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fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Zeit hat schließlich die Kriegs montags eine feste Fonn 
angenommen, deren Widerwärtigkeit n^ht zu überbieten ist. 
Wann immer der Krieg auch nur den bejHeidenen Hintergrund 
eines wichtigeren Filmereigniffes bildet, werden in kleinen 
Dosen marschierende Kolonnen, Stacheldrahte und Granats 
emschläge verabreicht. Aus den Schlachten drehen sie Villen, 
DeryeuligeMlmund seinUuölikum 
Von S. Sracauer. 
(Schluß.)») 
Es fehlt nicht an Filmen, die von besserer Art als der 
Durchschnitt zu sein behaupten. Sie stellen bewußt künst 
lerische Ansprüche und werden häufig mit besonderen Auf 
wendungen gedreht. Wenn die in sie gesteckte Summe groß ist 
und eine noch größere aus ihnen herausgeholt werden soll, 
heißen sie Großfilme. 
Zum überwiegenden Teil sind diese Eliteerzeugnisse genau 
ss hoffnungslos erstarrt wie die Produktion, der sie aufgestockt 
sind. Man kann sie unter dem Oberbegriff: „Gehobene 
Spielfilme" zusammenfassen. Mit den üblichen Spiel 
filmen ist ihnen der Grundmangel gemein, daß ste die Wirk 
lichkeit nicht treffen; ein Versagen, das Lei ihnen doppelt ent 
täuscht, weil ste der Wirklichkeit doppelt verpflichtet sind. Vor 
dem Durchschnitt Zeichnen sie sich noch durch einige Verfeh 
lungen aus, die daher rühren, daß auf dem höheren Niveau 
neue wesentliche Gehalte in den Gesichtskreis treten, gegen die 
nun auch gesündigt werden kann. 
In der Regel glauben die Produzenten dem künstlerischen 
Bedürfnis schon Genüge getan zu haben, wenn sie einfach die 
Kolportage zur Spitzenleistung emporschrauben. Als ob 
die Kolportage gerettet werden müßte wie ein gefallenes Mäd 
chen! Aber eben das ist die Meinung der Filmgesellschaften/ 
deren Hebungsversuche wie so oft im Jeden den Wert des 
angeblich Gehobenen nur herabmindern. Die Kolportage ist die 
Projektion großer Gegenstände auf die Ebene der Trivialität. 
Der Widerstreit zwischen Gut und Böse, das Wunderbare, dis 
Versöhnung — viele bedeutende Motive werden von ihr wie 
verzerrt immer dargestellt. Darum haben die hie und da aus 
gezeichnet gemachten Sensationsfilme Harry Piels ihr gutes 
Recht, und gegen nette Hochstaplerstücke wie „Casanovas Erbe" 
wird gewiß nichts einzuwenden sein. Leider erscheinen sie viel 
Zu selten. In dem Drang nach Höherem nämlich bauscht man 
Fabeln dieser Art solange auf, bis sie zu Prunkfilmw wer 
den, die den mit ihnen gesetzten Ansprüchen nicht gewachsen 
sind. Es entstehen kunstvolle SchauergebildL wie der Spione 
Film Längs oder „Die Jacht dsr sieben Sünden". Die Sen-1 
Ä/E nn1)L h in Masten, M/o eru nur unzu 
lässigem Raffinement ausgebaut;" alberne psychologische Be 
gründungen schleichen sich zwischen Begebenheit^ ein, die blank 
nebeneinander gesetzt zu werden verlangen; der -Schein der 
Improvisation wird durch eine Ausstattung aufgehoben, die 
für Galaopern zu pompös und dauerhaft wäre. ES kenn 
zeichnet dis Jnstinktlostgkeit der Filmfabrikanten, daß ste 
gerade das seinem Wesen nach qualitätsfremde Sujet der 
Kolportage in eins Qualitätsware verwandeln wollen. Was 
in Broschürenform atmen kann, wird im Satineinband 
erstickt. (Das stimmt wörtlich; denn bei Gelegenheit 
der Erstaufführung des Films: „Spione" wurde der Kritik 
ein Werk überreicht, das ein Wunder der Buchbindekunst war 
und nichts anderes enthielt als Thea v. Harbous Roman.) Die 
gleiche Schande eines hochherrschaftlichen Arrangements wird 
übrigens auch Stoffep zuteil, die noch nicht einmal Kolportage 
sind, und ebenso Texten, die ursprünglich mehr sind, aber 
offenbar in der Absicht, ste filmreif zu machen, erst zum Nichts 
zerstäubt werden (vergl. den Film: „Die Liebe der Jeanne 
Neh"). 
Da in den oberen Kunstregionen die Tragik beheimatet 
ist, mehren sich die Filme mit schlechtem Ausgang; glauben , 
doch die Produzenten tragisch daher zu kommen, wenn sie auf! 
das übliche stupM enä verzichten. Was ist in ihrem Jargonl 
tragM'? Ein beliebiges Unglück. Sie beschaffen es und machen! 
so mit Kunst ihr Geschäft. In dem Hennh Porten-Film: „Zu 
flucht" findet ein junger Mann, der während der Revolutions- j 
zeit seiner Familie davongelaufen war, schließlich wieder zu - 
ihr zurück und muß ausgerechnet in dem Augenblick sterben, in 
dem alles gut werden könnte. Nichts drangt auf seinen Tod 
hin, die arme Braut war sogar schon von der Familie in 
Gnaden ausgenommen. Wer der Fabrikant bleibt unerbittlich: 
das Publikum verlangt nach Kunst, und gestorben muß sein. 
