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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Im (Luxushotel. 
Raoa. 
sitätsprofessoren in unserem Luxushotel nicht anzutreffen find. 
Sein einziger Professor ist der für Tennis. Am persönlichsten zu 
geschnitten find die Physiognomien einiger älterer Herren. Im 
Gefolge des einen von ihnen befinden sich mehrere unsichtbare 
Sekretäre, die immer um ihn sind, wenn er sie auch nicht mit 
gebracht hat. Ein anderes Gesicht wirkt wie ein Privatkonto mit 
ledergepolsterten Türen und wieder ein anderes erinnert an eine 
Kaffeeplantage in Holländisch-Jndien. Der Ausdruck wird ge 
dämpft durch die Gegenwart der Familien, die nirgends so ein 
trächtig auftreten wie in der Öffentlichkeit des Hotels. Sie sind 
sorgfältig komponierte Schaufensterauslagen, deren größere oder 
geringere Pracht den Reichtum des Besitzers verrat. Ihr Haupt 
schmuckstück ist die Dame. Unter den jungen Leuten überwiegen 
die SportgeE, die Schultern wie Querbalken haben, an denen sie 
selbst lose herabhängen. Die Mädchen bilden kleine Banden wie 
in den ersten Bänden von Proust und lachen den ganzen Tag 
unbeschwert Zwischen ihren Tennispartien und den anderen Par 
tien, die für sie angebahnt werden. Bonnen in weißen Hauben 
beschirmen die Kleinen, die später auch einmal lachen können. Für 
die größeren Kinder ist ein eigener Tennisplatz angelegt, auf dem 
sie sich standesgemäß üben. Kein Laut der Welt dristgt herein. 
Daß sich unser Hotel in den Alpen befindet, lohnt nicht der 
Erwähnung; es könnte ebenso gut in der Ebene liegen, am Meer. 
Streng genommen liegt es überhaupt nicht in einer Landschaft, 
sondern ist das Panorama, auf das die Landschaft sich ausrichtet, 
um defsentwillen sie als Landschaft erst Beachtung verdient. Pa 
noramen sind Blickpunkte, sie genügen sich selbst. Da der Gesell 
schaft die Natur, die allen gehört, zu wenig luxuriös ist, gestattet 
sich das Hotel den Luxus einer eigenen, die gesellschaftsfähig ist. 
Sie zeichnet sich vor der landesüblichen dadurch aus, daß sie aus 
Tennis- und Golfplätzen besteht — eine Natur für Klubmitglieder, 
von früh bis spät fliegen die Bälle. Die Sonne kommt bestenfalls 
Wettspielen zustatten. Das Alpenglühen «oird dm Hotelgästen 
Unser Luxushotel vereinigt eine internationale Gesellschaft: 
Hochfinanz, Aristokratie, Großindustrielle, Arrivierte aus freien 
Berufen und Erben. Ist je ein Krieg gewesen? Man merkt es 
hier kaum. Unter dem Schutz des Kellogg-Paktes geben sich Bevor 
zugte der verschiedenen Nationen dem Genuß eines Friedens hin, 
der um so tiefer ist, als sie für ihren Teil auch das soziale Problem 
bereits gelöst haben. Vor lästiger Neugier sind sie durch den drei 
fachen Riesenwall der Pensionspreise besser behütet als durch An 
schläge, die Unbefugten den Zutritt verwehren- Sie wollen nicht 
gesehen werdendste wollen sich gegenseitig zeigen, ohne sich zu ge 
wahren. Kein Laut der Welt dringt in ihre Enklave: es sei denn 
ein Hochstapler, der aber nicht laut ist, oder das Kursblatt, das 
wahrend der Saison die Ruhe nicht ernstlich zu stören vermag. 
ersten und zweiten Ranges überlassen. Bei Regenwetter fliegen 
die Bälle im Innern des Hauses. Ob Saalwand, ob Bergwand: 
die Umgebung umgibt nur die Sports. 
Mit der Eisenbahnstation hat unser Luxushotel nichts Zu tun. 
Seine Gäste kommen überhaupt nicht an oder reisen gar umständ 
lich ab, sondern sind einfach da, ohne eingetroffen zu sein, und 
verflüchtigen sich ebenso unbemerkt. Ein Vakuum klafft zwischen 
ihrem Aufenthalt im Hotel und dem an anderen Orten. Vor 
dem Psrück wartet ein Automobil, aber es ist ungewiß, ob es 
nur eine Spazierfahrt unternimmt oder mit seinen Insassen für 
immer entrollt- Freilich auch dann fahren sie spazieren. Der 
Chauffeur trägt eine weißblaue Livree. 
In mittleren Filmen wird mit Vorliebe ein höheres Gesell 
schaftsleben dargeboten, das in den kleinen Leuten Sehnsucht er 
weckt. Auf der Leinwand Wesen Herren und Damen, die der 
Filmregisseur mit einem schlechterdings unirdischen Glanz um- 
woben hat. Sie gleichen den Lilien auf dem Felde: statt der 
Sorgen haben sie Jachten. Ein Paradies, das nicht wirklich sein 
kann, das offenbar nur zu dem Zweck gestellt ist, damit das 
Publikum sich für eins Stunde über den Alltag erhebt. 
