reaktionäre Tendenzen verfolgen — sind mit den parasitären Er«
Meinungen des Schrifttums zugleich die .Gehalte angegriffen, die
Tretjakow in seiner Ahnungslosigkeit als Fetische bezeichnet? Er
streift sie noch nicht einmal und scheint den Individualismus, die
Eingebungskm oder die mit der Spräche gefetztem Bedeutungen
nur in der Karikatur kennengelernM
so er. Fetischist einer Weltbetrachtung, die vielleicht für ' die,'Ver-
wirklichung des russischen Fünfjahresplanes von Nutzen" ist, aber
an den Stand des europäischen Bewußtseins heranreicht und
E Marxismus kaum noch etwas zu tun hat. Ich meine, daß man
Marx, der ja schließlich auch aus der französischen und englischen
Aufklärung stammt, in Schutz nehmen soktL vor einer Nachfolge,
die den dialektischen Materialismus nicht Weniger entstellt wie die
gegnerischen Positionen. Daß Tretjakow der Dialektik entsprungen
und im stursten Dogmatismus befangen ist, wird mittelbar durch
die und ia l ek Lisch e H a m is Kk ei t bewiesen, mit der er seine
Plattnüden nicht etwa wider den Individualismus, sondern Wider
dessen Zerrbild aussM v -
In Sowjetrußland ist TreLjakow vermuMch schon W M
. Produkt des Prozesses, in dessen Verlauf die alten Schriftsteller
M neuen MgedrillL Werdern Sein Bericht über die hierbei ange
wandten Methoden enthält wichtige Informationen. Als Vor
schule der Schriftsteller gelten die Z e i t u n gen in ihrer russischen
Form. Die Mitarbeit an ihnen treibt nach Tretjakow den LiterEn
ihren Dünkel aus; zwingt sie zur Anonymität; lehrt sie, bestimmte
Aufträge Zu erfüllen und planmäßig zu arbeiten; gewöhnt sie ans
Kollektiv; entreißt sie der Kontemplation und führt sie der Praxis
zu. Mehr noch im Sinne des sozialistischen Aufbaus ist das seit
1927/28 geübte Verfahren, das darin besteht, die Schriftsteller in
die Betriebe und Dorf kollektive zu schicken. Dort sollen
sie Arbeiter und Bauern werden und zunächst einmal beschreiben,
was sie sehen. Beschränkten sie sich aber auf unverLüMiche S
derungen, so trügen sie „nur" die Veranwortung für ihren Stil.
Sie müssen also über das Beschreiben hinaus gelangen, d. h. die
Lage kritisieren, Vorschläge machen und sich voll Einsetzen für ihre
Figuren. Dann erst schließt sich, immer Tretjakow Zufolge, der
Riß Mischen Kunst und Leben.
Der Proletarisierung der Literaten entspricht die Li^
der Proletarier. Aus der Bewegung der Arbeiter« und
B a u e r n k o r r e s P o nde n t § n gehen immer mehr Menschen
Hervor, die, bei der Drehbank bleiben und zugleich schriftstellerisch
tätig sind. Sie schreiben Bücher über das Wachstum der Betriebe
und den UM entweder allein oder zusammen mit dsn
Genossen. Die Broschüren dieser literarischen „Stoßbrigaden"
ihrer viele sind schon veröffentlicht worden — können als In
struktionsbücher aufgefaßt werden. Ihre Themen lauten etwa:
„Wie ein Faulpelz unter dem Einfluß seiner Genossen veränderL
wurde", oder: „Wie man Arbeiter Zum sozialistischen M
wirbt". Verschiedene Autoren haben für .derartige Schriften den
Lenin-Orden erhalten. Vielleicht kommt eine Zeit, erklärt TreLjakow,
in her sich Leute, die des SchMMe^ so
schämen muffen wie einer, der mit ungsputzLen ZähnM heruE
Mir scheint, daß diese m Rußland mfternomm Experimente
unsere Anteilnahme verdienen. Zuzustimmen ist. Tretjakow darin,
daß nichts unangebrachter ist. als der HochrM^ mit dem sich viele
sogenannten freien Schriftsteller über das JE sr--
heben, obwohl sie in den meisten Fällen weit besser gefahren wären^
wenn sie sich einmal in einem ZeitungSbetrieb zu disziplinieren ge^
lernt hätten. Ich glaube übsrhaupL, Paß keinem Literaten eine
praktische Tätigkeit schaden kann. Im Gegenteil, sie wird ihm nur
nützen, und wenn sie- ihn von der Schriftstellerei.abbringt, so ist
das vermutlich nicht zu beklagen. Mit solchen Einsichten verbindet
aber TreLjakow llen folgenschwer ihn schon Zu
seinen M Anwürfen wider den angeblichen „alten" Typus
HD Schriftstellers genötigt hat: den Irrtum, einen Menschen, der
gewisse Erfahrungen halbwegs richtig niederzuschreiben versteht,
berMs für einen Schriftsteller Zu halten. Er ist es nicht; was
Wrads durch ein von Tretjakow vorgelssenes Stück aus einer Stoß-
