Zum Uaradies der Aabys
Kindes gemeint. Es kann noch nicht Ich stammeln
und möchte
^Wahrend die Krise Deutschland wie eine Pestilenz heimsucht,
Millionen von Menschen nicht wissen, wovon sie das nächste halbe
Jahr leben sollen, und die Beschränkung der Geburten zur immer
unabweisbareren Notwendigkeit wird — genau in diesen glorreichen
Zeiten werden wir mit einer Ueberfülle von Babys gesegnet. Man
kann keine Filmwochenschau genießen und keine illustrierte Zei
tung oder Zeitschrift aufschlagen, ohne sie dort in den paar Le
benslagen anzutreffen, die sie schon e'mzunehmen verstehen. Babys
mit Müttern, Babys mit Hunden, Babys mit Katzen, strampelnde
Babys, lachende Babys und. greinende Babys: immer wieder er
scheinen sie auf der Bildfläche und verlangen bewundert zu wer
den. Da es so viele Kinder in der ganzen Welt nicht gibt, ist die
Unzahl der Abbildungen nur daraus zu erklären, daß die vor-
hündenen unaufhörlich, photographiert werden. Jedes Baby beschäf
tigt gewissermaßen seinen eigenen Photographen, der es belauscht
und dann in die OeffenLlichkeit verschleppt. Das Bedürfnis, diese
unschuldigen, entzückenden Geschöpfe ihr auszusetzen, ist Lief genug,
um auf jede Rechtfertigung verzichten Zu können. In der Tat
werden sie gewöhnlich einfach grundlos gezeigt oder füllen unter
dem nichtigen Vorwach eines Preisrätsels die Seiten.
Zweifellos befriedigt die Serienfabrikation von Babys eine
Sehnsucht der Erwachsenen, die schlechterdings nicht zu ersticken ist.
Wie. oft habe ich nicht Gelegenheit gehabt, die Wirkung Zu be
obachten, die das unvermeidliche Kmder-Jntermezzo der Film
wochenschau im Publikum auslöst. Wenn das Baby in Groß
aufnahme tolpatschige Bewegungen macht, sein Gesichtchen verzieht
und noch dazu kräht, raunt plötzlich der Saal, Ausrufe der Freude
werden laut, und eine fühlbare Entspannung tritt ein. Unschwer Zu,
merken, daß dieselben Zuschauer, die ihre Babys wahrscheinlich nur
unter Entbehrungen auffüttern können, über dem Anblick dieses ver
filmten den Existenzkampf vorübergehend vergessen. Sie spüren die
Not nicht mehr, sie sind im Paradies angelangt.
.Der Aufenthalt in ihm wäre ihnen wohl zu gönnen, wenn die
so reichlich offerierte Babywelt nur wirklich das Paradies wäre.
Aber ist sie es denn? Viel eher scheint sie eine allzu bereitwillig her
gerichtete Oase für Erwachsene zu sein, und der fortwährende Rück
zug in sie sieht einem Fluchtversuch verzweifelt ähnlich. Ueberhaupt
verfolgt ja das typische Bilderensemble, in dessen Mitte unsere
reizenden Kleinen gemeinhin auftauchen, nicht eigentlich den Zweck,
die wirklichen menschlichen Zustände zu schildern. Dargeboten
werden vielmehr lauter Ereignisse, wie Kriegsschiffe, Denkmals
einweihungen und Sportfeste, die diese Zustände wo nicht verdecken,
so doch unerhellt lassen, und vor allen Naturkatastrophen, deren Um
abwendbarkeit auf der Hand liegt. Wann immer ein Baby holdselig
lächelt, ist es von schlagenden Wettern, Feuersbrünsten und Ueber-
schwemmungsgebieten umgeben.
Mit diesem holdseligen Lächeln ist auch die Vorbewußtheit des
VirLvrtiK Li» Serlr»
Von 8. k^rLOLUSr
2vei Jünglinge, die millratenen Lnen auirergv-
vöbnliebsr Litern entstammen, kommen aus einem
DanderLiebungöbeim in dio Welt. 8ie sind sozusagen
Le-briftstelleriLOb begabt, lieben einander, vordem
alle beide von derselben ansebeinend frigiden Lobau-
snielerin gereift und betrogen und geraten bald m
den besobeidenen Ltrudel grollstädtiseber Vobeme.
