getreu zu übernehmen. Sie vollzieht sich Zum größten Teil in einem
Gerichtssaal, dessen altfränkische Nüchternheit eine ausgezeichnete
Folie ist. Der Regisseur Gustav Ucickh zeigt ihn in den ver
schiedensten Perspektiven, sucht überhaupt nach Möglichkeit die
Effekte der Sprache durch die filmischen zu ergänzen. So läßt er
während mancher Reden von der Richterbank den Blick über die
Zuschauermenge gleiten; unterbricht sinngemäß die Verhandlung
durch Bilder von der Versteigerung; schaltet einen Lokaltermin
auf schaukelnden Kähnen ein, der seine Komik rein aus der Bild
montage herleitet. Wo die Mittel der Regie versagen, helfen die
Darsteller weiter. Otto Wallburg stolpert wieder einmal über sämt
liche Worte, Gustav Gründgens verkörpert den messerscharfen
Staatsanwalt, Oskar Homolka präsidiert mit dunkler theatra
lischer Würde dem Gericht und Kurt Lilien berlinert, daß man
seine Freude daran hat. Die Favoriten sind Willy Fritsch und
Lilian Harvey, die diesmal, eine niedliche Garbo-Imitation ist.
Daß die schauspielerischen Leistungen einigermaßen gerundet sind,
ist nicht zuletzt der außerordentlich vervollkommneten Klangfilm
Apparatur zu danken, die zwischen dem Flüsterwort und der er
hobenen Sümme neuerdings eine Menge von Nuancen gestattet.
Auf dem Weg, den die Ufa mit „Hokuspokus" eingeschlagen hat,
kommt man freilich nicht weiter. Denn dieser Film ist gar kein
Film, sondern ein auf die Leinwand gezerrtes Theater. Seine
Personen benehmen sich wie auf dem Podium, seine Szenenfolge
gehorcht, von wenigen Montageeinheiten abgesehen, den Gesetzen
der Bühne und seine Spannung entspringt dem Wort. Der Ton
film aber kann nur Zu sich selber gelangen, wenn er sich die Mög
lichkeiten des stummen Films zunutze macht, statt sie einfach bei
seite zu schieben.
Alte stumme Filme
sind jetzt in Berlin wiederholt gelaufen. Da die neue Produktion
fehlt, ist man gezwungen, mit der alten die Lücke zu stopfen. So
wurden der unvergeßliche Film: „Zwei junge Herzen" von
Paul Fejos und Fehders: „C rai n q u eb ille" aus der Ver
senkung geholt. Der Vergleich mit ihnen fällt zuungunsten der
Tonfilme aus. Wo ist der freie weite Bildraum hingekommen,
den jene stummen Filme erschlossen, Wo steckt die anonyme Menge,
die in ihnen sichtbar wurde, wo das Stadtlabyrinth, das sie
durchschweiften? Es wird die nächste Aufgabe des Tonfilms sein,
sich alle die Reiche zurückzuerobern, die wir vor kurzem noch im
Kino besaßen.
Lr Berlin, im IM.
Am eritani scher Fusel.
Ob der neue, jetzt ins Capitol eingezogene AlIolson - Film:
„Sag' es miL Lied ern" genau so minder ist wie „Lonn^
oder gar noch weniger taugt, «wage ich nicht M entscheiden. Lieber
möchte ich Zu erklären versuchen, in welchem Klima so ein Tränen-
imd Sonnenerzeugnis überhaupt gedeihen kann. Seine unerläßliche
Voraussetzung ist Zweifellos das New Wörter MenschMgewimmel.
Es wird in die Untergrundbahnen gequetscht, von der Geschäftshast
vernutzt und durch den Radau malträtiert. Da das äußere Leben
diese Menge tagsüber aufreibt, verlangt sie Zur Entschädigung in
den Mußestunden nach dem inneren. Abgespannt, wie sie ist, ver
mag sie aber nur gerade seinen Ersatz zu genießen, mit dem sie sich
um so eher begnügt, als ihr andere Tröstungen durch die Prohi- >
bition verwehrt sind. Die Mission des Alkohols erfüllt der Fusel
fürs Gemüt.
Was dem Broadway recht ist, ist im Umkreis der Kaiser-
MHelms-Gedächtniskirche zu billig. Der Film fängt zwar ganz
nett damit an, daß Al Jolson Reklamelieder auf Autos, Seifen
usw. ins Mikrophon singt, geht aber dann schleunig in eine Ehe
geschichte von unerträglicher Rührseligkeit über, aus der er sich,
nicht mehr herausfindet. In ihrem Verlauf wandert unser
Publikums liebling unter anderem ins Zuchthaus, wo er unauf
hörlich schluchzen und während des Schluckens singen muß. Ganze
Lrünenbüche entstehen Damit sie nicht vorzeitig versiegen, muß
noch der von früher her bekannte sonnzs sein Köpfchen in
Großaufnahmen Hinhalten und mit dem Sümmchen krähen.
Wurden früher die Kinder Zur Fabrikarbeit verwandt, so dient
heMe ihre Unschuld den Erwachsenen als Rauschmittel. Kaum
Kne Wochenschau kommt bereits ohne Babies aus.
Noch dazu ist dieses heulende Elend schlecht hergerichtet. Offen
bar hat die Inanspruchnahme Al Jolsens so viele Dollars ver
schlungen, daß für die Aufmachung nichts mehr übrig geblieben
ist. Im Vertrauen auf den Liedersegen am laufenden Band sind
ein paar langweilige Hintergründe aufgebaut, vor denen sich die
Kamera nicht vom Fleck rührt. Der für deutsche Ohren zu rasch
gesprochene amerikanische Text wird durch sie nicht amüsanter.
Ueberdies ist die Wiedergabe des Tons trübe und viel undeutlicher
als etwa im jüngsten Ufa-Tonfilm:
„Hokuspokus",
der nun endlich den „Blauen Engel" aus dem Gloria-Palast ver
trieben hat. Leider ist der Blaue Engel nicht unverzüglich in den
Filmhimmel entschwebt, sondern hat seine irdische Behausung
einige Schritte weiter am Kurfürstenkamm aufgsschlagen Wahr
scheinlich ist er aber auch der einzige Engel, der den Kurfürsten
damm unsicher macht.
„Hokuspokus", nach dem oft aufgeführten Bühnenstück von Curt
Goetz gedreht, ist ein sauberer, geschickt arrangierter Unterhaltungs
film, der unstreitig Erfolgschancen bietet. Sie sind ihm mehr Zu
gönmn als dem Henny Porten-Lustspiel: „Skandal um Eva",
das trotz oder wegen seiner stickigen Atmospäre noch immer aufs
Publikum wirkt. Bei Goetz kann man doch atmen. Der Hokuspo
kus, den er treibt, besteht darin, daß die junge Frau eines Malers
des Mords an ihrem Mann bezichtigt wird, der aber den Mord
nur fingiert hat, um als vermeintlich toter Künstler seine Bilder
besser loszuschlagen. Da das Stück nicht nur theatermäßig zuge
schnitten ist, sondern auch die Hauptpointen im Dialog hat, der
den Indizienbeweis harmlos verulkt, blieb den Manuskriptver
fassern nichts anderes übrig, als die Bühnenhandlung ziemlich