Der erste amerikanische Honfikm
Berlin, Anfang Juni.
Wird er nun endlich aufgeführt werden? Oder wird wieder
nichts daraus? Seit Wochen ging der Streit hin und her. Mehrere
Male bereits waren Vorstellungen angesetzt worden, die wieder ab
gesagt werden mußten, weil die deutsche Gruppe (Tonöildsyndikat
und Klangfilm G. m. b. H.) einstweilige Verfügungen erwirkt
hatte, die eine Vorführung verhinderten. Die amerikanische Western
Electric, so hieß es, habe deutsche Patente verletzt. Um einem
nochmaligen Verbot zu entgehen, hat man jetzt dem Vernehmen
nach einfach statt der amerikanischen Röhren Telefunken-Röhren
eingebaut. Daraufhin ist denn auch in letzter Stunde die einst
weilige Verfügung aufgehoben worden.
Am Montag abend also ist er im Gloria-Palast angelaufen.
Große Premierenstimmung; die uerfreulichen Schwierigkeiten haben
auch als Reklame gedient. Der Film heißt: „Der singende
Narr" (bin§in§ iool) und ist, was man nicht unterschlagen hat,
eines der größten New Docker Ereignisse gewesen. Schmalzig genug
ist er dafür. Sein Held Al Iolson —- man kennt ihn bei uns
aus dem famosen Filmreißer: „Der Jazzsänger", in dem er seine
eigene Lebensgeschichte erzählt hat — begeht Orgien an Sentimen
talität, wie man sie hierzulande noch kaum kennt. Eine so gewaltige
Sentimentalität kann nur das Korrelat einer besonderen Geschäfts
tüchtigkeit sein. Je mehr sich das Geschäft ausdehnt, um so mehr laufen
die Herzen über. Kabarettinhaber, Theaterdirektoren — alle Men
schen sind gut. Nur eine Frau nicht, aber sie wird für ihre Härte
gestraft. Zu höheren Rührungszwecken muß sogar ein unschuldiges
Kind sterben. Kein Auge darf trocken bleiben, sonst verdient die
Filmindustrie nicht genug.
Der Riesenschmarren ist durchgehends vertont. Musik begleitet
die Handlung. Sie illustriert stumme Szenen und untermalt leise
das gesprochene Wort, das an wichtigen Stellen die Instrumente
ablöst. (Aehr geschickt angebracht sind die kleinen deutschen Textbei-
ßaben auf dem laufenden Streifen, die den englischen Dialog er
läutern.) Auch Geräusche, wie Händeklatschen und der Lärm der
Menge, sind wirkungsvoll einbezogen. Eine ganze Fülle akustischer
Möglichkeiten ist ausgeschöpft.
Technisch nicht immer gleich vollkommen. So plastisch die
Orchesterklänge hervortreten, so undeutlich bleibt das gesprochene
Wort. Auf längere Strecken hin geht das Gespräch fast verloren,
und nur die Helle Stimme des rührenden Kindes kann sich be
haupten. Woran der Fehler liegt, mag der Fachmann ergründen.
Jedenfalls ist in einigen vor kurzem hier gezeigten deutschen Ton
filmfragmenten die Rede besser Zu verstehen gewesen.
Doch die paar technischen Mängel, denen sich gewiß über kurz
oder lang abhelsen läßt, spielen bei der Beurteilung nicht eigentlich
die Hauptrolle. Entscheidend ist vielmehr allein, ob der Zusammen
hang von Ton und Bild bereits zu einer neuen Gestalt geführt hat,
die weder stummer Film noch Kopie des Theaters ist.
Ihrer Verwirklichung stellt sich vor allem der Einbau des ge -!
sprochenen Worts entgegen. Es erfüllt den Raum, ohne sich
unmittelbar auf die sichtbar Sprechenden beziehen Zu lassen. Das
Wort ertönt, und außerdem bewegen sich die Lippen, von denen es
aber nicht ausgeht. Damit nun überhaupt Gespräche reproduziert
werden können, setzt die Bewegung der Kamera oft aus, und die
Partner erscheinen während geraumer Zeit in annähernd denselben
Stellungen auf der Leinwand. Um der vertonten Rede willen wird
also die vom stummen Film mühsam eroberte Kunst der Montage
teilweise wieder preisgegeben. Das ist eine Selbstverstümmelung,
die noch nicht einmal zur anständigen Reproduktion des Theaters
führt. Schon heute darf mit Sicherheit ausgesagt werden, daß die
fortdauernde Verwendung des Dialogs ein Irrweg ist. Der durch
das Wort vermittelte Sinn verlangt die körperliche Gegenwart deS
Sprechenden oder gar keine Gegenwart. Seine Verkoppelung mir
der Filmmontage, die ja bereits für sich selbst einen Sinn darstellt,
tut ihm nur Abbruch.
Das heißt natürlich nicht, daß nicht an passenden Stellen
Worte in das Tonbildgefüge einbrechen könnten. Einmal sagt das
ergreifende Kind: „huh", um seinen Papa zu erschrecken, und
dieses „huh" ist sehr nett. Taucht das Wort als Ton neben der
Musik und unartikulierten Geräuschen auf, so mag es richtig am
Platz sein. Im allgemeinen jedoch — Las ging aus dem amerika
nischen Film unzweideutig hervor — wird der Tonfilm nur dann
zu seiner eigenen Form gelangen, wenn er darauf verzichte^ einen
in sich geschlossenen Wortsinn mit Gewalt an einen in sich ge
schlossenen Bildsinn zu binden.