Der eins von ibnen — er ist der Lr^äbler und
eigenitiebe Leid — unterliegt ibren Lockungen in
Berlin, ^ls kleiner Beuillstonredakteur einr >
grollen Blattes verfällt er jenem Leben. desLen
Lullere Ltationen die Bedaktionsstubem Oakes und
Linos, Lekvannecke, Lveifelbäkto Lünstler und aller
lei Brauen sind. Nan konnt das: diese dureboualten
blaebte, diese endlosen Diskussionen, diese ^.ngst,
naeb Lause ?u geben, dieses Eemisob aus seeliseben
Verwicklungen und materiellen Löten, diese Lerie
von vrovisorisoben LiebesbeMbungen. Zuletch er-
Nllt den düngen ein ebrlieber Lksl vor den 2eitungs-
intrigen, den Nenseben. mit denen er es 2U tun bat,
und seinem ganzen verkabrenen Dasein. Lr macht
ibm auk eins böebst romantisobe Weiss dadurob ein
Lude, dall er sieb ausgersebnet in die Nutter seines
Breundes verliebt, und mit ibr.'die noeb daru Italie
nerin ist. eines, schönen Abends den 2ug naeb Bom
besteigt. Wäbrend er so vor der Ltadt die Bluebt
ergreift, der or nicht gewachsen war, bleibt der
Breund Lurüek, um den Lampf mit Berlin weiter ru
kübren.
Der Lrchbler ist Beter UendoIssobn. und
sein Buch beillt: „Bsrtig mit Berlin?'
(Bbilipp BeÄam jun., Leiv^ig. 344 8. 6eb. U. 6.50).
Lä ist der erste Boman eines jungen Autors: eine
im Ichton vorgetragene Beichte, die flott abgewickelt
wird und auf ein besonderes Verbältnis 2ur Lvraebe
niobt 2u schliellen erlaubt. Lein Wort wäre über
diese Wiedergabe intimer dünglingsschieksale ?u
verlieren, die das wirkliche Berlin kaum betreffen,
erregte das Buch nicht die Lvmvatbis kür seinen
vielleicht gerade erst erfahren, ob es zu seinen Beinchen gehört.
Eben seine Ahnungskosigkeit ist aber der entscheidende Grund, aus
dem die Erwachsenen das Kinderland überall plakatieren. In ihm
finden sie den Zustand des Nichtwissens verwirklicht, der ihnen
selber wünschenswert erscheint, und dadurch, daß sie ihm zu
streben, erlangt das Reich der Babys so gewaltige Dimensionen.
Die Angst treibt sie dorthin wie in ein Asyl, die Angst davor, sich
über die Verhältnisse, in denen sie leben, Rechenschaft ablegen
zu müssen. So gewiß manche Einrichtungen der Gesellschaft einer
Aenderung fähig wären, ebenso gewiß sind breite Schichten der
Bevölkerung an der Aufrechterhaltung des Bestehenden inter
essiert. Nicht so, als ob sie von den Uebeln verschont blieben,
unter denen wir alle zur Zeit leiden; aber sie fürchten das gößere
Uebel, das eine Umwälzung des ganzen Gesellschaftsbaues für sie
möglicherweise bedeutete. Da nun die Einsicht in die Struktur
des Zu Verändernden die Vorbedingung jeder echten Ver
änderung ist, schließen sie aus Instinkt die Augen und erhöhen
fälschlich auch das Wandelbare Zum Rang von unerschütterlich
notwendigen Gegebenheiten. Baby-Produzenten und Baby-Kon
sumenten stimmen in dieser Neigung vollständig überein. Ach,
sie wollen nicht vom Baum der Erkenntnis essen, sondern lieber
Unmündige sein. Und um nur ja der Konfrontation mit den
Zuständen zu entrinnen, der sie als reife Menschen nicht aus dem
Weg gehen dürften, ziehen sie es vor, sich zu den Babys zurück-
zuziehen und . sich in ihnen zu spiegeln. Deren Hochflut ist das
Zeichen für die Infantilität der Erwachsenen. Weil diese ihre Be
wußtheit Preisgeben, steigt das noch nicht bewußte Leben um uns
auf und wird paradiesisch verklärt. Aber wenn auch der Ort des
Paradieses unbekannt ist, in der Verschollenheit hinter uns ist es
nicht Zu gewinnen.
