*) Vergl. den Artikel im Ersten Morgenblatt vom 7. Septbr.
bürgerlichen Zionisten davor zu hüten, durch unbilliges Ver
halten in den Arbeiter-Pionieren (Chaluzim) den Enthu
siasmus zu ersticken, der einer der wertvollsten Aktivposten
Palästinas sei; nur mit den Arbeitern, nicht gegen sie könne
die Wirtschaftlichkeit der Betriebe durchgeführt werden. Die
Bedeutung der Streiks in Palästina wurde von Ruppin zu
entkräften gesucht.
Legt man mit ihm eine normale Gliederung der Be
völkerung in 30 Prozent Landwirtschaft, 30 Prozent In
dustrie und Handwerk und 40 Prozent Handel, Verkehr,
freie Berufe usw. zu Grunde, so ist die Landwirtschaft noch
viel zu schwach besetzt (15 Prozent), während der Handel
begreiflicher Weise einen Ueberschutz aufweist. Was die
Landwirtschaft betrifft, so werden außer den vor
handenen gemischten BetriÄen Siedlungen auf der Basts
des Orangebaus und vielleicht auch anderer Produkte
(wie Tafeltrauben, Bananen) empfohlen; wenigstens für den
Fall, daß sich diese Produkte als exportfähig erweisen sollten^
Der sogenannte „allgemeine" Zionismus (in der Haupt
sache vom Zentrum vertreten), erblickt im jüdischen Volk ein
Volk wie jed^ andere auch und will ihm in Palästina ein
ungestörtes Eigenleben ermöglichen, das sich von dem der
übrigen Zivilisierten Staaten nicht wesentlich unterscheiden
soll. Nach dieser Meinung stünde man also im Aufbau einer
neuen Nation, die zu den vorhandenen hinzukäme. Eins pro
fane, stark westlich orientierte Richtung, der die orthodoxe des
Misrachi ihr Ideal der religiös gebundenen Gemeinschaft,
des „Thoravolkes", entgegenhält. Das Volk wird nach ihnen
weniger durch den Zusammenhang im Natürlichen und Pro
fanen als durch die religiöse Lehre begründet. Die religiös
indifferente Gruppe der Volkssozialisten ist der orthodoxen in
sofern verwandt, als ihr der äußerliche Nationalismus der
„allgemeinen" Zionisten nicht Genüge leistet. Sie erstrebt,
romantisch genug, eine Renaissance des jüdischen Volkes durch
seine Zurückführung zu den Berufen, die sie für die eigent
lich produktiven hält; vor allem zur Landwirtschaft. Die
Ueberzeugung einer anderen Gruppe, die klein aber einfluß
reich ist, da sie gute Köpfe in ihren Reihen zählt, geht dahin,
daß es in einer Zeit der Zersplitterung jüdischer Kräfte ge
boten sei, in Palästina ein neues, vorwiegend geistiges Zen
trum zu gewinnen, auf das die jüdische Magnetnadel von
überallher weisen könne. Ihr kommt es nicht auf die zahlen
mäßige Größe und nationale Mächtigkeit des jüdischen
Valästinuan. sondern auk seine Weienllaftigkeit, seine Substarrz.
zwanzig Jahren der Bodenankaufs-Fonds „Keren
Kajemeth" („Nationalfonds" im engeren Sinne), dessen Er
träge sich aus Gelegenheitsfpenden zusammensetzen. Sie be
trugen nach den Mitteilungen des leitenden Direktors M. M.
Usischkin im letzten Jahre 281 000 Pfund, wovon
1 Million Dollar auf kanadische Zeichner entfallen.
Weltanschauung.
l Angesichts der Krise trat, wie wir bereits in unserem
ersten Artikel ausführten, das Weltanschauliche während des
Kongresses stark zurück- Dennoch darf es auch im gegenwärtigen
Stadium nicht vernachlässigt werden, da es ja schließlich die
mächtige Triebfeder der Bewegung ist; und gewiß wird die
kommende Propaganda, deren Neubelebung der Kongreß
fordert, wie bisher vor allem mit weltanschaulichen Argu
menten arbeiten müssen.