Es gibt eine winzige Szene, die vielleicht der Ansatz zu etwas
Neuem ist. Ein Neger liegt auf dem Divan und schnarcht. Das
GeräHch des Schnarchens wird in die Musik hereingeholt und
bildet mit ihr eine reizende Tonarabeske. Sie findet sich in Freiheit
mit )em Bild zusammen, das ihretwegen nicht zu verkümmern
brauht. In dieser Szene handelt es sich nicht um eine überflüssige
jVerdoppelung wie überall bei den Dialogen, in ihr werden viel-'
'mehr zu gleicher Zeit mit verschiedenen Mitteln verschiedene Ge
halte ausgedrückt, die sich ergänzen, ohne sich zu ersetzen.
Der Beifall war laut und galt vor allem der hie und da
glänzenden Reproduktion. Nicht selten schlug er mit dem Beifall
zusammen, den das auf der Leinwand abgebildete PuMum spen
dete; ein höchst merkwürdiges Ineinander realer und imaginärer
Größen. S. Krakauer.
^Wertvff irr Frankfurts Der bekannte russische Film-
reMeur Dsiga WerLoff, der Vorkämpfer des ungestellten Films,
über dessen bedeutenden Film „Der Mann mit dem Kino-Apparat"
wir vor kurzem ausführlich berichtet haben, wird am Sonntag
früh in Frankfurt einen öffentlichen Vortrag halten und
daran anschließend Fragmente aus dem obengenannLen Film,
ferner aus seinen Filmen „Lenins Wahrheit", „Der sechste Teil der
Welt", „Dss elfte Jahr" und „Kino-Auge" zeigen. Bei dieser
Gelegenheit sei LemeE, daß vor einiger Zeit durch mehrere deutsche
Städte ein von V. Bbsn Montierter Film „Im Schatten der
Maschinen" glaufen ist, der ganze Teile aus Wertoffs Lei uns noch
unausgeführtem „Elften Jahr" ohne dessen Wissen und Willen
übernommen hatte. Das hat die ununterrichtete Öffentlichkeit leider
hie und da Zu der irrigen Meinung geführt, als ob Blum ein Vor
läufer Wertoffs sei; eine Meinung, die um so gegenstandsloser ist,
als dieser bereits vor über zehn Fahren seine eigene Filmsprache
ausgebildet hat. Wen Freunden des neuen russischen Films sei die
Veranstaltung Wertoffs «empfohlen.
/o i
- /0.F S
! sSubmarme.^ Man schreibt uns aus Berlin: Dieser
^amerikanische Tonfilm der Messtro, der seit ein paar Lagen
im Ufa-Palast am Zoo läuft, st nach iool" eine Ent ¬
täuschung. Das leibhafte UfaorHester hätte besser gewirkt als die
einverleibte Begleitmusik, die roch dazu mangelhaft reproduziert
ist. Die menschliche Stimme wird kaum verwandt; es sei denn,
daß manchmal die Leute schreien oder ein Lied ertönt, das offen
bar hinter der Szene steigt. Außerdem mischen sich verschiedene
j Geräusche ein: das Rauschen des Meeres, das Knirschen von
Ketten. Das heißt, sie versuchen sich einzumischen, in Wirklichkeit
gelingt es ihnen nicht recht. Die akustischen Anstrengungen muten
um so hilfloser an, als der Film ohne jeden Bezug auf sie mon
tiert ist. Er ist mejr als seine Töne. Mit technischer Virtuosität
verkitscht er furchtbare Ereignisse zu Sensationen. Man erinnert
sich des Unterseeboots der amerikanischen Marine, das vor einiger
Zeit versank,-ohne daß es gelang, die Mannschaft zu retten. Im
Film wird der Todeskampf dieser Mannschaft gezeigt, ein Todes
kampf, der mit unverkennbarer Wonne zu vielen langen Metern
gestreckt ist. Zur Belohnung für die Qual folgt am Schluß, dem
tatsächlichen Verlauf entgegen, der Glanz des enck. Wo die
Not am größten, ist der Filmproduzent am nächsten. Er versteht
sich auf sein Handwerk, denn er hat ein übriges getan und die
Rettung mit einem Liebesabenteuer verknüpft, um dem Publikum
auch noch die Erotik zu bieten, die es nach seiner Meinung wie
das liebe Brot benötigt. Zwei befreundete junge Matrosen, deren
gemeinsames Auftreten an den bezaubernden Film: sirl in
everA- port" gemahnt, lieben ein und dasselbe Weibchen, das eine
Lulu der Südsee ist. Der eine, der sich als Tieftaucher eines
großen Renommees erfreut, glaubt sich vom andern betrogen.
Erst als er im letzten Augenblick erfährt, daß allein das Weib die
Schuld trägt, entschließt er sich dazu, in die Tiefe zu tauchen und
mit dem Freund auch die Mannschaft Zu befreien. Die Verlogen
heit, mit der hier die Wirklichkeft geschändet ist, kennt nicht ihres
gleichen. Ihr entsprechen die deutschen Titel von Willy Haas,
deren Schnuckis und Bubis durchaus der literarischen Halbwelt
angehören. Genießbar sind nur die Panzerkreuzer und Flugzeug-
Mytterschisie, die zum höheren Ruhme der amerikanischen Kriegs
marine die Leinwand erfüllen.