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zisten ist und war es verwehrt, eine Frau mit diesem Gesicht M-d
Gehaben ohne Umschweife als Freudenmädchen zu registrieren. Die
Fühllosigkeit hat zum mindesten ihre ästhetischen Grenzen, und
das wirkliche Geschehen ist im Gebilde nicht immer wirklich. Ver^
mittlich ist der Film für die russische Dauernd evölkerung herge«
stell; worden. Bei ihr mag er seine propagandistische Wirkung aus«
üben,, in unseren Kinosälen ist er nicht mehr als ein krasser
Einzelfall.
Bedeutung gewinnt der Film allein durch die Animier-
kneipe. Die Bilderreihe, in der dieses Milieu vergegenwärtigt
wird, ist von großer EmdruckskrafL und bezeugt überparteiliche
Humanität. Ein holzgetäfelter Raum, in dem Kleinbürger ver
kehren. Es wird getanzt: Rheinländer, Walzer, Franyaise. Die
alten Tänze steigen aus dem Grab und scheinen von Mario
netten exerziert Zu werden. Gespenstisch drehen sich und Hüpfen
die Paare; als kehrten die Modelle älterer Photographien unge-
rufen ins Dasein zurück. Einzelne Paare gehen die Treppe hinan,
die aus dem Saal Zu den Zimmern der Mädchen führt. Die
Musiker selbst sind nicht zu sehen, nur ihre Schatten fahren über
die Wand. Das Durcheinander der Silhouetten, der Tanzenden und
der Treppe ist eine unvergeßliche Komposition.
(Zur Aufführung des Films in den Frankfurter Ale-
-- Der Kurier des Zaren. Die Ufa.-Lichtspiele haben
diesen älteren Prunkfilm wieder ausgenommen, in dem Ruffen-
und Tartarenhesre sich mit echt gestellter Echtheit bekämpfen.
Iwan Mosjukin durcheilt als Michael Strogoff Sibirien, um
eine Botschaft des Aaren nach dem belagerten Jrkutsk zu bringen.
Schrecklich? Schicksale hat ihm Jules Verne unterwegs zugedacht,
und die Regie, auf den Geschmack der Menge spekulierend, erlabt
sich daran, die Grausamkeiten — Knutenhiebe, eine Augen
blendung, einen Zweikampf — so ausführlich wie nur möglich zu
schildern. Zeuge dieser Szenen zu sein,, ist kein reiner Genuß.
Nach dem Ruffensieg und den endgültig überwundenen Leiden
zeigt sich Mosjukin in strahlender Kürassieruniform, und alles
schwimmt in Butter. Uaea.
gelbe Paß/j Dieser etÄas weitschweifige Russensilm
spielt in der Vorkriegszeit. Sein Thema ist: die Leiden darzustellen,
denen Kleinbauern durch die herrschenden sozialen Verhält
nisse ausgesetzt waren. Demonstriert wird -an einem jungen
Bauernpaar, dem nichts erspart bleibt, was das zaristische System
an BedrückungsmöglichkeiLen enthielt. Dem Mann wird nicht nur
die Pacht gekündigt, sondern auch die Frau entrissen. Anna Sten
stellt ste zu sehr als runter ckolorosL dar. Sie kommt als Amme
zur Gutsherrfchast und wird natürlich von dem gnädigen Herrn
poussiert. Standhaft erwehrt ste sich seiner, aber kaum ist ste
entlassen, so fällt ste auf -der Straße bei einer Razzia der
Polizei in die Hände, wird als Dirne angesehn, erhält den infa-
mierenden „gelben Paß", und gerät, da sie kein Dach über dem
Kopf hat, in eine Animierkneipe, in der ste dann bleibt. Der ver
söhnliche Schluß — ste findet sich wieder zu ihrem Mann Zurück
— ist ein Anhängsel.
In dem Film häufen sich die Unglücksschläge zu dicht. Gewiß
kann sich ein solches Schicksal ereignen, aber nur vertrackte Zu
fälle bringen es zuwege. Es ist auf alle Fälle ein individuel
les Schicksal, dem die Beweiskraft mangelt. So kann es sein:
so muß es nicht sein. Auch als individuelles Schicksal ist es
übrigens mcht einmal zwingend. Selbst dem verstocktesten Poli-
Der Mher-etz.
« Dieser im Gloriapakast gezeigte Wm reicht LN den
nach Sternheims „Hose" heran. Erich Gch ö n seid e r Hat ihn
nach dem Lustspiel vgn Hauptmann gedreht, das durch alle Ver-
änbemWm und.Zutaten hindurch in unverwüstlichem Glanz er,
strahlt. Welch ein Mut und welch ein Geist auch gehörten dazu,
in einer Zeit, in der noch der kaiserliche Zerschmetterer herrschte,
die faktische GewaltenauftEung darzustellen und zu verhöhnen.
