Skip to main content

Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

iv? 
Zwei IILchen. 
Die Bai. 
DLarseM, em blendendes Amphitheater, baut sich um das 
Rechteck des Lllten Hafens auf. Den meergepflasLerten Platz, 
der mit seiner Tiefe in die Stadt einschneidet, säumen aus den 
drei Uferseiten Fassadenbänder gleichförmig ein. In ihre glatte 
Helle bracht dem Eingang der Bai gegenüber die Ouuvsbiöre, 
die Straße der Straßen, die den Hafen bis zum SLadtinnern 
weiterträgt. Sie nicht allein verbindet die hochschwingenden 
Terrassen mit dem Platzungeheuer, aus dessen Grund wie 
Wasserbüschel einer Springfontäne die Quartiere steigen. Auf 
ihn, als den FluchLort aller Perspektiven sind die Kirchen aus 
gerichtet, ihm die noch unbedeckten Hügel zugewandt. Ein 
solches Publikum ist kaum je um eine Arena versammelt ge 
wesen. Füllten Ozeandampfer das Bassin, ihre Rauchfahnen 
wehten den entlegensten Häusern, brennte Feuerwerk über 
der Fläche ab, die Stadt wäre Zeuge der Illumination. 
Keine Ozeandampfer füllen die Bai, Raketen gleiten nicht 
nieder. Jollen, Motorbarken, Pinassen nur liegen trag an den 
Rändern. Zur Zeit der Segelfischerei war der Hafen ein Ka 
leidoskop, das bewegte Muster über die Kais entsandte. Sie 
verrieselten in den Poren, an den herrschaftlichen Gebäuden 
hinter den Uferfronten gleißten die Gitter. Der Glanz hat sich 
abgenutzt, die Bai ist aus der Straße der Straßen zum Recht 
eck verwaist. Teil an ihrer Oede hat der seitliche Wasserarm» 
ein vergessenes Rinnsal, das die starren Häuser nicht spiegelt. 
Die Stadt halt ihre Fangnetze geöffnet. Eingeholt wird die 
Beute irr den neuen Hafenbassms, sie im Verein mit der 
Küste eine mächtige Wurflinie beschreiben. Ankunft und Ab 
fahrt der Überseedampfer sind die Pole des Lebens, den Ver 
schwindenden glüht es. Die Trostlosigkeit der kahlen Lager 
hauswände ist ein Schein; ihre Vorderseite sähe der Prmz 
aus dem Märchen. In den Schwammhöhlungen des Hafen 
viertels wimmelt die menschliche FaurM, rein steht in den 
Lachen der Himmel. Verjährte Paläste sind zu Bordellen um- 
gewandelt, die jede Ahnengalerie überdauern. Der Völker 
haufen, in dem die Völker vergehen, wird durch Alleen und 
Bazarstraßen geschwemmt. Sie grenzen die Bezirke ab, auf 
die sich der Zustrom verteilt. Die ewige Masse der kleinen Ge 
werbetreibenden tost in den Muschelwindungen des einen. 
Unbefahren räkelt sich in der Mitte die Bai. Ihr Dasein 
Mein verbietet den Wölbungen sich zu schließen. An ihren 
Ufern laufen sich die Straßen tot, sie biegt die Graden zu 
Kurven um. In ihrer Oeffentlichkeit verliert sich das Offen 
bare, ihre Leere spreizt sich im fernen Winkel. So stumm ist sie, 
daß sie als Pause durch das Gekreische sich wälzt. Die vollen 
Ränge des Amphitheaters streichen um einen Hohlraum. Das 
sufgerichtete Publikum dreht ihm den Rücken. 
Das Karree. 
Nicht gesucht hat den Platz, wen er findet. Die Gaffen, zer 
knüllte Papierschlangen, sind unverknotet ineinander ge 
schlungen. Ueber die Erdsalten führen Traversen, die sich am 
Putz reiben, in Kellertiefen stürzen und zu ihrem Anfang 
^rückgeschleudert werden. Ein Hintertreppenquartier, oie 
Punkaufgänge fehlen. Türen stehen offen, aus denen graugrün 
der Geruch der Meerabfälle schwelt, rote Lämpchen weisen den 
Weg. An den Durchblicken sind Versatzstücke improvisier:: 
Reihen von Schwibbögen, arabische Schrifttafeln, Stufenge- 
winde. Läßt man sie hinter sich, so werden sie abgebrochen und 
am neuen Ort wieder errichtet. Ihre Ordnung kennt der 
Träumende. 
Eine Mauer ist der Vorbote des Platzes. Schlaflos hält sie 
sich aufrecht und verriegelt das Labyrinth. Mit hündischem Ge 
horsam begleitet sie eine Furche, trottet auf Schritt und Tritt 
ihr zur Seite. In die Mauer sind Luken eingesprengt, in weiten 
Wständen kleine Löcher, die den Räumen dahinter kein Licht 
gewähren. Andere Mauern von gleicher Länge verkürzen sich 
wie Eisenbahngleise; diese nicht. Ihre Fluchtlinien laufen aus 
einander — sei es, daß die Furche fällt, sei es, daß die 
Mauerbekrönung stetig steigt. Neben der Furche breitet sich 
Unversehens der Platz. 
