soll der Vortrag nur die trübe Stimmung verjagen und die An
wesenden aus den Sümpfen der ihnen abgeforderten Literatur ge
wissermaßen in höhere Regionen erheben. Geistig genug ist er
jedenfalls dazu.
Nach einer knappen Stunde wird die Börse geschlossen. Sie ist
eine zweckmäßige Einrichtung, und wie ich erfahre, hat das Geschäft
bereits ganz gut eingesetzt. Die Herren erheben sich, und es ist zu
vermuten, daß jetzt manche Jugendgedichte aus den Schubladen
geholt werden, um in den Sammelwerken: „Wir von heute" oder
„Junge Wege" Auferstehung zu feiern. Der im nächsten Jahr fällige
Goetheroman wird konzipiert werden und eine geheimnisvolle Frau
in den Mittelpunkt verschiedener spannender Kriminalromane rücken.
Immer noch sind die Cafehaussäle verödet. Zwischen ihren Polster
fesseln könnet man sich wie in diesem Literatur-Dschungel verirren.
8. XrLaauer,
rücksichtigung verlangen, beweist das Beispiel einer süddeutschen
WochenzeiLung, die es auf Reiseberichte aus den Mittelmeerländern
abgesehen hat.
Auch die eigentliche Belletristik wird zur HandelAvare. Ich
kmn es mir nicht versagen, ein paar Angebote wiederzugeben, die
Offenbar einer tiefen Kenntnis der Konsumentenbedürfniffe ent
springen.
Ein Verlag der so rührig ist, daß er schon die Titel xukunfiign
Werke bereit hat, sucht: „Gedichte für folgende DammlungSwerke,
die im Kollektiv vertrieben werden sollen: ZLir von heute', ,Jnng4
Wege', ,Aufschwung', -Balladen und Eonnette'."
Ein anderer Verlag möchte für das englische Sprachgebiet unter
anderem erwerben: „Kriminalromane, in denen eins Frau im Mit
telpunkt der Handlung steht/
„Zeitungsromane, 30 bis 50 Fortsetzungen, »inen guten Goethe
roman, Tier- und Sportromane" sucht ein Unternehmen, dem sA
entschieden nicht an Vielseitigkeit fehlt.
Eine bedenkliche Reihe, die sich so lang fortsrtzen ließe wie dir
erbetenen Zeitungsromane. Nachfragen nach Märchenspielen für
mittlere und größere Bühnen, mit und ohne Musik, nach Volks«
-perntexten, Einakterserren für Kino und Varietee, nach „KriegS
erlebnisbüchern", Sketchs und Schwanken vervollständigen diese ge
mischte Gesellschaft, die sich an der Autorenborse wie in einem
Warenhauskatalog trifft. Ihre Zusammensetzung gibt nicht zuletzt
über die Richtung Auskunft, nach der die stofflichen Lesewünsche
der unliterarischen Massen drängen.
Die Börsenbesucher notieren schweigend die für sie beachtlichen
Tips. Ihrer manche trinken eine Tasse Bouillon, um sich für das
kommende Tagwerk zu stärken. Dann hält ein Herr einen Vortrag
über das immer zeitgemäße Thema: „Der Stil formt eine Epoche";
Man könnte auch sagen, daß sich eine Epoche ihren Stil formt, und
überhaupt weiß ich nicht, warum der Herr eigentlich spricht, eine
Autorenbörse ist doch keine Bildungsversammlung. Aber vielleicht
sten Hütte begnügt, sondern die größte Jacbt wählt, die wir alle
nicht haben.
Zerstreuungsstücke befriedigen ein rechtmäßiges Bedürfnis, und
wider Filme, die sich gewissermaßen von Berufs wegen mit Erotik
besassen, ist nichts weiter cinzuwenden, wenn sie so charmant sind
wie etwa die „Liebesparade". Das Bedenken, das ich gegen jenen
bestimmten Typ von Ufa-Erzeugnissen habe, den auch dieser neue
Film wieder verkörpert, ist ein anderes. Es richtet sich gegen seine
Gepflegtheit. Mit einem Aufwand an Mitteln, der nur einer wirk
lich haltbaren Sache würdig wäre, wird in ihm eine windige Be
gebenheit verfestigt. Der Karneval von Nizza muß mitttun, die -
Hafenkneipe wirkt echt, und der ganze Aufbau steht wie für alle
Zeiten. Es ist, als habe man ein stabiles Haus für provisorische
Zwecke errichtet. Ein solches Verfahren, das schon an sich sinnwid
rig ist, widerspricht aber geradezu dem Wesen der Zerstreuung. Sie
verlangt nicht, pfleglich behandelt zu werden wie ein bedeutenderer
thematischer Vorwurf, sondern will ihre Flüchtigkeit auch durch die
Gestaltung zum Ausdruck bringen. Nicht so, als ob sie keinen Kunst
verstand erforderte; dieser jedoch muß sich darauf verstehen, der
Zerstreuung als einer Zerstreuung Geltung zu verschaffen, statt sie
mit ^ sprächen zu belasten, denen sie unmöglich nachkommen kann.
Aus guten Gründen entraten die Revuen durchgehender Motivs
und die richtigen Boulevardstücke sind alle mit Absicht locker gewebt.
