zu ersparen. Statt die Jugendlichen anzusprechen, redet sie über
sie hinweg oder durch sie hindurch. Diese medizinische Unentwegt-
heit erschreckt vielleicht durch ihre Ziffern und Bilder, verfehlt in
dessen die Empfindungen, die über den Schrecken gebieten. Der
Mensch, der sich schämt, bleibt durch die wissenschaftlichen Daten un
berührt, die für sich allein selber ohne Scham sind. Bezeichnend
genug, daß ihre Aufreihung sogar die Traurigkeit und den Cynis
mus vermissen läßt, der sie -— negativ — auf die Menschen bezöge.
Hier, wo es wirklich auf menschliche Fühlungnahme ankäme, wird
die Sachlichkeit bis Zum Äußersten getrieben. Ihre Scham-losig-
keit" ist es recht eigentlich, die im Namen der Aufklärung von der
Wirklichkeit der geschlechtlichen Liebe abdrangt. Vorzudeuten auf
sie vermöchte nur die richtige Scham.
Mangel an Takt: das genau ist das Gebrechen der jetzt
, geleisteten Aufklärungsarbeit. Aus einer verbohrten doktrinären
Gesinnung heraus, die leider für unser heutiges öffentliches Wesen
nicht unthpisch ist, hat sie sich über die menschlichen Zwischenschichten
hinweggesetzt, deren sie sich gerade in diesem Falle hätte versichern
müssen. Sie ist ohne jene Zartheit erledigt worden, die jungen
Menschen gegenüber bei einem solchen Thema angemessen wäre.
Lr.
, 2.F. .
s„Dte Bibel auf--'Teutsch — epochal!"j Diese Notiz
im Abendblatt vom 25. Januar, in der wir die Anpreisung der
BubeEosenzweigschen Schriftverdeutschung durch den Ver ¬
lag glossierten, hat uns eine Reihe von Zuschriften
eingetragen. Wir kommen unserem Versprechen nach,
sie im Anschluß an die Würdigung des Werks zu
beantworten. In der Hauptsache ist der Vorwurf der Inkonse
quenz gegen uns erhoben worden: wir hätten durch einen Vor
abdruck: ,Zoszef der Traumdeuker" (im Ersten Morgenblatt vom
12. Dezember 1925) die Übersetzung empfohlen und, kaum danach,
in jener Notiz sie mittelbar angegriffen. Gewiß, die Tatsache des
Vorabdrucks läßt sich nicht wohl verleugnen: aber eine Zeitung
hat die Pflicht, Proben aus den neuen Arbeiten angesehener
Autoren zunächst einmal ihrem Leserkreis zu unterbreiten, damit
ihm die Möglichkeit vorläufiger Orientierung gegeben weide.
Das ganze Werk konnte die Zeitung damals umso weniger decken,
als ihr auf ihre Bitte um ein Vorzitat hin nur das veröffentlichte
Stück zur Verfügung gestellt worden war. Es ist schlechterdings
nicht einzusehen, inwiefern seine Publikation die Freiheit der nun
erfolgten Kritik oder die voraufgegangene Abfertigung des ver
legerischen Waschzettels hätte unterbinden sollen; wo diese zudem,
entgegen der Weisung einiger Beschwerdeführer, auf die Schrift^
Verdeutschung selber sich noch gar nicht erstreckte. Me Befehdung
es Verlagsinserats, so beklagt man sich weiter, wäre aber
.zum mindesten zu jenem Zeitpunkt geboten gewesen, als
es in dem Inseratenteil unserer eigenen Zeitung gestanden hatte.
Nun, auch die eifrigste Redaktion kann befremdliche Inserate über
setzen; daß wir im übrigen vor der kritischen Betrachtung bei uns
erscheinender Inserate nicht zurirckscheuen, haben wir jüngst erst
bewiesen. Zum Schlüsse sei dem Wunsch des Verlags entsprochen,
der eine falsche Angabe berichtigt wissen möchte: der Druck der
Schriftverdeutschung ist nicht, wie es in der Notiz hieß, auf eng
lischem Altpapier, sondern auf englischem Alfapapier er
folgst.
WsMrmd s«r FrenndfchaftsarlM
der Kirche«.
-- Frankfurt, 28. April,
Das Thema des zweiten Verhandlungstages laugte:.
Die Stellung des Christentums zur Friedenssrage.
Kinder unserer Zeit! Dieser offenbar englische Film, den
die SaalLurg-Lich tspiele zeigen, erteilt mit Geschmack
pädagogischen Anschauungsunterricht. Er richtet sich an die
Mütter und warnt sie davor ihre Kinder allzusehr zu ver
zärteln. Vor kurzem erst lief in Frankfurt ein solcher Film
amerikanischer Herkunft; man scheint also auch in den angel
sächsischen Ländern unter den Ausschreitungen der Nachkriegs-
Generation zu leiden. Der Junge, der hier als ErziehungsoLM
austritt, ist in der Tat ein widerspenstiger Bursche; als Kind,
schon, dann in der Schule. Der Vater will mit Gewalt gegen ihn
Vorgehen, die Mutter stellt sich dazwischen. In einigen unauf
dringlichen Bildern werden pädagogische Konsequenzen gezogen.
