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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Leider wird in beiden Filmen die Aufklärung nicht bis zu Ende 
getrieben. Wo die Gefahren der Geschlechtsliebe vor Augen geführt 
werden sollen, ist ein Hinweis auf die empfanMisverhindemden 
Mittel unerläßlich. 
Aufgeklärt im inerteren Sinn soll such im Film: „Vor 
untersuchung" werden, dem Älsbergs bekanntes Theater 
stück Zugrunde liegt. Die Verfilmung, -die das Kriminalistische stark 
hervorkehrt, arbeitet die Fragwürdigkeit der in der üblichen Vor 
untersuchung gewonnenen Ergebnisse gut heraus. Der junge Re 
gisseur Siodmak zeigt seine Begabung in den Details, ohne 
von der Schablone der Ufa-Spielfilme allzusehr abZuweichep. Die 
Dialoge überwiegen, die Situationen werden optisch nicht genug 
ausgekofiet. Dennoch: eine anständige Mache, die M fesseln vermag. 
Nasser wann, dem neuerdings das Gerichtsfach auvertraut 
worden Zu sein scheint, spielt seinen achtbaren unpsychologischen 
Landgerichtsrat mit wundervoller psychologischer AkkumtLffe. 
EMINENZ und Oskar Simag glänzen in kleineren Rollen- 
Kuüstgewerbe mit Songs- 
Der anfänglich verbotene Granowsky- Film „D asLied 
vorn Leben" ist nach geringfügigen Aenderungen sreigegeben 
und nunmehr sogar von der Bildstelle des ZentralinstiLuis für 
Erziehung und Unterricht unter Vorsitz Dr. Völgers als künstlerisch 
wertvoll anerkannt worden. War die Unterdrückung des Films 
vielleicht eine überflüssige Härte, so ist das. ihm erteilte Leumunds 
zeugnis bestimmt ein Irrtum. Denn mit Kunst hat dieses präten 
tiöse Sammelsurium von Bildern und Liedern nicht das geringste 
zu tun. Eine junge Braut entflieht dem Verloöungseflen, will sich 
ertränken und wird von einem ebenso jungen Schifsskonstrukteur 
in MaLrosenkostüm gerettet. Das ist der einigermaßen klare Be 
ginn des Films, der sich danach zu lauter Szenen verwirrt, die in 
ihrer Gesamtheit offenbar ein Hymnus aufs Leben sein wollen. 
Sie Zeigen die Seligkeit des Paares, eine Umständlich vorgesührre 
Kaiserschnitt-Operation, Träume, sm neugeborenes Kmd und 
immer wieder das Meer, dem anscheinend symbolische Bedeutung 
zukommt. Ein konfuses Durcheinander; die Ausgeburt eines miß 
leiteten Talents, das um jeden Preis originell sein uwchte. Worin 
aber besteht die Originalität Äränowsky^ Daß er Bilder stellt, 
die an „Wege zu Kraft und Schönheit" erinnern; russische Montage- 
mModen kunstgewerblich ausnutzt; den durch Spiegel leicht zu 
erzielenden Effekt, bestimmte Gegenstände Mehrfach auf die Lein 
wand zu bringen, mememfort sinnlos wiederholt. Tritt der Zu 
schauer hinterher auf die Straße, so ficht er unwillkürlich den 
Nollendorsplatz doppelt. Dazwischen find bei jeder unpassenden Ge 
legenheit Songs von Mehring emgestreut, der:n Plattheit kaum 
noch zu überbieten ist. Schlechte Nachfolge der Dreigroschenoper; 
dre Kompositionen stammen von Friedrich Holländer und Adams. 
Das süffige Schlutzlied vow Baby hat es dem Publikum ungetan. 
S. Krakauer, 
Berün, im April. 
Filmzens u r. 
Die Filmprüfstelle hat sich in der letzten Zeit wieder 
unliebsam bemerkbar gemacht. Kurz hintereinander find Zwei 
Verbote von ihr erlassen worden, die dieses Mal, gewissermaßen 
zum paritätischen Ausgleich, unpolitische Filme betreffen. 
Das eine möchte die Louis Perneml-KomödiL: „Die Cousine aus 
Warschau" ausmerzen, die nach der Auffassung der Kammer ent 
sittlichend wirken soll. Wogegen auch ohne Kenntnis des Films em- 
gewandt werden muß: daß seine franzosiische Fassung den Blatter 
meldungen Zufolge seit einiger Zeit in Warschau läuft; daß die 
Allianz-Filmgesellschaft, Trübes ahnend, die Deutlichkeiten des 
Theaterstücks von vornherein verwischt hat; daß dieses selber mit 
der Orska in dar Hauptrolle niemals beanstandet worden ist. Nach 
Let entsittlichenden Cousine ist der Detektivsilm der Ufa: „O Zug 13 
hat Verspätung" an die Reihe gekommen. Er gefährdet angeblich die 
öffentliche Sicherheit und Ordnung, da er irgendjemanden dazu 
bewegen könnte, ein Attentat aus das Staatsoberhaupt Zu begehen. 
