In
Abend
Der Klavierspieler ist ein beleibter Herr in mittleren Jahren
mit einem Kindergestcht. Er spielt in einem fort leise vor sich hin,
so leise, daß die Besucher, die in seiner nächsten Nähe sitzen, sich
ungestört unterhalten können; als sei die Musik ein Murmeln und
erklänge von weit her. Obwohl ununterbrochen gespielt wird, ist
es aber doch nicht der Klavierspieler, der spielt. Seine Hände viel
mehr, nur sie allein, gleiten über die Tasten. Wie zwei selbständige
Lebewesen tändeln sie unbeständig und verfolgen jeden Augenblick
eine neue Melodie — während er selbst sich von ihnen zurück
gezogen hat und wo ganz anders weilt. Es ist, als gehörten die
Hände überhaupt nicht zu ihm, als seien sie fremde Diener, die für
ihn die Arbeit des Klimperns verrichten. Und statt sie wenigstens
zu beaufsichtigen, laßt er sie treiben, wohin sie wollen, und benutzt
die Muße, die ihm ihr Spiel gewährt, zu einer unbegrenzten
Urlaubsreife.
Daß er in dieser Freizeit zuweilen eine Beziehung Zur Außen
welt herzustellen sucht, ist nicht Zu bestreiken. Ein paar Stamms
gäste treten ein, die ihn kennen: er begrüßt sie mit einem so naiven
wie abgebrühten Lächeln und führt eine Liefe Verbeugung aus, die
den Abstand nicht minder unterstreicht wie die Vertraulichkeit. Gut
gestimmt durch die richtige Mischung des Grußes, verfehlen die
vorzüglich Wertschätzten niemals, den Herrn am Klavier freund
lich anzusprechen. Gern wechselt er auch einige Worte mit dem
livrierten Zigarrenbübchen, das immer, wenn es am Flügel vorbei-
streift, einen kurzen Aufenthalt einschaltet und die schicken Damen
auf den Noienheften betrachtet, die verfänglichere Dinge zu sagen
wissen als die wirklichen in der Bar. Besonders ausgeprägt ist
das Verhältnis zwischen ihm und den Oberkellnern, die sich, so oft
sie auf ihren Amtsgängen die Musik kreuzen, zu ihm herabneigen
und tuscheln. Manchmal bringen sie ihm Zettel, die er begutachtet,
oder nehmen ihrerseits schriftliche Nachrichten von ihm in Empfang.
Dann gewinnt es den Anschein, als ob er sich im Mittelpunkt
eines weitverzweigten Kurierdienstes befände. Und unaufhörlich
spielen die Hände.
Von solchen flüchtigen Begegnungen abgesehen, die ihn wahr
scheinlich so wenig betreffen wie das Schlagerrevier, in dem seine
Finger lustwandeln, ist er ganz und gar sich selbst überlassen und
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Aer Klavierspieler.
Berlin, Anfang Dezember.
einer mondänen Bar, die ich mitunter besuche, musiziert
für Abend ein Klavierspieler, der sich zu dem einzigen
Zweck am Flügel niedergelassen zu haben scheint, um endlich mit
sich allein zu sein. Und zwar wirkt er doppelt verlassen, weil, wie
man zu sagen pflegt, ein gewisses Fluidum die Bar erfüllt, von dem
er ausgeschlossen ist oder sich selber ausschließt. Das Lokal ist ein
Treffpunkt von prominenten Fremden, Leuren Kokotten, Finanz
leuten, denen es nicht schwer fiele, sie sich zu leisten, Rechts
anwälten, Schauspielern und gehobenen Literaten, die sich hier alle
wie auf gegenseitige Verabredung ein Rendezvous geben. Der Geist
läßt sich gerne vom Geld bestechen, dem wiederum die Anwesenheit
des Geistes schmeichelt. Dadurch, daß beide den Raum miteinander
teilen und überdies viele Gäste sich kennen, entsteht eben jenes ge
wisse Fluidum, das dick um die Tische schwelt und eine Art un-
Lürgerlichen Höhenrausches erzeugt. Die Unbürgerlichkeit ist freilich
eine Täuschung, und auch von Höhe kann nicht gut die Rede sein,'
denn die Balkendecke, die sich über der Bar hinzieht, ist auffallend
Wedrig. Vielleicht rührt es daher, daß die meisten Damen und
Zerren den Eindruck großer Gestalten erwecken. Jedenfalls sind sie
wohlgebaut und manche besonders schön anzusehen, mag immerhin
ihre Schönheit dem Reichtum zuzuschreiben sein, der ihnen erlaubt,
sie zu Pflegen und in kostbarer Hülle herauszustellen. Nicht selten
glänzt nur die Hülle, und wieder und wieder wallen Pelzmäntel
durchs Fluidum, aus denen wie aus dem Kajütenauge einer
Luxusjacht Lärvchen hervorlugen, die leer sind wie Nullen,
Bemerkungen zu Tonfilmen.
Li Berlin, im November.
Wird der Tonfilm eines Tages seine eigene Form erlangen?
