ist, die frühmorgens immer trainieren. Die Frage ist nur: was
stellen sie vor? Ich weiß es nicht recht. Zu erkennen ist noch
gerade, daß die kommoden Nachttischchen, die Glanzbetten und die
Schreibtischniederlassungen den Anspruch erheben, der besseren
Oberschicht anzugehören, aber im übrigen bleiben sie stumm. Ost
sind die Eßzimmer düster wie Krematorien, ohne daß jemand in
ihnen verbrannt worden wäre, es sei denn die Suppe; dann wieder
dehnen sich uferlose Holzwände, die ein Meer von Feierlichkeit
sind, obwohl sich keine Talare hinter ihnen befinden, sondern
höchstens Kleider und Wäsche; oder Bücherschränke, die unter
günstigen Bedingungen als Absteigequartiere dienen, haben das
Aussehen von Herrschaftsgebäuden. Sie alle fühlen die Verpflich
tung, außer der Gesellschaftsfähigst auch die geistige Höherwertig-
keit darzutun und übernehmen sich einfach dabei. Leer klingen sie
aus, und je mehr sie zu sein behaupten, desto vordringlicher erinnern
sie an Plakate, Es ist, als seien sie einer Zeitschrift entstiegen.
Statt bis zuletzt die Sachlichkeit durchzuführen, nach der sie an
geblich streben, blähen sie sich mit Hilfe der neuen Formen Zu
einer Größe auf, die nichtssagend ist. Vermutlich entspricht ihre
Anmaßung dem Verlangen der Konsumenten. Ich könnte mir
jedenfalls durchaus denken, daß sie das längst unterhöhlte, aber
gerade darum krampfhaft bewahrte Standesbewußtsein mancher
Schichten äußerlich zu bestätigen hätte.
Der Gegensatz zwischen den abgelebten und den modernen
Zimmereinrichtungen ist also gar nicht so gewaltig. Wie man jetzt
jene mit einem leichten Gruseln belächelt, wird man in einer
späteren Zeit diese sicher durchschauen. Auch in ihnen rumoren
Gespenster, die kein Vakuumreiniger verscheucht.
S. Krakauer.
„Menschen Hinter Hütern«.
ILr Berlin, im Juni.
Der im Auslawd vielbesprochene Film: „M enschen hinter
Gittern", der jetzt endlich auch in Berlin zu laufen begonnen
hat, ist ein von der Metro-Goldwyn-Mayer in ihrer Cosmopolitan-
Produktion hergestelltes Monumentalwerk. Welches Gewicht die
Firma auf seinen Weltvertrieb legt, beweisen die für die deutsche
Version gemachten Anstrengungen. Heinrich George spielt die
Hauptrolle, und im Interesse der Dialoge sind gleich zwei Dichter
auf einmal: Walter Hasen clever und Ernst Toller be
müht worden. Dieses Aufgebot an Kräften und Namen wird
durch die Großartigkeit der Mitte^gerechtfertigt. Täusche ich mich
nicht, so ist das Gefängnisleben noch niemals so umfassend dar
gestellt worden wie hier. Hof, Zellen, Personal und Sträflings
massen finden sich zu Szenen zusammen, die den Eindruck unver
stellter Bilder der Wirklichkeit machen. Da fehlt nicht ein Detail,
da scheint nichts übertrieben. Der Gefängnisdirektor ist etwa kein
Bösewicht wie der bucklige Despot im russischen ZuchLhausfilm:
„Arsenal", sondern ein human denkender Beamter, der durchaus
glaubhaft wirkt. Und so sind auch die Gefangenen überzeugend
und unsentimental porträtiert.
*
Trotz dieser günstigen Vorbedingungen gedeiht der Film nicht
zur Gestaltung. Er möchte einmal die Zustände im Gefängms
schildern, zum andern Zeigen, wie aus diesen Zuständen eine Re
volte hervorwächst Da nun die an den Schluß gelegte Revolte
eine Katastrophe ist, die in ihrer ganzen Furchtbarkeit ausgemolt
wird — Tanks fahren auf, und die Maschinengewehre knattern un
unterbrochen — müßte sie durch die vorangegangenen Szenen zu
länglich begründet sein, um sich der Komposition wirklich sinnvoll
einzufügen. Ich erinnere an die Schreckensepisoden und die revo
lutionäre Erhebung im „Potemkin". Während aber in diesem
klassischen.Werk Prinzipien miteinander kämpfen, aus denen sich die
Greuel zum mindesten erklären lassen, bleibt der Sträflingsaufruhr
des amerikanischen Films ein isoliertes, geistig nicht zu bewältigen
des Ereignis. Peder folgt er aus systematischen Mißhandlungen -
im Gegenteil, die Leute haben es gar nicht so schlecht —, noch ist
er auf soziale oder politische Motive zurückzuführen. Nicht einmal
an den eingeschalteten Protest der Gefangenen gegen das schlechte
Essen knüpft er unmittelbar an. Auch die Sorgen, die sich der Di-
rettor wegen der Ueberfüllung des Gefängnisses und der erzwun
genen Untätigkeit seiner Insassen macht, unterbauen ihn nicht; denn
statt durch die Zustände bewahrheitet zu werden, fallen die hierauf
bezüglichen Bemerkungen so beiläufig, daß sie der Rebellion höch
stens als Vorwand dienen können. Eines Tages bricht sie ein
fach aus, weil der Lebenslängliche die Gefangenschaft nicht länger
erträgt. Gewiß, dergleichen kommt vor. Die hinterher einsetzende
Beschreibung des Feuergefechts aber, in der jedes Detail wollüstig
ausgekostet wird, vermag ihre Ausführlichkeit nicht zu legitimieren
und enträt darum jeder Bedeutung. Oder vielmehr: ihre Be
deutung ist die der Effekthascherei. Nicht umsonst löst sie
wie irgendein unerhelltes, ungestaltetes Faktum nur stumpfes
Grauen aus. Daß sie gar nicht mehr sein will als eine pure
Sensation, geht indirekt aus dem sngehängten Kapxx enä hervor,
das die Begnadigung des Favoriten bringt und durch die Hin
wendung zum glücklichen Einzelschicksal nochmals dartut, wie
wenig hier das Gesamtschicksal der Gefangenen in Frage steht.