> m ihnen unterscheidet sich der Ufa-Film weniger seinem Stoff
nach als durch die viel zu soignierte Mache. Geschlossen wächst er
herauf, eine massive Masse, in der die notwendigen Lücken fehlen.
Und die in ihn gesteckte Arbeit dient nicht dazu, der leichten Ware
die Leichtigkeit zu schenken, sondern veranschaulicht bestenfalls, wie
schwer es ist, leicht zu sein.
Wird die pure Zerstreuung so seriös traktiert, dann kann etwas
nicht stimmen. Zur gleichen Vermutung drängt ja auch das ganze
Produktionsprogramm der Ufa, gegen das ich an dieser Stelle schon
geltend gemacht habe, daß es im Namen der Zerstreuung unsere
aktuellen Zustände nicht berücksichtige. Sie, die doch im Film ver
hältnismäßig mühelos zu vergegenwärtigen wären, scheiden aus
dem Programm nahezu völlig aus. Daß zwischen ihrer Umgehung
und der angestrengten Miene, mit der Unterhaltung produziert
wird, ein Zusammenhang besteht, liegt auf der Hand. Der Ernst
verlagert sich gleichsam. Man lenkt ihn von den Gegenständen ab,
die seiner bedürften, und führt ihn Stoffen zu, die der Erholung
gewidmet sind. Das aber ist gerade die Unstimmigkeit, die ich meine
und die im übrigen nicht nur bei der Ufa herrscht. Sie rührt von
der Unlust her, unserer sozialen Lage ins Gesicht zu sehen, und ist
zum überwiegenden Teil selber ein politisches Phänomen. Niemand
käme auch nur auf den Gedanken, eine Zerstreuung zu beargwöhnen,
bie ihre Unterhaltungspflichten unprätentiös erfüllt und sich über
haupt richtig einzuordnen weiß. Wenn sie sich aber in den Mittel
punkt rückt und auf Kosten von Gestaltungen erfolgt, die aus der
Wirklichkeit unseres Daseins geschöpft sind, bleibt nichts anderes
übrig, als sie der Verdrängung solcher Gestaltungen zu beschuldigen.
Sie hört auf, nur harmlos zu sein, und die Erotik, die sie an-
schwemmt, ist insofern zweideutig, als sie außer ihrer üblichen
Funktion noch die des Einschläferns hat. Die stilwidrige Plump
heit der betreffenden Filme ist innerhalb des ästhetischen Mediums
die Rache für diese Verkehrung der Ordnung.
Harry Liedtke als Niewiederliebender: vielleicht glaubte man
ihm eher, wenn er stumm wäre wie früher, aber der vulgäre Klang
seiner Stimme entzaubert leider jene männliche Holdseligkeit, an
der sich die Mädchen wärmen. Lilian Harvey ist erotisches Kunst
gewerbe. Aus der Reihe dieser geschliffenen Wesen fällt eigentlich
nur Marga Lion, die in einer Episodenrolle auftritt, durch den
echteren Ton heraus. — Das Berliner Publikum strömt in Mengen
zu diesem Film; ein Beweis dafür, wie hart jetzt die Zeiten sind.
8. Lraoauer.
Gepflegte Zerstreuung.
Eine grundsätzliche Erwägung.
Berlin, im Juli.
„Niewieder Liebe" — ein neuer Großfilm der Ufa, und
er hält, was ihr Produktionsprogramm verspricht. In der Tat: er
ist reine Zerstreuung. Soll ich seinen Inhalt, der dazu bestimmt ist,
eine Stunde lang zu unterhalten und hinterher einer ähnlichen Be
langlosigkeit wegen radikal vergessen zu werden, ernsthaft zer
gliedern? Vielleicht ist es nicht unnützlich, ihn, der aus dem Nichts
gleich ins Nichts schlüpfen will, einen Augenblick festzuhalten.
Die nach dem seinerzeit oft gespielten Bühnenstück: „Dover-
Calais" hergestellte Fabel hat eine Art von Don Juan zum Helden,
der über seine Geliebten Buch führt und, um sich aus den ver
schiedenen Asfären zu ziehen, jedesmal eine Unsumme Geldes ver
schwendet. Ich denke mir, daß der Hauptzweck der genauen Bekannt
gabe dieser unwahrscheinlich hohen Beträge darin besteht, im Pub
likum einen angenehmen Höhenrausch zu erzeugen. Später be
schließt der Don Juan dem, was hier Liebe heißt, zu entsagen,
fährt in seiner Jacht, ohne deren Besitz die Entsagung nicht den
nötigen Glanz hätte, durch alle möglichen Weltmeere spazieren und
verfällt selbstverständlich zuletzt doch den Reizen einer Nixe. Im
Verlauf dieser natürlichen Entwicklung ist dafür gesorgt,
1. daß das Thema der Liebe nie verlassen wird;
2. daß durch die Einschaltung von lauter retardierenden Momen
ten die erotische Spannung immer neue Steigerungen erfährt;
3. daß die häßliche Welt nirgends die Gelegenheit erhält, sich in
das amouröse Ereignis zu mischen.
Kurzum, der Liebe wird in dem Film unbegrenzter Raum zur
Entfaltung geboten. Kein Wunder, daß sie sich nicht mit der klem-