Solche Verbote erwecken den Eindruck blanker WMür. Wo liegt 
die Grenze, bis Zu der ein Film Zulässig ist? Im Joe Mop-Film: 
Und das ist die Hauptsache" etwa, der die Sittenkontrolle 
glücklich passiert hat, finden sich einige Szenen, hie das verfeinerte 
Empfinden unserer behördlichen" Tugendbolde eigentlich gewaltig 
hätten aufreizen müssen. Ich erwähne das nicht, um einen aufs 
Geratewohl herausgegriffenen Film nachträglich zu verklatschen, 
sondern um die Launenhaftigkeit der neuesten Zensurbescheide zu 
kennzeichnen. Auch erinnere ich mich mancher Unterweltsreißer und 
Fridericus Rex-FaLrikate, die leicht der Gefährdung unserer öffent 
lichen Sicherheit hätten verdächtigt werden können, und doch unge 
hindert erschienen 'sind. Wenn aber die Grenzen so fließend sind, 
wäre die Filmprüfstelle bei ihren Entscheidungen Zu doppelter Vor 
sicht verpflichtet gewesen. Sie hat es an ihr fehlen lassen und damit 
ihre eigene Autorität untergraben, ohne die öffentliche Sicherheit 
Zu retten. Statt nur in den äußersten Fällen einzuschreiten, nimmt 
sie sich faktisch das Recht heraus, ein reifes Volk Zu bevormunde. 
'Ein Verhalten, das um so peinlicher wirkt, je isolierter es austritt, 
je weniger ihm andere staatliche Maßnahmen entsprechen. Solange 
der entsittlichenden Wohnungsnot schwer abzuhelfen ist, solange die 
Arbeitslosigkeit weiter herrscht, die unsere öffentliche Ordnung 
mehr als irgendein Film gefährdet, erscheint die Häufung der Zen 
surdiktate als ein UeL ergriff ohne Vollmacht; um ganz von dem 
subalternen Geist zu schweigen, dem die Verbote entwachsen. Ihre 
praktische Folge ist eine V e r ä n g st i g u n g der Filmindu - 
stri e, der durch das Wüten der Filmprüfer jede Lust Zu Wagnissen 
genommen wird. Ob- man sich noch an die Verfilmung von Döblins: 
„Alexanderplatz" herantraut, ist mehr als fraglich geworden. (In 
zwischen wird bekannt, daß die von dem Verbot des Films „Die 
Cousine aus Warschau" betroffene „Alliance-Film-Ge- 
sell s ch a f t" tatsächlich ihre gesamte weitere Produktion von dem 
Urteil abhängig macht, das am Dienstag von doc Oberprüfstelle 
gefallt werden wiÄ. Sollte dre „Cousine aus Warschau" auch rn 
zweiter Instanz verboten werden, so will -die „Miance", die u. a. 
den „Alexanderplatz" verfilmen wollte, in Zukunft auf die Her- 
stellmrg von künstlerischen Filmen verzichten und nur noch 
G ch wank- F i l m"e drehen. Die Red.) 
Aufklärung. . 
Zwei sexuelle Aufklärungsfilme sind immerhin durchgelaMn 
worden. Der interessantere von ihnen ist der Ru t Lma n n-Mlm: 
„Feind i m Blu L", der im Verein mit der Deutschen Gesell 
schaft Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten gedreht worden 
ist. Eine „Lonsymphonie", die drei Einzelfälle geschlechtlicher 
Ansteckung mit statistischen Daten und Belehrungen über die ver 
schiedenen venerischen Krankheiten und ihre Heilungen geschickt 
kombiniert. Das große Talent Walter Ruttmanns bewährt sich 
in diesem Film, in dem es einen bestimmten Stoff in bestimmter 
Richtung entwickeln muß, viel besser und gelöster als in dem Film: 
„Berlin". Die Handlungsfragmente sind ausgezeichnet überschnitten 
und emmontiert; die Beziehung Zwischen diesen Abschnitten und 
den der allgemeinen Aufklärung gewidmeten ist auf echt filmische 
Weise hergesteLL worden: die Spreche wird nur dort angewandt, 
wo sie wirklich nötig ist. Der einzige Einwand, der aber keiner 
ist: daß der Ulm gerade wegen seiner fortgeschrittenen Lösungen 
zu hohe Anforderungen sn ein breiteres Publikum stellt. —Der 
andere Film: „Gefahren der Liebe" verknüpft eine durch 
gehende, reichlich komplizierte Spielhandlung mit Instruktionen 
- und Krankenvisiten, die ihren Vorsatz: abzuschreckrn, beinahe Zu 
ausgedehnt verwirklichen. Manch einer wird rmtunter die Augen 
geschloffen haben. Die DemonstraLionen schaden sicher mcht^. gber 
sie nutzen auch wenig. Eigentlicher Held der Handlung, der außer 
einem syphilitischen Trunkenbold auch der kriminalistische Einschlag 
nicht fehlt, ist Albert Bassermanns prachtvoller StrafveriM 
Toni van Eyk ist eine Dulderin von bewußter Einfachheit. —
	        
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