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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

erfs s s e r sin-d nach ihm die großen Religionsstifter gewesen, 
einen Sinnesevsasser nennt er stch selber. Er gliedert stch damit 
bewußt einer Menschenspezies ein, deren Werke statt der schnell 
abgestandenen Theorien unvergängliche Keime sind und deren 
Geist, wie er bei Gelegenheit Christi sagt, sich als unmittel 
bares Leben manifestiert. Von ihnen gehen Impulse aus, nicht 
fertige Lehrmeinungen, und einen Impuls Will auch Keyserling 
in der Schule her Weisheit erteilen. Er hebt diese ihre 
Bedeutung mit den Worten hervor: Darmstadt wandelt „Jahr 
fir Flchp die GrmKtheme» dM SMtcS« poMhsn von «WM 
Verstehensniveau aus ab und erteilt ihnen dadurch einen neuen > 
Sinn". Es ist also nicht eigentlich Bescheidenheit, die ihn auf die 
Unzulänglichkeiten seines Daseins blicken läßt, vielmehr: hie engen 
Beziehungen von Unzulänglichkeiten und Leistungen werden 
unterstrichen, um die Leistungen zum Ausdruck der auf Sinnes 
erfassung gerichteten Persönlichkeit zu stempeln. Denn wie heißt 
es von Christus? Es kommt „bei Geistern letztendlich nicht auf 
das Mas', sondern allein das Mer' an". Ehen dieser Wer ent 
hüllt in der autobiographischen Skizze seine Unzulänglichkeit. 
Die folgenden Sinnbilder dienen dem eigenen als Relief 
und als Bestätigung. Keyserling wirkt; Schopenhauer 
hat nicht gewirkt. Da abxr nach Keyserling die Menschen so 
wirken, wie sie sind, kann Schopenhauer nicht gut wer gewesen 
sein. Seine Philosophie wird als eine der Ohnmacht gekenn 
zeichnet; der Ohnmacht, die ihren Grund in seinem unschöpferi- 
schen Willen, in der mangelnden Willenskraft seiner ver 
einigten Fähigkeiten hat. So glänzend diese Fähigkeiten im 
einzelnen sein mögen, Schopenhauer als Persönlichkeit hat 
kein Verhältnis zum Sinn. Er wird daher zum Musterbeispiel 
der Artisten, der Essayisten und Feuilletonisten erniedrigt — 
einer Menschenklasse, mit der Keyserling so gründlich zu Ge 
richt geht, daß der Verdacht nicht abzuweisen ist, seine 
empirische Unzulänglichkeit habe unter ihr zu leiden gehabt,! 
Ist der Gesamtabrechnung spielt das angebliche Vorurteil her 
Lite raten, daß die Sprache über den Wert der Gedanken 
entscheide, keine geringe Rolle, Seiner Sachkxftik an S-chopen- > 
Hauer wäre im übrigen unbedenklich zuzustimmen, versetzte er 
nicht zu gleicher Zeit Nietzsche unter die Gestirne („- - - was 
Nietzsche bedeutet, werden erst unsere Enkel ermessen können"), > 
Die Zensuren erwecken Mißtrauen gegen den Ginn, der in 
Darmstadt erteilt wird. 
„Prophetie beruht nicht auf Tatsachen-, sondern SinncS- 
schau." Also ist zwar Keyserling ein Prophet, aber SPcng- 
ler mitnichten. Er wird, richtig durchaus, als „Tatsachen- 
mensch" erfaßt, der den Primat des Geistes nicht anerkennt 
und darum zur Blindheit gegen die Ideen verurteilt ist, die 
den Zug der Geschichte bestimmen. Zum Beweis dessen, daß 
nicht das Wut, sondern der Geist die Welt verwandelt, führt 
Kchserling die gemischte Gesellschaft von Buddha, Mussolini 
und Lenin an. 
Kant erhält einen Ehrenplatz, doch er wäre mit der Aus 
zeichnung kaum zufrieden gewesen. Denn als sein Verdienst 
wird erachtet, daß er eine „Philosophie der allgemeinen 
Sinneserfassung" ermöglicht; nicht etwa, daß er Religion und 
Ethik auf Vernunftforderungen gründet. Keyserling verübelt 
ihm ein wenig die systematische Darstellung seiner Erkennt 
nisse, der allenfalls ein gewisser Nützlichkeitswert innswohne, 
versöhnt sich aber dann wieder mit dem System, weil Kant 
trotz dchses Schönheitsfehlers so fortwirfte, als hätte er nur j 
Keime ausgestreut. i 
Besser ist G schon, SGK« M WbW, ßmdsW «vms» 
züglich den Sinn zu erschauen und weiter zu geben. So ist 
es in Darmstadt der Brauch, so haben es zu allen Zeiten die 
Magier gehalten, die bösen und die guten. Alle Sinnes? 
