Dab er dennoeb seinen guten
8inn gebabt
8einer Auk-
Mann auf seinem Stuhl mitten im Zimmer. Der Koffer ist halb
gepackt wie vorhin, das Waschwasser ist nicht ausgegossen worden.
Und immer noch hat der Sitzende seinen Kopf in die Hände gestützt
Ist es vielleicht ein anderer junger Mann? Ich entsinne mich, daß
ich sein Gesicht nie gesehen habe. Gegen meinen Willen betaste ich
die Mauer des Hotelgebäudes, sie ist fest und aus Stein. Wie ich nach
oben blicke, rückt die Theaterwand langsam auf mich zu. Sie, die
doch fensterlos war, ist jetzt mit richtigen Mietshausfenstern besetzt,
aus denen die stumme Gesellschaft wieder auf mich herabschaut.
Die Theaterwand wird immer größer und schleicht mit ihren
weißen Zinnen durchs Dunkel. Es ist dunkel geworden, und ich
entdecke, daß die Kinder weggefegt sind. Nur ihr Lachen drmgt noch
zu mir, so leise schon, als käme es aus dem Theater. Ich laufe
ihm nach, hänge mich an das Lachen wie an einen äußerste?
Zipfel. Hinter mir schließt sich die Straße.
Sooft ich seitdem in Paris war, ich habe mich nie mehr in die
Nähe der Straße gewagt. Uebrigens gibt es noch viele Straßen
in allen möglichen Stadtteilen, mit denen ich besondere Erinne
rungen verknüpfe. Jede einzelne von ihnen hat ihren eigenen
Geruch und ihre eigene Geschichte. Und diese Geschichte ist nicht
vergangen, sondern lebt weiter, als sei sie von heute. Die Kirche
St. Julien le Pauvre zum Beispiel wacht morgens auf und geht
abends schlafen wie irgendein Warenhaus. Vielleicht rührt es daher,"
daß, umgekehrt, in Paris die Gegenwart den Schimmer des Ver
gangenen hat. Während man noch durch die leibhaftigen Straßen
wandelr, sind sie bereits entfernt wie Erinnerungen, in denen sich
die Wirklichkeit mit dem vielstöckigen Traum von ihr mischt und
Abfälle und Sternbilder sich treffen.
naob Reioktümern 2U streben, die ikr die Brsi-
keit gewäbren. Wenn der Diobter ikr die „grobe
8aoke" Lusokiebt, gesobiekt es 2U dem einzigen
2week, um sie so 2u entfesseln, dab sie an die
rusetren vermögen oder niebt: die latsaebe ibres i
erneuten Binbruebs ist wiebtig. Bann es doob!
der zungen Intelligenz nur dienliob sein, sieb
mit den ^eiterkenntnissen eines Nannes ru
messen, der das Beberbekerts nutst. 8ie bat niebt
viel Belegenbeit daru, denn die Aelteren räumen
ibr in der Regel kampflos das Beld. Entweder
sind sie unberübrt von der Gegenwart und
sebreiben weiter, wie sie sebon vor dem groken
Bmbrueb gesebrieben baben; oder sie laufen der
lugend naeb, die es dann immer noeb besser
maebt. Reinrieb Nann läkt sieb mit ibr ein,
obne sieb 2u verleugnen.
*
Die Handlung spielt in einem neudeutseben
Industrie- und 8ebiebermi1isu, das dureb die
Biguren 8obattiebs und des Rerrn von Bist ver
körpert wird, lener, der sebon einmal Reiebs-
kanrlsr war, ist Beneraldirektor des sagenbakten
Xon^erns, der naberu alle Rersonen des Luebs
besebäktigt; dieser ein skrupelloser 8pekulant
groben 8tils. Beide betreiben dunkle Oesebäkte
miteinander, die in ein belles Biebt gesetzt wer
den, und erkalten sieb krakt ibrer Behebungen
an der Naebt. 8ie sind rweikellos balbe 8eblüs-
selkiguren; aber es erübrigt sieb bier, die 8eblö8-
ser 2U ökknen.
Vor dem sebmierigen Rintergrund entfaltet
siob moderne lugend, die 2ur Rauptsaobe vom
Oberingenieur Lirk gezeugt worden ist. Die
erotiseb begabte Inge, Nargo, die treu ru ibrem
Nann Bmanuel bält, usw. — ein voluminöser
! klaebwuebs, dessen entsobeidende Bigensobaft
darin bestem, zung 2U sein. Bng verfloobten mit
den Beutoben sind versobiedene l^pen, unter
denen etwa der Boxer Brüstung, ein verkomme
ner unebeliober 8obn 8ebattioks und ein böebst
be^iebungstüobtiger lüngling erwäbnt 2U werden
verdienen. Lirk selber erbebt siob als Reprä
sentant des Alters über diese Wirrnis. Br wird
als Kann dargestekt, der seinen Anstieg der Ar
beit verdankt. Raob der Inflation, die ibn um
sein Vermögen braobte, ist er äuberliob gesun
ken und innerlieb gewaobsen.
Dureb einen Binkall bringt Virk samtliebe
Biguren auk die Beine. Belegentlieb eines Le-
suobs seiner Bamilie im Brankenbaus, in das er
naeb einem 8tur2 transportiert worden ist, ver
traut er Bmanuel ein Bäekeben an, das angeb-
lieb ein 8prengpulvsr eigener Brkindung entbält.