brigadenÄroschüre bündig belegt wird. In ihr fixiert ein Arbeiter
Autor — vielleicht sind es auch mehrere — gewisse im Betrieb
empfangene Eindrücke Zu propagandistischen Zwecken. Eins An«
itrengung, bis mit schriftstellerischer Arbeit nicht mehr Zu schaffen
hat als irgendein kunstlose? Briefbericht. Aber etwas anderes geht,
nebenbei bemerkt, aus der Lextprobe unzweideutig hervor: daß die
systematische Aufzucht von „Schriftstellern", wie sie gegenwärtig
W Rußland HM wird — das heißt, die Förderung von
LMtm, die Hre Muttersprache normal handhaben und diese Fertig«
keit im JnLereW des E Kurses anwenden --- eine
G e s i n n ü n g s st r e b e r e i ohnegleichen erzeugen kann. Holitscher
hat das bereits in der Diskussion angedeutet, und ich muß gestehen,
baß die brave Beflissenheft Zum Vortrag gebrachten Publikation
M Erinnerung an gewisse Feldpostbriefe und fatale Frontschilde
rungen unserer Kriegsberichterstatter frisch heraufbeschwört. Der
eigentliche Schriftsteller, den Tretjakow attackieren möchte und gar
nicht antrifft, ist von den Herstellern derartiger Bekundungen jeden«
falls Lief unterschieden. Richtschnur ist ihm allein die fortgeschrit«
LenW Erkenntnis, die sich im Glauben eines Kollektivs nieder
Wagen kann, a^ nicht muß. Und er kampft für sie mit der
SpeMlwM nicht jedermanns Sache
ist, sondern eben die seine.
Welche Erwartungen von der „Internationalen TrVüne" an
den BorLrag Tretjaksws geknüpft worden sind, weiß ich nicht.
Sollte sie prapagandistische »sichten mit ihm verbunden haben, so
sind sie ihr gründlich fehlgeschlagen. Denn der ganze Vortrag zeigt
«r das ei^ Entwicklung heute in Ruß ¬
land ist/-
InjlrMimsstmlde inMewtw-
Zu einem Vortrag des Russen LreLjakow.
Von-S» Kraemrer.. '
Der russische "Schriftsteller S. M. T r e^ju k o w, dessen wirk«
famcs Tendenzstück: „Brülle China" über Mehrere deutsche Bühnen
gelaufen ist, hat vor einigen Tagen im Rahmen einer Veranstaltung
der Berliner „Internat i o n alen Lriöü n e" seine Ge--
sanken über „den neuen Typus des Schriftstellers"
zum besten gegeben. Es handelt sich nicht um seine persönlichen
Gedanken allem, sondern um die Auffassung einer radikalen
russischen Literaturgruppe vom Wesen der Schriftstellern.
Tretjakow ist ein geübter Sprecher, der sich auf Deutsch gut
ausdrücken kann und nicht einen der Effekte anZuöringen vergißt,
mit denen man sich die Massen Zu Willen macht. Seine äußere Er
scheinung unterstützt nach die geistige Haltung, die er dem Publikum
simeden möchte. Ein FunktionärsLypus mit einem Schädel von
harten Konturen, auf dem wie aus Protest gegen Veraltete Formen
der Schriftstellern sämtliche Dichterlöckchen liquidiert worden sind.
Wenn er eine Uniform trüge, erinnerte er an einen Literatur
Brigadeunteroffizier.
Genährt wird diese Vorstellung durch dir Borniertheit, mit der
er den Berufsschriftsteller oder doch das behandelt, was man in
Rußland offenbar Zur Zeit unter (nichtkommumstiW Beruft-
schriftstellern Zu verstehen beliebt. Er hält ihresgleichen für eine
Art von Zivilbagags, die er ob ihres unmiliM Benehmens
anhaucht wie einen Haufen akademischer Rekruten auf'dem
Kasernenhof. Das gehört Zur verschollenen Klaffe der Händler oder
Kleingewerhetreiöeuden; das hat sich Ruhm und Einkommen auf
Grund von Vorurteilen erworben, die ebensoviele Fetische sind. Ein
Fetisch ist Zum Beispiel die Individualität, auf die sämtliche
Schriftsteller pochen; ein Fetisch ihr vermeintlich singulärss Talent;
ein Fetisch die unkontrollierbars Inspiration, die ihnen wie ein
geheimer Wunderquell reglemenAwidrig sprudelt, Weg mit den
Fetischen, kommandiert Unteroffizier Tretjakow, und verspottet
Goethe, weil er seinem Gretchen kein empfängnisE
Mittel gönnte, und Puschkin, weil er erklärt hat, daß die Poesie
manchmal ein wenig dumm sein wolle.
Es lohnt sich nicht, solche Behauptungen ernsthaft zu entkräften.
Auch wenn man zuzugestehen bereit ist, daß sie auf manche Pseudo«
schriftsteller Zutreffen, die von Inspiration reden, ohne eine Zu
Wen, ihre nicht vorhandene Person eine Persönlichkeit nennen,
und unter dem Deckmantel des Idealismus Geschäfts treiben und