Wie eine Allegorie wütet das Stück heute an: der Dünkel des
AmtsvoOchexS, dsx Betrug in Gestalt von Mutter Wolfs und das
Spitzeltum des Forstadjunkten Mothes bilden ein Trio, das sich
gegen den Spießbürger verbündet, der es nicht anders verdient-
Die Filmproduzenten kommen sich vielleicht schon tapfer vor,
wenn sie ein solches Stück heute verfilmen und es noch dazu wagen,
das MkÄM in «nzweidkutiger Absicht an die Wand z« HSnäen.
m a nni^
Man ist bescheiden geworden, und die Zivilklage hetättgt sich
gegenwärtig zumeist in der Tradsstisrung des vergangenen Re
gimes, das erledigt ist. Und auch das nur mit Maß, denn sonst
hätte sich schon langst ein Wner Mann gefunden, der Heinrich
Manns Roman: „Der Untertan" verfilmte. Schönfelder hat den
Film mit unleugbarem Geschick gedreht. Eine Introduktion ist
ihm oelungen, die mit einem Schlag die gute alte Zeit enthüllt;
das Mobiliar in der Rentierwohnung erweckt nur eine Sehnsucht:
die nach unserem Madtrat May; die Typen sind treffsicher ge
wählt; manche Details isa das erste Auftreten WehrhahnL, von
dem man zunächst nur die
den erfahrenen Routinier;
eudalen Gamaschen sieht), verratest
ie angehängte Hochzeit nebst der
Schleusendurchfahrt — für das Manuskript zeichnen W. Haas und
Ä, Carlsen verantwortlich sind rein silnnnäßig prächtig. Dem»
gegenüber ist es pon niM allzu großem Belang, daß die Szenen
Lei Mutter Wolfs etwas schleifen und die Tänzern nicht voll aus-
gewertet ist. Die Idealfigur aller wilhelminischen Krautjunker
ist Ra ph Arthur Roberts als Amtsvorsteher. Unübertrefflich,
wie Monokel und Schmiß zu einander passen, die Augen dumm
stolz funkeln, der Mund sich verzieht, die Zunge schlenkert und die
Arwe sich tm rechten WinU bewegen. Lucie Höflich ist eine
würdige Nachfolgerin der unvergeßlichen Eis« Lehmann. Als ein
GemiM von Bonhomie und natürlicher Schlauheit gibt sich die
Hirkdämmerung.
Der amerikanische Tendenzfilm: „Chikago" nach einem
bekannten Bühnenstück von Maurice Watkins gedreht — erklärt
Lern Girlkult und der Sensationspresse den Krieg. Die in "thun
geübte Gesellschaftskritik zwingt Europäer, die Amerika nur aus
den Illustrierten und den Filmen kennen, ihre weit hergcholten An
schauungen zu berichtigen. Sollte die Girldämm drüben be
ginnen? Sollte eine Front entstehen, die der Epoche des Pseudo-
Matriarchats ein Ende machen -will? Es wäre nicht mehr als
richtig, wenn die Reformen in Hollywood ihren Anfang nähmen.
Eine jener Blondinen, die nach dem berühmten Buch von
Anita Loos stets bevorzugt sind, ist die Heldin des FilmZ. Auf
gut Berlinisch: eine Nutte. Während ihr Mann, das arme, gute
Schaf, für sie schuftet, betrügt sie ihn daheim mit einem Gentleman,
der ihr, der ewigen Geldforderungen satt, Zuletzt in wenig höf
licher Weise die Freundschaft kündigt. Sie knallt ihn aus Zorn
einfach nieder; bums. Obwohl der Wlann die Schuld natürlich
auf sich nimmt, wird sie rasch als Täterin entlarvt, Triumphgefühl
besiegt ihre Angst; denn nun ist sie mit einem Schlag „berühmt",
und ihr Bild prangt in den Zeitungen auf der ersten Seite. Da
der Rechtsanwalt, ein abgebrühter Gauner, Unsummen verlangt,
tut der Mann ein Aeußerstes für die Frau: er stiehlt das Geld
bei dem Rechtsanwalt selbst. (Schade, dieser Einbruch ist eine
Uebersteig-erung.) Vor den Geschworenen bilden der Anwalt und
seine Klientin ein Duett, dessen mimische und rhetorische Glanz
leistungen den Freispruch erwirken. Dem Weibchen liegen die
Richter zu Füßen. Zum Glück ist der Mann, durch seine Er
fahrungen gewitzigt, aus einem Schaf endlich zum Mann geworden
und weist am Schluß der Blondine die Tür.
Unter der Oberleitung von Cecil de Mille hat Frank Urson
die Regie geführt. Man möchte glauben, er habe von den Russen
gelernt; jedenfalls ist er von Eifer für die dreidimensionale Wirk
lichkeit erfüllt. Er stellt nicht künstlich, sondern schafft scheinbar
improvisierte Episoden (die Reporter in der Wohnung, die drei
kauenden Girls im Gerichtssaal); er verwaltet die Kunstmittel
ökonomisch; er staffelt mit Vehemenz die Effekte. Ein Meisterstück
der psychologischen Durchdringung ist die SZenenfolge, die einge-
keitet wird durch den Unterricht, den der Anwalt vor der Verhand
lung feiner Schutzbefohlenen gibt, und ihren Höhepunkt in dem
unbezahlbaren Auftritt erreicht, in dem die erteilten Lehren mit
Erfolg angewandt werden.
Kein Ruhmeswort ist zu hoch fürPhillys Hader. Es ist,
als verkörperte sie die platonische Idee des Girltums hienieden.
Makellos stellt sie das hohle, gemeine Maschinchen dar, das sich
Wolfnn. Genannt seien noch die hübsche Lesntine La Janas
und Pauk Henkels als fataler Mothes. Auch die übrigen
Rollen sind durchweg aus zeichnet besetzt. Usea.