Die „grobe 8aebe", die der 8obwiegbr8obn im
Interesse der Bamilie an den Nann bringen soll,
ist aber in ^Vabrbeit gar niebt vorbanden. Lirk
bat die Brkindung nur vorgetäusobt, um ein Bx-
periment mit dieser neumodisoben lugend amu-
stellen und ibr auk seine Weise ru belken. Bine
grobe Ret^zagd beginnt, die so lange wie der Ro
man dauert: drei ganse läge. Die Linder Lirks
und die Brobsobieber bekämpfen sieb in dieser
endlosen Zeit bis auks Nesser, Autos sausen bin
und ker, und eine tolle Intrige naeb der andern
wird augebeekt. Lis sieb am Bnde entküllt, dab
der windige Aukrubr umsonst war.
WIN 8IL»V TM8LLN ^V8?
LuRvinrlobNanns neuem Roman „Die grobe 8 aeb a"
Von 8. LrseaHLLr.
bat, das gerade will Nann Zeigen.
kassung 2ukolge ist die Lebensform der beutigen
lugend Lewegung und Lampk. Aber im Unter
grund bat sie Angst: die Angst der Angestell
ten, die zeden Pag von ibrem Bonnern entlassen
werden können. Bnd genau dieses Brauen vor
der Abkängigkeit treibt sie äa?u, siob wie be-
bext 2U tummeln und auk dem sobnellsten Weg
Winkel diente. Dem widersprach nur ihre Öffentlichkeit. Oder
existierte sie am Ende gar nicht, und die Burschen und Weiber
droben mitsamt den Hoteleingeweiden waren Erscheinungen, die
sich aus meinem eigenen Zustand erklärten? Die Pfeilstraße sog
mich ein, und ich beschrieb ihre Krümmung mit. Es ging kreuz
und quer, die Fuhrwerke krachten, Fassaden und Tore gaben mich
weiter. Auf einmal — es mochte über eine Stunde verstrichen sein
stand ich wieder am Eingang der Straße.
Ich sah sie jetzt von rückwärts. Ihren Hintergrund bildete die
weiße, fensterlose Theaterwand, ein pralles Mauerwerk, das nicht
weichen wollte. Die kleine Straße ruhte still, als warte sie auf die^
Dämmerung. Sollte ich noch einmal durch sie hindurch? So sehr ich
! auch zögerte, ich bezweifelte keinen Augenblick, daß ich sie wieder
betreten müsse, daß ich überhaupt nur Zu dem Zweck herumgeirrt
war, um zu ihr zurückzufinden. Der Bann, in dem mich meine
Unschlüssigkeit hielt, wurde durch einen Kinderhaufen gelockert, der
einem roten Backsteinhaus auf der Verkehrsstraße entströmte. Die
Schule war aus. Es waren muntere Kinder, die aus der scheuß
lichen Backsteinfront quollen. Ein Teil von ihnen stob auf mich zu.
Sie schwatzten und schrien und brachen zu meinem Erstaunen be
denkenlos in die Straße ein. Erleichtert schloß ich mich ihnen
an. Wo ihre Unschuld wehte, konnte kein Unheil geschehen, und in
der Tat schritt ich so sicher neben ihnen einher, als sei ich in eine
Wolke gehüllt. In der lärmenden Kinderwolke erschien mir die
Straße wie jede andere Straße. Einige Fenster glänzten, eine
Haustür war angelehnt. Schon wähnte ich, glücklich hinüber zu
sein, als sich die Wolke zerteilte und jenes Bild wieder vor mir
stand. Der junge Mann im Hotelzimmer — das überdeutliche Bild
! war unberührt von der Zeit geblieben. Immer noch sitzt der junge
8 ein rieb Nanns neuer Roman: „Die
sroke Saobe" (Bustav Liepenkeuer, Berlin.
Beb. 7.50) ist sokon deskalb ein Alters-
wsrk, weil sein Autor sied bewukt der älteren
Beneration rursoknet. Auob andere Romanciers,
deren Rubm der Vorkriegszeit entstammt, kaben
ans ikrer keike keinen Rekl gemaebt. 2um Bn-
tersobied von ilmen grenzt siok aber marin von
der lugend nur ab, um sied ikr desto naok-
drüokliober ruruwenden. 8ein Auge rukt auk ikr,
seine Bekenntnis soll die ibre mebren.
Bben dadurob, dab sink liier das Alter mit
der Tugend und der von idr bestimmten 2eit
auseinanderseth, erkält das Luob sein Bewiokt.
Die Biteratur, die uns deute betrifft, ist 2um
überwiegenden Peil die 8obÖpkung des l^aek-
kriegsgesobleobts. Der Roman Nanns nun ge-
wäbrt die Nögliobkeit, gewisser gemeinsamer
Mge dieser Zungen Biteratur inns su werden.
Wodurob? Indem er in der gleioben Arena auk-
Ritt wie sie. Aueb er greift die Begenwart an,
sobildsrt Verbältnisss, die ein beliebtes Pkema
moderner Autoren sind. Nur von einem anderen
8tandpunkt aus als dem ibren und mit Rilke
anderer Netboden. Bnd 2war geboren die Brund-
sät2b, naob denen er verkäbrt, rum besten Resitr
der Vergangenbeit. Binsiebten, deren Bedeutung
damit noeb niebt obne weiteres binkällig ist, daß
sie aus den Vorkriegstraditionen bervorgeben,
- werden in dem Roman mit einer VVelt konkron-
tiert, die von ibnen aus maneben Bränden niokts
wissen will. Bleiebviel, ob sie siob beute dureb-