Er hat sie noch nicht, und er sucht sie gewöhnlich dort, wo sie nie
mals Zu finden ist. Das rührt vielleicht auch daher, daß er schon
in seinen Anfängen von den Routiniers des stummen Films über
nommen wurde, die nun einfach weiter wursteln. Die schwerste
Hemmung aber, die sich seiner Ausbildung entgegensetzt, ist un
streitig die Belastung durchs Wort. Während der stumme Film
ungehindert ins Jenseits der begrifflichen Fixierungen dringen
konnte, muß der tönende sich der Sprache bedienen. Damit wird
er in die Krise einbezogen, in der heute, sei es auf dem Theater,
sei es in der Literatur, alle sprachlichen Aeußerungen stehen. Sie
als die Träger der Erkenntnisse sind durch den sozialen Kampf,
der die gegenwärtige Gesellschaft zerreißt, in ihrer Aktionsfreiheit
gelähmt, und eine strenge (offizielle und inoffizielle) Zensur wacht
darüber, daß sie sich nicht Zu weit vorwagen. Die Tonfilmindustrie,
die in erster Linie Geschäfte machen will, hat natürlich erst recht
kein Interesse daran, die dem Wort gezogenen Grenzen Zu über
schreiten. Aus dieser Zurückhaltung folgt notwendig die Unzuläng
lichkeit ihrer Produkte.
Man sucht sich Zu helfen, und man hilft sich schlecht. Der vor
kurzem im Capital angelaufene Taub er film: „Das Land
des Lächelns" zeigt wieder einmal, wie es nicht, aber auch gar
nicht zu machen ist. Er überträgt einfach die LehLrsche Operette
aus die Leinwand, mit einer Rahmenhandlung, die aus dem Leim
geht und gewiß nicht dazu hinreicht, eine Operette in einen Film
zu verwandeln. Ich habe nichts dawider, daß einer singt, dem
Gesang gegeben, meine nur, daß er nicht gerade immer den Ton
film als Publikationsorgan für sein Organ verwerten solle. Der
Schaden, den eine solche elementare Verfehlung anrichtet, wird
auch durch die gute klangliche Wiedergabe nicht aufgehoben.
Richtiger geht schon E. A. Du Pont in seinem jüngsten, im
Gloria-Palast vorgeführten Film: „Menschen im Käfig"
zu Werk. Zwar auch er greift nach einem falschen Stoff, denn das!
englische Schauspiel, das dem Dianuskript Zugrunde liegt, war
bestenfalls in der Strindbergzeit modern, und mit neuen Mitteln
abgelebten Themen öeizukommen, heißt diese nicht aktualisieren,
sondern jene verschleißen. Um die Fabel nur gerade anzudeuten,
K- handelt fie von mehreren Männern und einer Frau, die zu ¬
sammen in einem weltentlegenen Leuchtturm Hausen. Die Einsam
keit schürt das sinnliche Begehren und beschwört schlimme Schick
sale herauf, deren Entwicklung allzusehr unter der Zeitlupe l
auskonstruiert wird. Dennoch: ich kenne keinen deutschen Tonfilm,
der so sehr Tonfilm und nichts anderes wäre wie dieser. Er ist
es vor allem darum, weil er die akustischen und die
optischen Partien gleichmäßig zu akzentuieren
sucht. Der Dialog beherrscht in ihm nicht die Bilderfolge, ist ihr
vielmehr nebengeordnet. So allein hat es auch seine Ria-tigkeit,
da nur der Tonfilm diese Ineinander der Eindrücke zu leisten
vermag. Dupont erreicht ihre filmische Fusion auf zwei Weisen.
Einmal dadurch, daß er die Kamera möglichst frei wandern läßt.
Sie schleicht den Liebenden über die Wendeltreppe nach, zeigt das
Gesicht eines Sterbenden hinter verregneten Fensterscheiben;
kurzum: sie be-gibt sich endlich wieder auf einige der Wege, dre sie
in den Tagen des stummen Films eingeschlagen hat. Zum andern
schaltet Dupont zwischen Wort und Bild das bisher zu Unreä>
vernachlässigte Geräusch ein. Nicht ünmer mit Gluck. Dre
Wellen branden oft vordringlich, und manche Objekte be
nehmen sich so lärmend, als sei der Lautsprecher hinter chnen
her Wer diese mehr technischen Mängel besagen nichts wider
die' fruchtbare Anwendung des Stilmittels der urmrtikul^
Ereignisse. Wie sicher wird das Lachen alsBindeglied
Zwischen Überblendungen benutzt, und wie schön ist dre klerne
Szene am Schluß, in der Musik ein Gespräch üb ertönt, des en
Inhalt sich durchs Gebärdenspiel deutlich eröffnet Dre dichten
und mitreißenden Wirkungen, die der Film erzrelt, sind nicht
Zuletzt den Schauspielern zu verdanken. Heinrich George als
Leuchtturmsgehilfe macht aus der Not seiner Beleibtheit eme
wunderbare Tugend. Er sitzt, geht schwerfällig umher spncht das
Notwendige ohne Aufwand, und schon ist die ganze Gestalt rundum
fertig, ein dunkles Gemisch aus Körperinstinkten, Gutmütigkeit und
Brutalität, das Konturen hat, eine Geschichte und festen Bestand.
Kortner gibt, von einem unnötigen Gebrüll abgesehen, feinem
Captain die Verhaltenheit einer dumpfen Natur, die sich nur schwer
ausdrücken kann, und Veidt spielt, wie schon oft, die Rolle des
Verführers, die ihm gemäß ist. Von Lala Birell laßt sich kaum
mehr sagen, als daß sie über eine wandlungsfähige Mimik verfügt.
Bezeichnend genug, daß der Film, der ernste Situationen ernst,
ja mitunter ergreifend darstellt und seit langem wieder einmal
gute Schauspieler zu würdigen Aufgaben heranzwht, vom Publi
kum kühl entgegengenommen wurde. Vom gleichen Publikum, das
der albernsten Tonfilmoperette nicht Beifall genug spenden kann.