Auf die nationalistische Ideologie der Oppositions
parteien (Radikale und Revisionisten) einzugehen, ist über
flüssig. Sie hat nur eine verhältnismäßig geringe Anhänger
schaft und findet innerhalb der Bewegung selber den schärfsten
Widerspruch.
Die Weltanschauungsgruppen, mit denen zu rechnen ist,
stimmen darin überein, daß sie sich nirgends auf die Verwirk
lichung humanitärer Ziele beschränken. Vielmehr: das
Nationale versteht sich ihnen von selbst (in einer Kongreß
resolution über Erziehungsfragen heißt es ausdrücklich, daß
alle palästinensischen Schulen die Verpflichtung hätten, die
„Liebe zur jüdischen Nationalidee" zu fördern). Aber das
Nationale wird von den verschiedenen Gruppen verschieden
aufgefaßt und unterbaut.
!Die marxistische Psale - Ziongruppe schließlich denkt merk-
j würdig um die Erde herum. Sie will das jüdische Volk auf
richten, damit es sich p rolet ari sier e, und also sich Wis
cher abbaue. Um des Zukunftsstaates willen Zunächst einen
; normalen Staat in Palästina; weil, angeblich, den Juden
inmitten der christlichen Völker nicht die Gelegenheit gegönnt
ist, Proletarier Zu werden und als solche den Klassenkampf
zu führen.
Wir haben diese Uebersicht zu informatorischen Zwecken
gegeben; nicht, um in eine weltanschauliche Diskussion ein-
zutreten, für die hier der Raum fehlt. Immerhin fei, von
allen anderen Zweifeln abgesehen, der Kardinalzweifel aus
gedrückt, ob in einer Epoche, in der von kaum einem euro
päischen Volke noch der Nationalgedanke ungebrochen hin
genommen wird und das Schwergewicht ersichtlich auf den
sozialen Auseinandersetzungen ruht, gerade
die Jnthronisierung der jüdischen Nationalidee im Sinne der
geschichtlichen Entwicklung sei. Das nationale Erwachen der
Völker Asiens ist offenkundig wirtschaftlich und politisch be
dingt; der jüdisch-zionistische Nationalgedanke meint mehr
und anderes. Es sei fern von uns, an den Ernst und die
Ueberzeugungstreue seiner Vorkämpfer zu rühren. Aber nichts
spricht dafür, daß er der Realität gewachsen sei, oder gar
zur geistigen Mitte der in der Zerstreuung lebenden Juden
ausreifenkönne.
Ruppin bringt einen neuen sparsamen Siedlerthpus, den
des Arbeiterlied l er s, in Vorschlag, dem Gelegenheit
gegeben werden müsse, sich in seiner freien Zeit durch Be
bauung des Bodens zur Selbständigkeit emporzuarbeiten.
Düster steht es auf dem GMet von Industrie und
Handwerk aus, trotz der ZoWefreiungen, die unter
anderem für die Rohstoffe der Textil- und Gerberindustrie
sowie für sämtliche landwirtschaftliche und industrielle Ma
schinen gewährt worden sind. Nach den übereinstimmenden
Urteilen der Sachverständigen können lediglich lang
fristige Kredite helfen; daher das unten erwähnte
Projekt eines industriellen Kredit-Instituts. Die englische
Regierung scheint sich nur schwer zu den von der zionistischen
Organisation geforderten Unterstützungen verstehen zu wollen.