Verwirklichung, sagt Keyserling, ist Magie, und der Magier 
verkörpert das schöpferische Prinzip des Geistes in männlicher 
Modalität, Auch I esus, das fünfte und letzte Sinnbild des 
Buches, lst ein Magier gewesen, esn guter Magier natürlich, 
einer jener Magier höchster Art, von denen Keyserling be 
merkt, dap ihr Urquell der „kosmische Sinn" sei, ein Geist, 
der ganz konkret geworden ist, kurz, ein Geist von persönlichem 
Stil. Das „Urbild alles Stils" ist das Wort, bemerkt 
Keyserling weiterhin, und ex mißt dem Wort am Schlüsse 
soviel Bedeutung bei, daß er es zum ursprünglichen „Körper 
alles Sinns" erhöht. " 
Hält man diese Erkenntnis mit der abfälligen über die 
Lfteraten zusammen, so ergibt sich ein Widerspruch, der 
schon allein genügte, um gegen den in Darmstadt erteilten 
Sinn skepasch zu stimmen. Aus Anlaß Schopenhauers, des 
Artisten, ward geäußert, daß „tief denken und gut schreiben 
Me; Dmge sind, von denen keins das andere notwendig be 
dingt-; in der Gegend um Jesus wird festgestellt, daß das 
. unmittelbar „spermatisch-schöpferisch" sei und nur gut 
geschriebene Bücher fortlebten. Das erste Mal scheint Keyser 
ling aus Grimm gegen die Lfteraten und als Fürsprecher 
?VLWruläMichM -enteilt zu haben; das zweite 
Rücksicht auf das JphMnes-Evangelium. Ein Sinn 
k n E, oh er sich gut cher schlecht ausdrücken 
«E, ist fnfpßkf. 
-, s/l nicht nur suspekt, sondern er ist seiner wahren Be 
schaffenheit ubcrführt, wenn von ihm gesagt werden darf, daß 
könne „Ich glaube fest daran," erklärt 
.reyserlrng, „daß das Leben einen tiefen Sinn hat, sofern 
man ihn ihm gibt." (Vom Autor gesperrt.) Dieses Wort 
vom Sinnertsilen fällt in Verbindung mit WAMMMsiMMps; 
an entscheidender Stelle, um von Keyserling sprachgewandten 
Lfteraten gegenüber als Belanglosigkeit entschuldigt zu wer 
den. Wird es aber voll belastet, so erhellt aus seinem Gebrauch, 
daß her Keyserlingsche Sinn nicht danach gngetan ist, die 
empirische Unzulänglichkeit zu legitimieren, zu der er in funk 
tionaler Beziehung steht, Denn der echte Sinn wird nicht 
gegeben oder in Därmstadt von Fahr zu Fahr erteilt, er wird 
vielmehr erkannt und genommen. Ohne Zweifel erkennt 
und nimmt ihn der ganze Mensch, der ihn fortan darstellt. 
Aber dieser Mensch hat ihn als einen inhaltlich bestimmten 
Sinn, den er der Welt einpftanzen will, weil er ihn für richtig 
und geboten hält stehe Buddha und Lenin (auf Mussolini 
wäre in diesem Zusammenhang doch Wohl zu verzichten) — 
und es wird ihm niemals etnfallen^ irgendeinen Sinn für 
richtig und geboten M halten, weil er sich mit ihm der ganzen i 
WeS Pende« «Achte. D«. G. ; 
— Der Meister der Welt. Würden Sie, wenn stch eine Frau um 
Ihretwillen mit dem Revolver nicht unerheblich verwundet hätte, 
das Zimmer verlassen, um als Dauerlaufer in einem Entschei 
dungskampf anzutreten? Der Held dieses in den „Alemanni a- 
Lichtspielen" gezeigten Films tut es. Er ist ein bildhübscher, 
junger Mann, gefeierter Läufer, eine Kapazität im Stadion. Der 
Film entrollt einen Ausschnitt aus seiner heroischen Biographie. 