Dr man das Malheur zugleich als eine Strafe für die revolu- 
! Lionäre Gesinnung des Jünglings auffaffen kann, werden 
überdies zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. — Um ein 
hohes Niveau Zu erzielen, greifen die Hersteller auch mitunter 
Werke auf, deren Gehalt so in der Sprache beschlossen ist, 
daß sie sich gar nicht verfilmen lassen. Nach einer Novelle von 
Leonhard Frank ist jüngst ein Film: „Heimkehr" gedreht wor 
den, dessen Hauptszene die Schranken durchbricht, die dem 
Film gezogen sind. Ein aus dem Krieg heimgekehrtsr Mann 
findet bei der jungen Frau seines Freundes Obdach. Er und 
die FrM.LAeW sich, der Freund ist einstweilen noch ab 
wesend. AusW wird gezeigt, wie sich die Frau in ihrem 
Bett wälzt, und der nur durÄ eine Wand von ihr getrennte 
Mann auf seinem Lager so geKlagt . Beide können 
vor Erregung nicht schlafen. Es geschieht nichts. Wasaver ge 
schieht, ist in der stummen Sprache des Films von einer ' 
i Schamlosigkeit ohnegleichen. Wein das Wort vermag solche i 
Witte zu beschwören —8 es ausdrüÄ, was in der furcht- 
noch das zum Zierat herabtzesnnkene Detä'^ mit 
... Sorgfalt behandelt! Doch «S bleibt in der ReM so 
rüeivaltrgt wie die außerfilmisch« Sisalrtät. Man schlaIN? t. 
Man richtet Straßen her, denen anzwnerlen ist, daß fie nicht 
wEfuhren Man gibt sich damit zufrieden, daß Teilauf- 
w-d GeiamEstcht irgend eines Objekts sich nur ober. 
stachllch entsprechen; daß also etwa eine zuerst in ihrer ganzen 
Ausdehnung gongte bauliche Anlage nicht im geringsten mit 
dem im Atelier errichteten Bruchstück dieser Anlage Merem- 
^r eigentlichen Handlung als Staffage dienen 
Wo- Bilder von Mod^llaoHitEuren und psn wirklichem 
Häusern-einander ablösen, stehen sie gewöhnlich so fremd gegen- 
emander, daß das Modell sofort als Modell kenntlich wird. Die 
Hintergründe undMilieus sind nur allzu oft ungenau. Besonders 
schwindelhaft pflegt im Innern vornehmer Hotels verfahren 
Zu werden; entweder weil man, vielleicht nicht mit Unrecht, 
annimmt, daß dem Publikum diese Interieurs fremd sind, 
oder weih man sie selbst nicht kennt. Kaum der Erwähnung be 
darf dis Liederlichkeit, mit der die Einzelheiten gesellschaft 
licher Arrangements hingesetzt sind. Nicht einmal die Eisen 
bahnabteile dritter Klasse, über die doch jeder Mensch Bescheid 
weiß, werden immer richtig wtede^gegeben. Der Mangel an 
Beobachtungstreue macht sich um so empfindlicher bemerkbar, 
als die PhsLographie im allgemeinen auf 'der Höhe ist. 
Fast scheint es, als verflüchtige sich mit wachsender Vollendung 
der photographischen Technik mehr ruck mehr der Gegenstand, 
den sie anzugreifen hätte. 
Ist das Bildmaterial schlecht und hat sich, schlimmer noch, 
die Filmkomposttion nach einer unfilmischen Handlung Zu rich- 
M, so kann dieMontage im besten Fall eine bloße Fertig 
keit sein. Die Regisseure haben gelernt, wie die Apparate zu 
bergen sind, sie wechseln leidlich geschickt zwischen Großauf- 
naMe, Premierplan und Totale, sie wenden Überblendungen 
an uud suchen optisch zwischen den verschiedenen Szenen Zu 
ve^rntteln. Diese Künste, die den Sinn der Fabel ausdrücken 
und sich mit ihm jeweils wandeln müßten, sind indessen faktisch 
zum äußeren Beiwerk erstarrt. Einige Konfigurationen der 
Montage haben sich im Lauf der Zeit verselbständigt und wer 
den, ob sie nun Passen oder nicht, fühllos sämtlichen Filmen 
aufgezwungen. Wenn es sich um eine Tanzbar handelt, mengen 
sich regelmäßig Srxophonstücke und torkelnde Mustkerrümpfe 
unter die aufgelösten Paare — eine meist plump geschnittene 
stabilisierte Bildsormel für den Pseudorausch des Amüsements. 
Einer hat es einmal so erfahren, und jetzt fahren die anderen 
nach. Auch die Träume Betrunkener oder Sehnsüchtiger sind 
völlig mechanisiert. Neuerdings hat sich eine bestimmte 
Methode des Usbergangs eingebürgert, die bei jeder Geleaen- 
Hl wwoerlehrr. Zar er sich folgende Auftritte, zwischen denen 
keine unmittelbare Beziehung besteht, sollen miteinander ver 
schmolzen werden. In dem ersten möge ein eleganter Herr 
erscheinen, im zweiten eins Zerlumpte Frau. Wie werden die 
^ZLNen verkoppelt? Der Blick wird von der Gesamtstgur des 
Herrn Zu senen HalüschuhLN gelenkt, die sich unmeälich in 
grM Stiefel verwandeln, dsmn die Frau entsteigt. 
Weichen könMn in bestimmten Fallen ihren tzutsn Sinn hüben. 
Wenn sie aber sachlich nichts ausdrücken, sind ste em Wetischer 
Betrug, da sie dann einen ZusammemMtg vortäuschen, der 
nicht Vorhand^ ist. Es kommt auf die Verknüpfung der Ge^ 
halte im optischen Medium an, nicht auf die rein formale 
optiM Verbindung unverknüpfter Moffteik. Seit längerer
	        
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