Wichtig fft die Regelung der Zukünftigen Einwande
rung. Wenn sie nicht, wie vor einigen Jahren ins Blaue
hinein, sondern unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit
erfolgen soll, müssen für jaden Einwanderer gleichzeitig auch
Kapitalien nach Palästina einwandern. Dr. Ruppin hat er
rechnet, daß für jede Familie, die im Durchschnitt auf fünf
Köpfe angesetzt ist, ungefähr 375 Pfund erforderlich sind. Bei
der geringen Höhe der wirtschaftlich verfügt
liegt die Notwendigkeit der Weizmannschen Konsolidierungs
politik auf der Hand.
Der Ratio nalfonds.
Der Palästina-Grundfonds (Keren Hajessod), der
im Anschluß an die Balfour-Deklaration als materielle Grund
lage des palästinensischen Aufbaus ins Leben gerufen wurde,
wird aus freiwilligen Jahressteuern der Zionisten und Nicht-
zionisten gespeist. Einige Angaben aus dem Rechenschafts
bericht werden interessieren, den Dr. A. Hantke, einer der
Direktoren der neuerdings von London nach Jerusalem über-
gesiedelten Fonds-Verwaltung, während des Kongresses ab-
legte.
Der Keren Hajessod hat in den sieben Jahren seines Be
stehens etwa drei Millionen Pfund (abzüglich aller
Unkosten) nach Palästina überwiesen. An seiner Aufbringung
sind rund 250 000 Steuerzahler beteiligt, von denen lediglich
die Hälfte der zionistischen Organisation angehört. Da unge
fähr zweieinhalb Millionen Juden für die freiwillige Be
steuerung in Betracht kämen, ist bisher nur der zehnte
Teil der jüdischen Gesamtheit ergriffen — eine Tatsache,
für deren Beurteilung weiterhin ins Gewicht fällt, daß der
Krise und der notwendigen Umstellung der Ideologie wegen
die Propaganda in der nächsten Zeit mit besonderen Schwie
rigkeiten zu kämpfen haben wird.
Die Keren Hajessod-Organisation erleichtert sich diese
'internationale Werbung dadurch, daß sie den innerzionistischen
Zwistigkeiten gegenüber strikte Neutralität bewahrt und
sich auch jeder^ politischen Beeinflussung der Nichtzionisten
enthält. Sie beschränkt sich auf die Sammlung für den Auf
bau Palästinas im Sinne der Balfour-Deklaration. So wird
es möglich, daß auch eine rein philanthropische Gesinnung, die
mit den nationalen Aspirationen der Zionisten nichts zu
schaffen haben möchte, sich materiell auswirken kann.
Mit dem Ergebnis der Sammlung hat die Keren Hajefsod-
Leitung Unzufriedenheit bekundet, eine „heilige" Un
zufriedenheit, wie Dr. Hantke sie nannte, aber immerhin
Unzufriedenheit. Sie richtet stch in erster Linie wider die
organisierten Zionisten selber. „Die Gesamtheit der Zionisten,"
erklärte Dr. Hantke, „hat ihre Pflicht gegenüber dem Keren
Hajessod bisher noch nicht voll erfüllt." Man sieht, die
Schwierigkeiten beginnen bereits im eigenen Lager. Durch
solche Verhältnisse und den Zwang zu ihrer öffentlichen
Feststellung wird die Außenpropaganda nicht eben erleichtert.
Für die kommende Periode ist die Schaffung eines In
stituts für Industrie-Kredite aus den Mitteln des Fonds
geplant. Ferner wird ein landwirtschaftliches Kreditinstitut
In Aussicht genommen, dessen Gründung aber einer längeren
Worbereitungszeit bedarf. Bei der Einschätzung dieser Pro
jekte ist zu berücksichtigen, daß der Keren Hajessod, wie aus
drücklich betont wurde, mit der Gewährung von Vorschüssen
an die zionistische Exekutive die Grenze des Möglichen er
reicht hat. Es ist ersichtlich diese ungünstige Finanzlage, die
zur beschleunigten Erweiterung der treibt.i
NeLen^dem^Valästina-Grundfonds bestellt seit sechsund-1