*
Ich wüßte nach alledem nicht, was wider die Begründung ein-
zuwenden wäre, mit der die Bildstelle des Zentralinstitüts
für Erziehung und Unterricht es abgelehnt hat, den Film als
künstlerisch wertvoll anzuerkennen. Sie tadelt unter anderem, dass
das Problem des Strafvollzugs nur in einigen unwesentlichen
Sätzen angeschnitten worden sei, nimmt Anstoß an dem „süß
lichen" Abschluß und findet mit Recht, daß die Kampfszenen zwi
schen Aufsehern und Gefangenen den „inneren Gehalt" vermissen
lassen. Man hat in Berliner Künstler- und Fachkreisen über den
negativen Bescheid der Bildstelle diskutiert und ihn teilweise nicht
gebilligt. Aber ich meine, daß er rein sachlich jedenfalls hinreichend
motiviert ist. Zu prüfen bliebe nur, ob an andere Wme, denen
tatsächlich ein künstlerischer Wert zugesprochen wurde, dieselben
strengen Maßstäbe der Beurteilung angelegt worden sind. Man
darf das bezweifeln, und immerhin überragt der Sträslingsfilm
ungeachtet seiner offenkundigen Mängel die meisten deutschen Er
zeugnisse. Da es sehr schwierig ist, in künstlerischen Dingen nach
einheitlichen und unantastbaren Grundsätzen zu verfahren, sollte
die Bildstelle überall dort, wo ernsthafte Qualitäten im Spiel, sind,
lieber ein Auge zudrücken, als sich dem Verdacht der Willkür aus
setzen. Sie hat ja auch dem Rens Clair-Film die künstlerischen
Ehrenrechte zurückerstattet, und außerdem ist die Produktion eben
so armselig, daß hohe Kunstbegriffe ihr gegenüber kaum ange
bracht sind. .
O
Der Ungar PaulFejoshat die Regie geführt. Er, dem wir
den stummen Film: „Zwei junge Herzen" verdanken, einer der
schönsten, einfachsten und zugleich gefülltesten, die ich überhaupt
kenne, beweist mit dieser Leistung, daß er auch die Massenführung
beherrscht. Bewundernswert ist, wie er die Gefangenenzüge durch
den Hof leitet, sie dann auflöst und wieder zu kleinen Gruppen
Zusammensetzt — ein graues Gerinsel, das den ganzen Film grun
diert und alle Einzelauftritte miteinander verbindet. Aus ihm
treten, von der virtuos, aber auch nur virtuos kompinierten Re
volte abgesehen, verschiedene Szenen besonders eindrucksvoll Her
vor. Die Demonstration im Speisesaal vor allem, bei der rm
Takt gebrüllt wird und zahllose Eßnüpfe durch die Lust wirbeln.
Ferner die Andacht in der Kirche, die eine vollende Kontrast
wirkung enthält. Während der Geistliche fad über den Frieden
redet, wandern unter den Betpulten Revolver aus einer Hand
in die andre. Nicht minder gekonnt ist das kleine Zwischenstück
in der Dunkelzellen-Abteilung, das zudem einen rein dem Tonfilm
voröehaltenen Effekt erzielt. Man sieht den trüb erleuchteten Gang,
an den die Stahltüren grenzen, und hört die verzweifelten Ge
spräche der Arrestanten, die man selber nicht sieht. Sie müssen
schreien, um sich zu verständigen, und es ist, als riefen sie sich aus
weiter Ferne Trostworte und Flüche zu. Andere Partien sind
schwächer. So ist das Gefängnisgebäuds eine fantastische Filmtrutz
burg und Annie, das einzige Mädchen im Stück, eine konventionelle
Figur, die ausgezeichnet in das zu ihr gehörige Familienstilleben
past, in dem sie sich auch nicht bewegt.
Heinrich George: ein dickes, gutmütiges Bündel ungelenker
Triebe, ein dumpfer Fleischkoloß, der nichts von sich oder gar von
der Welt weiß; es sei denn, daß er nicht eingesperrt leben mag.
Er spielt, was zu spielen ist: die Trauer um den Tod der Mutter,
die Raserei, die Dummheit, die Treue, ist aber, ohne daß es ihm an
Uebergängen gebräche, in jedem Moment um eine Spur zu massiv.
Als ob ihm die Gewichtigkeit des Körpers dazu verführe, so be
tont und unterstreicht er die einzelnen Phasen. Gäbe er weniger,
so wäre er mehr. Sein Kumpan Gustav Dießl strahlt einen ge»
wissen, seelisch fundierten Charme aus und erwirkt der von ihm
verkörperten Rolle alle Sympathien, die ihr zugedacht sind. Der
undankbaren Aufgabe, einen schlecht konturierten jungen Gefange
nen darzustellen, der den Spitzel macht, entledigt sich Egon von
Jordan verhältnismäßig geschickt. Angenehm fällt Peter Erke
lenz als Gefängnisdirektor auf.