gefärbte Flüssigkeit in der Röhre echte Tinte ist. Es genügt ihnen
festzustellen, daß diese abenteuerlichen Existenzen das seßhafte Leben
fliehen und die Federn , der entlegensten Länder zum Abfall von der
heimischen Art erregen. Sie halten sich in der Regel in dunklen
Rocktaschen auf oder schmarotzen gar in den Westen. Am liebsten
produzieren sie sich in der Eisenbahn und auf tintenfreien Feldern,
um aller Welt ihre Unabhängigkeit von den TinLengefäßen Zu be
weisen. Dem Vernehmen nach sollen sie bei solchen Gelegenheiten
durch frei erfundene Schnörkel nach dem Beifall der Menge haschen.
Häufig ziehen ste an Schreibpulten, deren Einrichtung nichts zu
wün-chen übrig läßt, mit betonter Gleichgültigkeit vorüber, ohne
auch nur aus ihrer Rohre Herauszusehen; ein Verhalten, das die
ortsansässigen Kelche besonders verstimmen muß. Immerhin, man
würde ein Auge Zudrücken, handelte es sich lediglich um Unarten,
wie sie in der jungen Generation heute verbreitet sind. Wer leider
verstößt das Betragen der Füllfedern auch wider jede öffentliche
Moral. Statt in die gewiß gerne zur Verfügung stehenden Behälter
einzutauchsn, lassen ste sich die in ihrer eigenen Röhre enthaltene
Flüssigkeit einführen; nicht nur von Fall zu Fall, sondern in steti-
! gem Fluß. Das Peinliche des Hergangs wird noch durch die Win
dungen erhöbt, die ste vor und m dieser Manipulation vollführen.
Ueberträfen sie wenigstens die der Scholle treu gebliebenen Federn
durch die Qualität ihrer Leistungen! Gerade die Mitnahme des
Proviants jedoch, von der man sich anfänglich viele Vorteile ver
sprochen hat, übt eine erschlaffende Wirkung auf die Füller aus. Sie
werden bequem und versäumen die Amtsstunden. Unparteiische
Berichterstatter haben schon wiederholt beobachtet, daß die Ehrlich
keit ihrer Arbeit sich verringert hat.
Wie dem auch sei, die Tintenfässer jedenfalls haben unter der
Entwicklung zu leiden. Sie, die in dem höchsten Mittelstand Fuß
ermangeln. In der Zeit der Romantik wurden sie um ihres inne
ren Wertes willen geschätzt. Damals quollen sie von Liebes
briefen über, die in die LiteraturgeschiHte eingegangen sind, und
erfreuten sich reichlicher Erträgnisse aus ihrer Schriftstellerei.
Kummer bereitete ihnen einzig ihr Name. Konnte ihre Oeffnung
mit einem Spundloch verwechselt werden? Pflegten sie achtlos
auf dem Boden zu rollen? Der Ausdruck Tintenkelch, so meinten
sie in aller Bescheidenheit, wäre ihrer Bedeutung angemessener ge
wesen, er gemahnte an Lilien. Nur das Beispiel der Geusen be
wog ste dazu, die Benennung Fässer als Ehrennamen M tragen.
Es ist der Allgemeinheit bekannt, wie sehr sich die Lage der
Tintenfässer mittlerweile verschlechtert hat. Umfassende Unter
suchungen sind angestellt worden, um die Ursachen dieser sozialen
Veränderung zu erforschen; teils der Vollständigkeit unserer Er
kenntnisse wegen, teils aus, soziologischen Gründen. Die Enqueten
erlauben den Schluß, daß die Unterdrückung der Tintenfässer mit
dem Vordringen der Schreibmaschinen zusammenhängt. Diese
bieten rmleugbar einen komischen Anblick: sie gleichen Polypen, die
ans Land geschleudert worden sind und nun hilflos um sich schla
gen. Indessen verhehlen sich die Kelche nicht die Gefahr, die ihnen
von den lächerlichen Ungetümen her droht. Sie wissen, daß der
SLegeszug der mechanisHkn KunsLkästen eine Folge der National
ökonomie ist, ja, ste gestehen sich freimütig ein, daß der von den
Tasten erzeugte Lärm die Verrichtung untergeordneter Arbeiten
erleichtern mag. Wer es ist ein anderes, eine schlichte kaufmännische
Berechnung hervor zu Tappern, und ein anderes, auf den Gebieten
des höheren Innenlebens schöpferisch tätig zu sein. Tinte muß
fliehen, wenn die Seele es tut; denn es kommt dann nicht mehr
allein auf den Inhalt des Geschriebenen an, sondern auf die Be
sonnenheit, mit der die Feder sich in das Feuchte vertieft und den
Luftweg zwischen Kelchrand und Papier durchmißt. Zur Auf
klärung der von den Polypen verhetzten Massen haben die Tinten
fässer einen Preis für das beste lyrische Gedicht ausgesetzt, das
nachweislich unter Benutzung mindestens eines der ihren vergossen
worden ist. Auch haben ste an etlichen kleinen Universitäten Lehr-
slühle gestiftet. Leren Inhaber verpflichtet sind, in der Jugend die
Ueberzeugung von dem vaterländischen Sinn der Stahlseder-
fl schwänge zu wecken. Durch diese, und andere vylW
Maßnahmen Hoffen sie eine neue Blüte des HandschrifLenwesens zu
erzielen.
