bereitschaft der Völker aufpeitschen will. Ein Phantast, wie er M
schlechten Büchern steht; ein astronomischer Hanswurst, der tieri
scher Angst abpretzt, was bestenfalls die menschliche Vernunft zu
erzwingen vermag.
Trotz der Schauerlichkeit des Weltspektakels: seine Inszenie
rung enträt nicht einer gewissen Größe. Häusereinstürze, Ueber-
schmemmungen und Erdbebenkatastrophen aus Wochenschauberichten
sind kunstgerecht ineinanderzewoben und durch raffinierte Mon-
togeeffekte überhöht worden. Ausgezeichnet das Bild von der toll
gewordenen Börse. Aber das Gelingen im einzelnen vertieft nur,
noch den Eindruck vom Unsinn des Ganzen.
Der Kurfürstendamm als Siegesallee.
BerLm, im Mai.
Der KuMrstendamm ist die moderne Siegesa!!.es. Statt
mit Herrschermarmordenkmälern, die ein Bein vorstellen, ist er mit
Photos von Prominenten übersät, die etwas vorstellen
ode^ doch vorstellen wollen.
In diesen schönen Sommertagen, in denen dort alle Bäume
grünen, die man noch nicht gefällt hat, die Luxuswagen auf- und
aörollen und die Cafehausterrassen mit Menschen vollgepfropft
find jetzt während der Nachmittagsstunden ist die richtige Zeit,
um von Lichtbild zu Lichtbild zu schlendern. Auf Schritt und Tritt
folgen sich die hochkünstlerifchen Photographen. Ihre Vitrinen
schmücken die Vorgarteupfostm, beleben die Wände und ziehen sich
tief ins Dunkel der Hauseingänge aus Kunststein hinein. Gefüllt
sind sie mit Porträts, die nicht durch ihre Licht- und Schatteneffekte
entzücken, sondern mehr noch durch die in Zierschrist beigefügten
Namen der Originale. Wer in dieser Bilderallee verewigt ist, dessen
Ruhm ist besiegelt, der, hat das Rennen gemacht. Und die paar
Namenlosen, die sich mitunter doch eingeschlichen haben, hängen wie
arme Verwandte unbeachtet zwischen den Größen.
Zwar auch Kinder sind der Siegesparade eingereiht worden,
unschuldige Kinder, die von ihrem Triumph noch nichts wissen.
Aber sie gehören vornehmen Eltern und heißen alle besonders
schön. Ina und GriL, Marie-Luise und Regina, Vera und Sylvie
— da stehen sie in ihren Kostümchen, lächeln ahnungslos und sind
schon ausevwählt vor anderen Kindern. Meistens neigt sich noch
eine Dame zu ihnen herab, die ihre Mutter ist, und das Ganze
ist dann ein Bild ungetrübter Mutterliebe aus gutem Haus, wie
es die illustrierten Zeitungen gern zeigen.
Häufig ziehen die Damen vor, sich von den kleinen Engels
wesen zu trennen und ganz allein auf der Bildfläche zu erscheinen.
Sie tragen Pelze oder Gesellschaftskleider und immer einen aristo
kratischen Namen. Ist eine von ihnen aber einmal einem reichen
Bürgerlichen angstraut, um noch aristokratisch auftreten zu kön
nen, so wird bestimmt ausdrücklich erwähnt, daß sie eine geborene
Baronesse ist. Ein Hauch von großer Welt umgibt diese Damen,
sie sind selber von den Photographen ehrfürchtig hingehaucht wor
den. Die Jungen sehen einander Zum Verwechseln ähnlich, die
Netteren strahlen Huld aus, und hinter allen ist ein Zu
ahnen, dessen Wogen noch höher gehen als die am KurfürstendamM.
Bon den Heeren der Schöpfung ist selbstverständlich jeder eine
illustre Persönlichkeit, ein Adelsmensch sozusagen, sei es nun von
Geburt, von Geld oder von Geist. Botschafter^ Generaldirektoren
und Ministerialdirektoren geben sich hier ein Stelldichein — eins
erlesene Versammlung, -der zur Zeit Exz. von Seeckt mit blitzen
dem Monokel präsidiert. Auch mfter Reichspräsident hat sie schon
wiederholt mit seiner Anwesenheit beehrt. Starrem Kastengeist
abhold, gewährt sie Dichtern wie Heinrich Mann und DMiu, die
der Dichterakademie angehäreu, willfährig ein Asyl und ver-
schtteßt sich sogar nicht dem poetisthen Revolutionär Toller. Wir
leben in einem demokratischen Land. Die Photographen haben es
darauf abgesehen, den Mannerköpfen bedeutende Züge Zu ver
leihen. Manche entwachsen dämonisch den Schatten, andere wirken
durch die Augen, die Haarpracht oder scharstmodellierte Konturen.
Wären sie aus Stein oder Bronze, sie stünden weithin sichtbar
auf einem Postament,
Ihre richtige Leuchtkraft erhält die Gesellschaft erst durch die
Stars. Marlene Dietrich, Gerda Maurus, Lee Parry; sämtliche
Filmdiven find in den feenhaften Toiletten zugegen, in denen sie
die Rennplätze besuchen oder nach Premieren an der Rampe er
scheinen. Sie gleichen den Lilien auf dem Feld und schimmern.
In ihrer Rahe drangen gefeierte Schauspieler mit interessanten
Stirnfalten, -Tänzer, die sich verrenken, und die Muskeln von
Boxern. Einige Künstler und Künstlerinnen sind im Schaufenster
eines Friseurs ausgestellt, dem sie die Güte seiner Frisuren eigen
händig bestätigen. Es ist der Himmel auf Erden.
Der Marmor ist zum Photo geworden — aber wo sind die schnei
digen Leutnants geblieben? Auch für sie gibt es Ersatz. Eine
Sorte modischer Jünglinge bevölkert heute den Kurfürstendamm,
die sich der neuen Siegesallee genau so natürlich eingliedsrn wie
jene Leutnants der alten. Um treffendsten könnte man sie als
männliche Girls bezeichnen.
In diesen schonen Sommertagen grünen sie unter den Bäumen,
lustwandeln auf und ckb wie Luxuswagen und füllen die Cafe
Hausterrassen. Jünglinge, die sich wie die photographierten Mädchen
aufs Haar gleichen, aber trotz ihres einförmigen Aussehens den
Eindruck von Qualitätsfabrikaten machen. Jedenfalls sind sie mit
Geschmack hergestellt worden. Die Hosen sitzen ihnen straff um die
Hüften, Hemden, Schlipse, Schuhe und Seidentuchwimpe! passen
zusammen, urrd das gekrärrselte Haar ist augenscheinlich mit
WasserstossiupM gebleicht. Ihre Augen blicken leicht seemän
nisch, ihre Haltung ist ein Gemisch aus Anmut urG Stadion. Sie
sind den Mädchen, um die sie sich kaum kümmern, ein Wohlge
fallen, und noch mehr den Männern, die nach ihnen Ausschau
halten. Manche von ihnen haben sich aus Freude an Abenteuern
in verschiedenen Erdteilen umgetrieben und dann einige Beobach
tungen mit nach Häufe gebracht. Die schreiben sie nieder. Oder sie
gehen zum Film; oder sie leben, ohne etwas zu tun. Wovon sie
leben, ist rätselhaft. Es ist, als habe der Kurfürstendamm sie
gezeugt. Wie Sieger befchreiten sie ihn. Und die Prominenten, die
etwas vorstellen, blicken auf sie herab.
S. Kracauer.