Die Maffenansammlung von Babys ist also gar kein Beweis
für die vermehrte Liebe zu ihnen. Das aber ist gerade das Fatale
bei diesen Schwärmen von boM, die man neuerdings auch
Zu Schönheitskonkurrenzen ausnutzt: daß sie nicht um ihrer selbst
willen grassieren, sondern das Publikum in ihr eigenes Dasein
versetzen sollen. Sie werden mißbraucht, sie haben die Aufgabe, die
in Schlaf Zu wiegen, von denen-sie, wenn es mit rechten Dingen
zuginge, eingewiegt werden müßten. Noch schwimmen sie auf
Lotosblättern im Teich, und schon sind sie Mittel Zum Zweck.
Statt daß man sie in Familienalben aufbewahrte, die der Erinne
rung dienen, Zerrt man sie schockweise heraus und bringt sie als
Genußartikel an den Mann; statt sie behutsam zu bewußten Men
schen zu machen, stellt man das Bewußtsein mit ihrer Beihilfe ab.
Dieselben putzigen und 'reizenden Wesen, die man in solcher Ab
sicht verwendet, werden aber eines Tages auch groß und erwach
sen sein, und ich bezweifle beinahe, ob sie dann denen Dank wissen
werden, die sich heute Zu ihnen flüchten.
L. Lraeauer.
Verfasser. Hw Lbtnem B'alent ist wenig gelegen, ^bl
aber etwas an dem instand. mit dem er sein Bri-
vatlebsn 2U erledigen sucht. Die moralische Lnergie,
die in ibm Lu spüren ist, bietet eins gewisse (dewäbr
dafür, dall es ibm trets der unglückseligen Italienerin
doch noeb ^elinKen ^erds. den Dunstkreis su dured-
dreeden, der idn von der ^ulleEeit trennt.
Dreiliod! nmllte er ME der Dndaltoarkeit
des Standorts inne werden, den er in seinem Roman
tzinnimmt.' Leine kosition ist die anaeüronistiseNo der
VorkrieMju^end, die sied lieber mit ibrer eigenen
Rersünliebkeit bekallte als mit den Verbültnisson,
die ibr diese Rersönliebkeit ermöÄiebten: die sieb
von der OeseHsebakt Lurünksestollen küblte. ^veil sie
ibre Eeset^s 2u erkorseben verabsäumte: die ibr In
nenleben so sukbausebte, dak sie die ^Virkliebkeit
draullen aus dem ^uso verlor. Nendelssobn sebört
ru den Uaeb^Mlern jener versebollenen Generation,,
die offenbar in den DandernebunLsbVimen noeb vüe
in l^atursebntönarks v^eit^ werden 'Weder
sedenkt sein Held je der nolitiseben und soEon
M'ebte, deren Dummelniat^ Berlin und erst reebt
jede Berliner Aeiturm ist, noeb entfernt er sieb auch
nur ein ein^mes Na! so vmit von seinem leb, um in
Lremmsso seserrt M verdien, die es niobt selber
beraukbesebvorsn bat. BsLeiabnend für diese irmend-
bobs Lubjektivität ist das vermobtenäs Urteil das
er über Berlin fällt: „Wer sieb nü-bt mit allen bun^
dertBrorent in Niedrigkeit und Boblbsit des öe.
triebes, der Börse für Runst und Literatur binem--
kniet .., ner Widerstand entgegensetst der Bn^itz-
senbmt, chnmaüung und inbaltlosen Oroüspreebe-
rei, iver bemübt ist, sieb als virkliebs geistige Bxi-
swnL mit dem. vas er ist und kann, und niobt, mebr
und nmbt weniger, seinen Bluts su sedEen, der vird
einige male im Rrmse dieses grollen Wirbels berum-
gedrebt und dann an die Beripberie gesobleudert,
und damit ist Hmns geistige LxiätsvL kür Berlin rsr-
vroenen t nd selbst venn er es sebakft, venn er sieb
unter die bliebtvisser in den grollen Bositionsn
allen Aktionen seine Lande
kerlbibt. Leibst dann, venn er sieb einmal virklieb
^OchOsetLt bat, vird er siob immer noeb in der Oe.
seBsebatt geistiger Mischlinge und chubältsr bekinddn.