Großer Sieg in England, Massenjuöel, das Mütterchen zuhause 
strahlt. Eine Braut ist vorhanden, deren Vater jedoch die Größe 
des Marathonläufers vorerst noch nicht zu würdigen vermag. Olga 
Tschechowa,. die Freundin des geschlagenen Konkurrenten, ban- 
delt mit dem Sieger an, um ihn bei dem nächsten Entscheidungs 
kampf zu schwächen. Der schöne Jüngling taumelt in diesen Venus 
berg hinein, sein Mütterchen weint, aber die blonde Braut, alias 
Tenia Desni, befreit ihn aus den dämonischen Fängen. Er siegt 
wider Erwarten auch zum zweiten Mal. Maffenjubel, Mutterstrahlen, 
bekehrter Papa. Dieser nach einem Roman von Werner Scheff ge 
drehte SportblattberichL ist sehr hübsch aufgemacht. Gut und flott 
sind die Nebenszenen: Stadionausschnitte, Schlafwagenaspekt.e, An 
kunft in Berlin usw. Ja, mitunter scheint sich in den sportlichen 
Ernst eine leise Ironie zu mischen, die den Enthusiasmus für die 
Läufer noch übertreibt, um seine Komik ins Bewußtsein zu er 
heben. Die Hauptfigur ist übrigens nicht der Läufer selbst, sondern ' 
PaulGraetzals Trainer. Ob er ein tüchtiger Trainer ist, bleibe 
dahingestellt. Aber wundervoll mischt er Fürsorglichkeit, pfiffiges 
Wesen und Überlegenheit. Sein Trikot ist ein Gedicht, und für 
seinen Mienenspiel während des Rennens möchte man das Rennen 
selber Preisgeben. Dieser Trainer ist zugleich der humoristische Kri 
tiker seiner Tätigkeit. RLQL. 
, / r. . 
Die Frau ohne Namen, 
Film der „B i -b e rba u -L icht spiele" ermög 
licht auf bequeme Art eine Reise um die Welt. Man steht 
in ihm er wirb nicht wie die Mehrzahl Ser durchschnitt 
lichen GeMchaftsfilme vor gestellten Staffagen gedreht. In seiner 
Haltung fchlreßt er sich ungefähr an den Ellen Richier-Film an, 
der vor längerer Zeit die Sehnsucht nach fremden Ländern bc- 
friedlgte. „ Auch die „Frau ohne Namen" legt eine aufregende 
Reye Mruck. Das Motiv der Unternehmung ist Ee sehr hübsche 
Mmrdee. Die betreffende junge Dame ist Besitzerin einer ameri- 
kamschen Zeitung, die im Begriff ist, bankerott zu gehen. Aus 
Rektamegründen beschließt das Mädchen, «in halbes Jahr zu ver 
schwinden; wer ihren Aufenthaltsort ausfindig macht und sie dem 
amerikanischen Konsul ausliefert, soll 100 060 Dollar erhalten, 
.ihr intimster Konkurrent, ebenfalls Zeitungsbesitzer, ebenfalls 
reklamebdurstrg, heftet sich ihr an die Fersen. Heißt es indiskret 
>em, wenn wir verraten, daß die beiden sich lieben? Fügt man 
noch hinzu, daß die junge Dame von keinem geringeren Kavalier 
als Georg Alexander begleitet wird, während den Konkur 
renten eine Schlangentänzerin bedrängt, so ist die lustige Expo 
sition gegeben, und zugleich hinreichend deutlich aüsgedrückt, daß 
aus der Schlangentänzerin und dem Kavalier stch gleichfalls ein 
Paar gestalten wird. Die Sache beginnt in New Yorker Zei- 
tungsöetrieben, deren Interieurs den Referenten nicht eben darauf 
begierig machen, sich als amerikanischer Reporter zu versuchen. 
Dann geht es nach San Fvancisco, mit vielen Komplikationen, 
aps der Veranlassung .zur Expedition mit Notwendigkeit folgen. 
Elga Brrnk ist ein tollkühnes Mädchen und ihr Partner Jack 
Trevor nicht auf den Kopf gefallen. Immer und überall trifft 
das Quartett wieder zusammen, die Welt ist klein. Daß sie groß 
rst, schön und verschiedenartig wird durch viele famche Aufnahmen 
bewiesen. Wo machen wir nicht des verrückten Abkommens wegen 
Station: Mitten in Amerika springen wir aus dem Expreß, wir 
werden in Frisko auf den Kutter eines Sektschmugglers (Stuart 
Rome) verstaut, besteigen in Honolulu den Kilaulea, verschiffen 
uns als bunde Passagiere nach Schanghai, setzen unter verschro- 
venen Umstanden nach Japan über. Ein geographischer 
der nicht nur die üblichen 
AipMe zergt, sondern auch abseitige Gegenden vor Augen führt. 
Die Kakteen an der Transpacific-Bahn sind bez.cmbernd hoch' und 
abnorm. Hafenbilder in allen Erdteilen machen krank vor Heim- 
wch nach der Fremde. Den Jangtsekiang mit seinen elegischen 
Dschunken hinauszufahren ist ein reines Pergnügen. Das aben 
teuerliche Mädchen wird dort in ein Schanghaier Freudenhaus 
verschleppt, wo man die Bekanntschaft eines fetten Koreaners 
schließt, der, bei Licht besehen, sich als Jakob Tiedke entpuppt. 
Es verlohnt sich, in den Straßen Schanghais zu bummeln. Herr 
lich auch Tokio, von dem besonders glückliche Bilder zu sehen
	        
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