Der Achtzehnjährige besucht mit einem Mädchen ein Vorstadtlokal
und Überfahrt im eigenen Auto eine Frau. Es kommt zur An
klage und zur Verurteilung wegen Lotschlags. Die Mutter wirft
sich vor die Dichter: sie feDer sei schuldig, fie allein zu bestrafem!
So wenigstens könnte es kommen. Doch Zum Glück geschieht das
letzte nur im Traum, sodaß die Mutter noch rechtzeitig Gelegen
heit erhält, den ungezogenen Sprößling durch entschiedene Prügel
zu kurieren. Die Moral ist schlagend und hat in diesem Falle
etwas unmittelbar Ueberzeugendes. Gespielt wird gut. -- Bilder
aus Wien und ein amerikanisches Lustspiel find
vorangeschiSL. rars.
Dir Brüder GchMerrberg.
--- Mefee «MK GrsßfilM der Ufa, den die Ufa-Lichtspiele
Mgen, P ein einziger Kampf des Regisseurs mit dem Stoff. Karl
Grüne, dem man einen der schönsten deutschen Filme: „Die
Straße , dankt, hat an dem Kellermannschen Roman einen Vorwurf
gefunden, der, wie reich immer er an packenden Szenen und Figuren
des heutigen Lebens sei, doch nur der Sphäre des mittleren UnLer-
/E^"8^wmans in die des echten Films sich nur schwer übersetzen
läßt Eine geschlossene Handlung mit seelischen Konflikten treibt
an die Oberfläche empor, die mit TaLsächlichkeiten reich durchsetzt
wird; aber — und das ist wesentlich — die Bilder der Oberfläche
haöen den seelischen Ereignissen gegenüber kein EigenrechL. Grüne
hat durch mannigfache Abänderungen des Textes versucht, dem Film
zu geben, was des Wlmes ist. Vor allem ist es sein Bemühen ge
wesen, das Psychologische möglichst zu tilgen und die inneren Zu
sammenhänge hinter der Fülle der Einzelbilder verschwinden zu
lassen. So entsteht eine Reihe wirksamer Bilder: der große Börsen-
tag, Ausschnitte aus dem Pariser Hotel, das Schiebercafe. Aber
aus dem Zwang des Stoffes heraus sind diese Szenen so realistisch
Uraten, daß andere, die eine dem Film entsprechende phantastische
Auflösung der vorhandenen Wirklichkeit darstellen wollen, nicht recht
zu ihnen passen. Der Traum des jungen Wenzel Schellenberg von
künftigem Reichtum etwa, in sich zu folgerichtig konGoniert, durch
bricht hart und willkürlich die Schilderten des normalen Alltags
lebens. Auch die allzu deutlich gestellten Großstadt-Phantasmagorien
gehen mit den unwahren Straßenstücken und Interieurs nicht M-
sammen. Nur in einigen auf Licht- und Schatteneffekten gestellten
Aufnahmen eigentlich bewährt Grüne diesmal seine Meisterschaft
Ein Bild zumal prägt sich ein: der nächtliche Abflug eines Aero-
plans; die Scheinwerfer erzeugen auf dem dunklen Gelände
horizontale weiße Lichtstreifen, die ornamental auf- und abwogen
und vergehen. Von solchen wunderschönen Einzelheiten abgesehen
rst aber der Regisseur immer wieder in dem Stoff verstrickt, dessen
Gewalt ihn dort hinlenkt, wo er vielleicht nicht hinkommen will.
Man hat einen guten Abschluß an gebaut und derart die unzu
lässigen poetischen Ambitionen Kellermanns auf ihr Mindestmaß
eingeschränkt; doch sind immer noch zu viele dichterische Ansprüche
geblieben, die von dem Roman nicht erfüllt werden und in dem
Bereich des Films fehl am Orte sind. — Beherrscht wird die Szenen
von Conrad VeidL, der in der Doppelrolle der Brüder Schellen-
berg sich selber des öfteren gegenübersteht. Er ist sowohl als
fanatischer Weltverbesserer wie als Nachkriegs-Smporkömmling über
zeugend. In der Wahnsinns-SZene nach der Erwürgung Esthers, in
der übrigens die Kerzenlichter gut mitspielen, entwickelt er starke
suggestive Kräfte. Lil Dagover als Esther gibt dem blasierten
Großstadtmädchen den Ausdruck innerer Zersetztheit und die voll
endete Künstlichkeit der Gebärde. Ihre Mienen wissen das Furcht
bare der Verlorenheit zu treffen, jede Bewegung der schmiegsamen
Gestalt ist aufreizend bewußt. Für die Qualität der schauspielerischen
Leistungen bürgen im übrigen die Namen Liane Haid, Wilhelm
Bendow, Erich Kaiser-Titz, Paul Morgan, Frieda
Richard; ein Starensemble, auch Bruno Kastner wirkt mit
Aber das Schauspielerische allein entscheidet noch nicht über den
Wert eines Films.
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