Das Märchen ist wahr, und so wenig wie die Sonnenunter 
gänge auf Oeldrucken sind seine Figuren erdichtet. In den Luxus 
hotels lustwandeln sie höchst dreidimensional. Die Frage ist nur, 
ob sie zu flüchtigem Dasein aus der Leinwand getreten oder jene 
Films nach ihrem Vorbild geschaffen sind. Fast scheint es, als 
lebten sie allein von Gnaden eines imaginären Regisseurs. 
Der Müßiggang ist im Luxushotel eine Modenschau. Jede 
Sportart erfordert ihre eigenen Kombinationen, und der Pullover 
wie die blaue Golfjacke erlangen die Bedeutung von Charakter 
zügen; jedenfalls ziehen sie stärker als ein Charakter, der schlecht 
angezogen ist. Es gibt mehr geheime Zusammenhänge zwischen 
Krawatten und Socken, als die Mittelschulweisheit sich träumen 
läßt. Abends prangen die Gesellschaftstoiletten, aber keineswegs 
jeden Abend die gleichen; obwohl die in ihnen geführte Konver 
sation sich in der Regel gleich bleibt. Nicht nur durch die Not 
wendigkeit des fortgesetzten Kleiderwechscls ist der Tag so aus 
gefüllt wie der eines Angestellten. Den Matchs und Konkurrenzen 
sich fernzuhalten verstieße wider — die Unsitten; der Dbä äansant 
gehört zu den Nachmittagspflichten; die Bälle und Kostümfeste 
wollen mitgemacht sein. Mittelpunkt ist die Halle, ein weitläufiger 
Gesellschaftsöahnhof, aus dem man nach einem peinlich geregelten 
Fahrplan zu den Sportplätzen, dem Speisesaal und der Bar ent 
schwindet- Die ununterbrochene Kette von Tätigkeiten verleiht dem 
Nichtstun das gute Gewissen, mit dem freilich nichts weiter getan ist. 
ch 
Das Haarsieb mondäner Geselligkeit läßt individuelle Eigen 
heiten nur spärlich durch; um ganz davon abzusehen, daß Univer 
In äsr Lammlung „BbilosoMs unä deistes- 
wi-ssensobattsn" bat Lrisb Rotbaeker als rrwsi- 
ten Land äsr „Xeuäruoke" (Lalle. Max Memevei. 
XVII, LZ Leiten. Hsd. 2.50) Rankes bisber 
sebwer LugängUobs Zebritt „Das Bolitisobe 
Lesnräeb" von 1836 unä sins Reibe von Hueb 
Isnstellen aus seinen Lodritten nur Lrläuterung sei 
ner erksnntnistbeorstisebsn 6-eäanken berausgegebsn. 
Xls Band 25 unä 26 äer ..Hassiker äes Alter 
tums", äis unter Leitung Banns Lloerkes im Bro- 
vvläen-Verlag (Berlin) ersebeinsn. sinä Zeusens 
b ilo s o nb is eb e 8eb ritten" berausge- 
kommon (XXXIX, 465 unä XIX, 528 Zeiten. Heb. 
10). Die stattlisben Bände sntbalten eine Reibe 
von Xbbandlungen unä äis Vriets an Dueilius. 
Dbassilv von 8ebetter bat auk Orund äer 
DebsrsetLung von August Baubv unä X. Laakb äis 
Xus gäbe besorgt. 
ch 
Dis von Max Lrisebeisen-Xöbler begründeten 
..äabrb ueber der Bbilosovbie" (Berlin. 
L. 8. Mittler u. 8obn) treten naeb 2wölti übriger 
Lnterbreebung — vor äsm Xrieg konnten nur rrwei 
Bände veröttentUebt werden — in diesem labre 
mit einem dritten Bande dervor ( VI. 362 Zeiten, 
geb. 15). Lr wird von IViUv Moog in Ver 
bindung mit rablreieben Laedgenosssn bsrausge- 
gebsn. Von den trüberen Bänden untersebeidst er 
sieb darin, daü er niebt einem bestimmten Launt- 
tbema gewidmet ist, sondern einen abgeseblossenkm 
OesamtüberbliiL über den gegenwärtigen Ztand 
der vbüosovbiseben Lorsebung auk den versebieds- 
nen Gebieten sieb 2u geben bemübt. Unter äsn 
Xutoren dieses Bandes seien Lrnst Oassirer, 
Dbsoäor 2iebsn. Xltred Viorkandt und Lmil! 
Dtits genannt. Man wird sur Intormation um so 
lieber 2u dem dabrbueb greiken. als ibm eine aus- 
tübrliebs Zusammenstellung der ieweils besvroebe-- 
nen Literatur beigegeben ist. Mob seinem Vor 
bild sollen aueb äis tolgenden Bände aukgebaut 
weräen.
	        
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