Verheerender als der Einbruch der Schreibmaschinen, denen es
zuletzt doch an der geistigen Überlegenheit gebricht, ist das Umsich
greifen der F ü l e d e rh al t er, die von innen her die alte Ord
nung zerstören. Sie sind nichts weiter als gemeine Federn, die sich mit
einer Art von Röhre versehen haben, in der sie sich die meiste Zeit
über wie die Schnecken verkriechen. Die Tintenfässer wollen weder
nachprüfen, ob sie wirklich aus Gold bestehen, noch ob die blau-
Von Naes.
Vor Zeiten führten die Tintenfässer ein weithin geachte-es
Dasein. Sie wohnten auf besseren Schreibspinden, dwen manche
W verschließen waren, und betrieben mit Wohlanstanö ihre Ge
schäfte. Die Meisten von ihnen neigten zu rundlicher Fülle; wenn .
ste älter wurden, entwickelten sie einen Hang für üppge Schnitze-!
rcien. Anmut und Würde strömten von ihnen aus. Abends vor
dem Schlafengehen setzten ste sich ein Käppchen auf und erbauten
sich an dem Gedanken, daß die Strebsamen niemals der Tinte!
der die Körperkraft und Körperschönheit unversehens Zum Kult ge
rat. Daß er dem der Antike gleiche, behaupten die Vildtitel oft
genug. Aber sie ir-en: in der Antike war der schöne Körper nicht
Selbstzweck sondern erwuchs aus der Verehrung der Helden und
Götter als das lebendige Sinnbild der verehrten Gestalten. Nicht
auf die griechischen Kampfspiele — auf ein seiner bildhaften Ge
halte entleertes Heidentum greifen die Anhänger der abstrakt
mythologischen „Körperkultur" unserer Tage zurück. In
einer Filmszene verwandeln sich die Tänzerinnen eines antiken
Vasenbilds in griechisch kostümierte §irl8, die den Reigen auf der
Vase kopieren. Ihre Schönheit ist nicht zu bezweifeln; doch den
"GM, dem die schöne Gebärde der Vasenfiguren galt, sucht man
bei ihnen vergeblich. Er erblüht auch nicht aus der rhythmischen
Gymnastik, wie feierlich immer die Mary Wigman-Schule schreite
oder Amtsgerichtsrätinnen das von Mensendieck vorgeschriebene
Ritual verrichten. Der Gott ist wirklich unbekannt, dem diese und
andere edel verbrämten Gesten derer zugedacht sind, die in Schön
heit nicht nur sterben, sondern auch leben wollen. Oder vielmehr:
er ist der vergötzte Körper selber, aus dessen Training sich die Seele
gewiß nicht heraus schlagen läßt. ^Seinem Dienst sind nicht zuletzt
die übertriebenen sportlichen Begehungen geweiht, die das Phantasie
leben der Massen heute mehr beschlagnahmen, als es für das Ziel
der körperlichen Ertüchtigung erforderlich wäre. Ob zu „ethischem"
oder „religiösem" Nutzen? Die Frage beantwortet sich selbst.
Man hat dem Film von katholischer Seite vorgeworfen, daß er
das sittliche Empfinden verletze. Er ist von Anstößigkeiten frei.
Seine -optischen Anleitungen zum vernunftgemäßen leiblichen Dasein
sind der Beherzigung wert. Seine Setzung des Körpers als der
alleinigen Grundlage alles Höheren entspringt der Konfusion. Der
Geist sprießt nicht aus dem Körper wie ein Gewächs hervor.
Bei Gelegenheit der Vorführung des Films in den
Frankfurter Ufa-Lichtspielen.
„Wege zu Kraft und Schönheit".
Die neue Auflage des bekannten Ufa-Films hat sich mehr
als die erste den gesundheitlichen Bedürfnissen und materiellen
Möglichkeiten des kleinen Mannes angepatzt — ein Wendung, dre
gutoeheißen werden kann. Außerdem find die Sportberichte auf
den letzten Stand gebracht: Nurmi, Rademacher und Susanne
Lenglen bewegen sich unter der Zeitlupe zu Wasser und zu Lande.
Seine Vollständigkeit macht den Film zu einem Kompendmm der
Körperkultur; seine Wahllofigkeit zum Magazin.
Zwei Richtungen — vielleicht auch mehrere — mengen sich fort
gesetzt in ihm. Die eive erblickt in der Körperpflege und
dem richtig betriebenen Sport ein Mittel, um die Menschen ber
guter Gesundheit zu halten und gewisse leibliche Tugenden ihnen
einzMötzen. Diese Entwicklung ist vernünftig durchaus; sie orga
nisiert auf dem Gebiet des Körperlichen, was zu organisieren ist.
Gymnastische Uebungen am frühen Morgen, die rationelle Ausbil
dung kranker Schulkinder auf dem Land, Erholungsspiele und der
eine oder andere Lioblingssport: niemand wird wider Hygiene und
Körperlust etwas einzuwenden haben. Der Film Zeigt eine Reihe
von Beispielen, die zu solchem löblichen Tun ermuntern und er
zieherisch wirken mögen. , . .
Die andere Richtung, die sich leider stark hervordrängt, wnd
durch einen Satz des Filmprosvekts gekennzeichnet, der „die
ethische, man mochte fast sagen religiöse Bedeutung der >
Körperkultur" rüAnt. Eine Überschätzung des Bloß-Natürlichen,