Gr ist ein Karree, das mit einer Riesenform in das Ge 
schlinge gestanzt worden ist. Kasernenblöcke formieren sich um 
W» die Rückwand LA rot gestrichen. Eine Rampe schießt von 
ihr aus vor, hält an, bricht ab. Die Horizontalen sind mit dem 
Lineal gezogen, schnurgrad. 
Auf dem menschenleeren Platz begibt sich dies: durch die 
Gewalt des Quadrats wird der Eingefangene in seine Mitte 
gestoßen. Er ist allein und ist es nicht. Ohne daß Beobachter 
zu sehen wären, dringen ihre Blickstrahlen durch die Fenster 
läden, durch die Mauern. Sie fahren bündelweis über das 
Feld und schneiden sich in der Mitte. Splitternackt ist die 
Angst; ihnen preisgegeben. Kein Palmbukett streichelt die 
Kanten, das die Blöße Zu decken vermöchte. Ein Gericht Lagt 
auf unsichtbaren Sitzen um das Karree. Es ist der Augenblick 
vor der Verkündigung des Wahrspruchs, der nicht ergeht. Der 
zugespitzte Pfeil der Rampe deutet auf den Harrenden, folgt 
ihm nach, ein wmldelnber Zeiger. So kehren sich die Augen be 
rüchtigter Porträts dem Beschauer immerfort zu. Die rote 
Hinterwand ist von der Platzfläche durch einen Spalt getrennt, 
aus dem ein Fahrweg anfteigt, den die Rampe versteckt. 
Niemand sucht in dem Knäuel der Bildergänge das 
Karree. Seine Größe wäre bei peinlicher Ueberlegung mäßig 
zu nennen. Doch dehnt es sich, wenn die Beobachter auf ihren 
Stühlen sich niedergelassen haben, nach den vier Westseiten 
aus, erdrückt die armseligen Traumweichteile und ist ein 
QuadratohneErb raea. 
Knaße und Stier. 
Bewegungsstudie. 
Nix (Provence), Mitte September. 
Ein Knabe tötet einen Stier. Der Satz aus der Schulgram- 
matik wird in einer gelben Ellipse dargestellt, in der die Sonne 
kocht. Auf das Oval blickt es von den Tribünen und Bäumen, an 
denen die Einheimischen wie blaue Bananen hängen. Der Stier 
Lost dumm durch die Arena. Dem trunkenen Placken steht der 
Knabe allein gegenüber. 
Er ist ein orangener Punkt mit umgeschlagenem Zopf. Dreizehn 
Jahre, ein Bubengesicht. Andere Jungen seines Alters sausen im 
Prunkkostüm über die Prärie und erretten die weiße Squaw von 
dem Martertod. Vor einem Stier liefen ste davon. Der Knabe steht 
und lächelt zermoniell. Das Tier erliegt einer Marionette. 
Sie reizt den Orkan nach der Vorschrift des Rituals, von dem 
ste vergrößert zurückgestrahlt wird. Ein Püppcheu auch könnte das 
rote Tuch auswerfen, in dem der Stier den Gegenfetisch erkennt. 
Er will ihn niederstürmen, das Tuch entschwebt, von dem Püppchen 
in eine Arabeske verwandelt. Natürliches ließe sich auffpießen, vor 
dem Gleitflug der rinnenden Falten schwinden die Kräfte. 
Die Marionette wird zum orangenen Weib, das den Tolpatsch 
lockt. Es nähert sich ihm mit Wiegeschritten, die Hände hissen zwei 
kleine farbige Lanzen. Ein Theaterlachen der hochgereckten Heldin 
kündigt den Liebeskampf an. Der Stier geht dem ausgeklügelten 
Rhythmus ins Garn. Doch das Gespinst ist elastisch, und schon hat 
der kleine Magier ihm die kleinen Lanzen in die Flanken gesteckt. 
Drei Lanzenpaare bemustern den Placken, Stricknadeln im Woll- 
knäuel, mit wehenden Bändern. Er möchte sie abschütteln, vergeb 
lich, die Geometrie sitzt fest in den Wülsten. 
Der Knabe breitet einen Lappen von der Röte des Hahnen 
kamms. So lang ist der Degen, den er hinter dem Vorhang ver 
birgt, daß er an ihm in die Luft klettern könnte. Die Attribute 
der Fläche und der Linie bezeichnen das Nahen des Endes. Die 
Marionette läßt den Lappen funkeln und zieht mit dem Degen 
Kreise, die sich verengen. Dex Stier wird von einem Zittern 
befallen vor der Gewalt der Ornamente. Sie, die in Rauchringen 
gleich umstrichen, später punktweise trafen, pressen sich drohender 
stets an ihn, damit er in dem Kanevas vergehe. 
Nach ist es ein Spiel. Der Degen möchte umkehren, die Rote 
müßte sich im Blut nicht begegnen. Es ist ein einziger Stich, ein 
rasches, stechendes Leuchten, das durch die Wand springt. Der 
Degen schnellt aus der Marionette, nicht der Knabe hat ihn ge 
stoßen. Das verwunderte Element stockt und glotzt. Ueber die 
Degenlinie triumphiert die Krümmung der sinkenden Masse. Nun 
herrschen die Farben und Schwünge. 
Dem umlaufenden Miniatursteger fliegen Kappen und Taschen 
nach, Bukette des Jubels. Die Sonne glüht m der Ellipse. Der 
Knabe steht und lächelt zeremoniell.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.