mit ihnen in engere Beziehung zu treten suchen, müßte es 
nicht fürchten, von ihnen mißverstanden zu werden. Es hat 
seine Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht. Der zu seiner 
Gesellschaft bestimmte Stuhl, der von ihm einmal restlos ins 
Vertrauen gezogen worden war. bat^e als einzige Antwort sich 
um sich selber gedreht. Wenn die Nächsten so sind, bleibt von 
den Fernstehenden nichts zu erwarten. Durch sein Schweigen 
gereizt, haben sich denn auch die Möbelstücke, so uneins sie 
sonst untereinander sind, gegen das Klavier zusammen- 
geschlosfen. Sie erklären seine Absonderung als den Ausfluß 
eines Kastenstolzes, dem die soziale Grundlage ermangle, undi 
drücken es überhaupt in jeder Weise herab. Der runde Eßtisch- 
« 
. 
> 
heftig dagegen, daß jenes schwarzglänzende Instrument nur 
gewissen Leuten sich öffne; die Möbel seien für alle geschaffen. 
Öfters reden die Einrichtungsgegenstände über den Kopf 
ihres Opfers hinweg, als bemerkten sie seine Gegenwart nicht, 
und verhöhnen es nach eigens ersonnenen Methoden. In der 
Nacht quietschen sie hämisch, um es aus seinen Träumen auf- 
zuscheuchen, und am Tag lasten sie sich unaufhörlich verschieben, 
da sie seine Abneigung gegen Geräusche kennen. Besonders 
häufig schimpfen sie über die Musik, auf die sie schon allein 
darum nicht gut zu sprechen sind, well sie beiseite gestellt 
werden, sobald sie ertönt. „Ja, wenn es noch die richtige 
wäre," nörgeln sie, ohne es ernstlich zu meinen, „aber davon 
kann ja in diesem Falle die Rede nicht sein." Sie brüsten sich 
damit, daß sie Aber, wenn auch plumper - zwar, doch zum 
wenigsten ihre Handwerk richtig betreiben, statt wie andere 
ihresgleichen lediglich von Einbildungen Zu leben und im 
Grunde sich ohne Gegenleistung ernähren zu lassen. 
Diese und ähnliche Reden verwunden das Klavier aufs 
tiefste, denn es spürt nur allzusehr, wieviel Wahres an ihnen 
ist. Um sich aus seinen traurigen Gedanken zu retten, spielt 
es am liebsten mit der Vorstellung, ein Flügel Zu sein. Ganz 
in das Bereich der Phantasie zu verweisen ist sie übrigens 
nicht. Wie ihm ein längst dahingegangenes Stamminstrument 
wieder und wieder erzählte, sind aus ihrer Familie in früheren 
Zeiten auch Flügel hervorgegangen. In der Tat unterscheiden 
sich diese von den Klavieren nur durch die äußeren Pro 
portionen, die Gefühle hier und dort sind die gleichen. Ihrer 
Schönheit und Ausdehnung allein haben sie es zu danken, 
daß sie für etwas Höheres angesehen werden und schon von 
Jugend auf eine Erziehung erhalten, die sie zu hervorragenden 
Leistungen befähigt. Man behütet sie vor den feuchten West 
winden, wacht mit Sorgfalt über der Entwicklung ihres 
Innern und bringt sie zeitig in die Öffentlichkeit, damit sie! 
sich an ein sicheres. Auftreten gewöhnen. So geneigt das' 
.Klavier auch ist. jedem das Seine zu gönnen, es erblickt eine' 
'gewisse Ungerechtigkeit darin, daß die Flügel rein um ihrer 
blendenden Gestalt willen, die doch lediglich auf den Zufällen der 
Geburt beruht, einer solchen Bevorzugung sich erfreuen. Wenn 
es sich mit ihnen vergleicht, kann es nicht fasten, daß die 
Möbelstücke, von denen manche immerhin weit herumgekommen 
sein mögen, seine eigene bescheidene Existenz ihm noch neiden. 
Allerdings hat es selber wiederholt den Zeitschriften, die man 
unachtsam auf ihm liegen ließ, rührende Geschichten ent 
nommen, in denen berichtet wurde, daß Klaviere es zu 
großem Ruhme gebracht hätten oder Stifter bräutlichen 
Glückes geworden seien. Das junge Paar habe die Instrumente 
dann in oer guten Stube aufbewahrt, sie mit einer Damast 
decke geschmückt und den Kindern und Kindeskindern als 
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