erscheinen.
Z. Xracauar.
In einem neu eröffneten Wochenschau-Theater sieht
man jetzt eine knappe Stunde lang nur Wochenschauberichte, die
genau so von der Wirklichkeit abstrahieren wie jenes Lächeln, ob
wohl sie Ereignisse aus aller Welt püblrzieren. Eingeborenentänze,
Überschwemmungen, Rennen, militärische Rüstungen, Babys und
See-Elefanten: das übliche ununterrichtete Durcheinander, das
den Einblick in die Welt nicht erleichtert, sondern verhindert. In
teressanter als diese Darbietungen selbst ist eine Aeußerung über
sie, die ich in der Abendausgabe des „Vorwärts" finde. Dort heißt
es, nachdem der Wochenmischung, die übrigens zum mindesten
schneller wechseln müßte, um durch ihre Aktualität eins Wirkung
zu erzielen, Beifall gezollt worden ist: „So mannigfaltig das Pro
gramm ist, eins fehlt darin: die Arbeiterschaft. Wenn die Foxtheater'
auf die breiten Massen rechnen, müssen sie Bilder aus ihrem Leben,
ihre machtvollen Aufmärsche und Olympiaden bringen." Wie sehr
wird in dieser Bemerkung das eigentliche Gebrechen der Wochen
schau verkannt. Gewiß, die Arbeiterschaft ist wie so vieles andere in
ihr nicht enthalten; aber wäre sie damit heraufbeschworen, daß man
ihre Olympiaden und Aufmärsche zeigte? Ich glaube, daß die
Wochenschau solche Begebenheiten getrost einbezieben könnte und
doch genau das bliebe, was sie jetzt ist: ein Mittel der Abblendung.
Sie sagt nicht mehr über die Zusammenhänge aus, die uns berref-
fen, wenn man zu ihren Luftschiffen und Volksfesten noch eme
Arbeiterdemonstration hinzuaddiert; sie füllte sich nur dann mir
Inhalt, wenn man Lhve Konstruktion entscheidend veränderte. Wich
tiger beinahe als die Aufnahme belangvoller Vorgänge ist der
Wandel ihres Arrangements. Wird das sinnlose Geplausch durch
eine Anordnung ersetzt, in der ein Bild das andere zu kommen
tieren vermag, so muß die Arbeiterschaft unter Umständen gax nicht
immer selber austreten, um gewissermaßen zwischen den Zeilen zu
geben, ws das Lächeln und bte Liebe beheimatet sind, nimmt es
mit ihren schmalen Resten vsrlieö. Die internationale Geltung
des Lubitsch-FilmS beruht darauf, daß er den Bedürfnissen von
Konsumenten entspricht, die nicht in der Wirklichkeit selber, son
dern nur durch das Absehen von ihr miteinander verbunden find.
Aus dieser Tatsache darf aber nicht gefolgert werden, daß die
nationalen Erzeugnisse unter allen Umständen höher stünden als
die internationalen. Im Gegenteil: denkbar ist eine Inter
nationale, die sich der nationalen Eigentümlichkeiten bemächtigt
und sie vermengt, ohne sie zu entleeren. Ihre Voraussetzung wäre
allerdings, daß die Nationen sich dazu bereit fänden, ihre sozialen
und politischen Angelegenheiten zusammen zu regeln. Dann hättet
die Wirklichkeit Zugang zum Film, und Chevalier könnte in einer
Wiener Operette pariserisch lächeln.
Bis dahin ist es noch weit. Vorderhand begegnen sich die Völ
ker weniger in Erkenntnissen als im seichten Mischmasch von
Emotionen. Oder, wie Soma Morgenstern es in seiner reizen
den, an dieser Stelle unlängst veröffentlichten Kritik des Cheva
lier-Films: „Der lächelnde Leutnant" ausdrückt: „das
Band des Lächelns verbindet uns mit der Welt." Ich habe
Maunce Chevalier in Paris gesehen, bevor er nach Hollywood
kam. Auch damas lächelte er. Aber sein Lächeln hatte einen Lokal
ton, es war ein Pariser Lächeln, das er ausstvahlte, und fern
Gang war der eines „Voyou", der über die äußeren Boulevards
schlendert. Jetzt ist hieses Lächeln verschlissen und gehört nicht
mehr zu einer lebenden Sprache, sondern allenfalls zu den dürf
tigen Vokabeln, auf die sich Chevalier um der besseren Absatzchancen
willen beschranken muß. Ganz in der Ordnung, daß es eine Ero
tik beglänzt, die gleich ihm selber ein Abhub ist. Man sollte ihr
lieber nicht auf den Grund gehen, denn ihre Leichtigkeit ist nur
noch Fassade, und hinter ihrer Frivolität verbirgt sich notdürftig
die Roheit. Diese aus Wien bezogene Erotik und das in Paris
gebürtige Lächeln: beide finden sich erst, nachdem sie ihrer Echt
heit beraubt worden sind. Nichts wider Lubitsch; er mixt, ein
zweiter Reinhardt, die denaturierten Elemente vortrefflich und
bemüht sich darum, den Wünschen des bürgerlichen Publikums aller
zivilisierten Länder zuvorzukommen. Daß es dem Zauber solcher
Mache erliegt, kennzeichnet den Ort, an dem es sich heute aufhält.
Statt sich in der Aufklärung des gemeinsamen Elends zu treffen,
flieht es gemeinsam vor ihr; statt sich dort eiy Rendezvous zu
Mischmasch.
Bemerkungen zu einigen Filmen.
BerUn, im September.
Das Experiment- gegen dessen Durchführung sich Chaplin noch
immer sträubt, Buster Keaton hat es unternommen. Er spricht.
An seinem Film: „Buster rutscht ins Filmland" redet
er wahrhaftig wie irgendein anderer Mensch, und wird auch die
^ Wirkung dadurch beeinträchtigt, daß man ihm die deutsche Sprache
untergeschoben hat, der seine Gesten Widerstreiten, so läßt sich doch
chinH.W ermessen, was diese Umwandlung der stummen Figur
.in Ane." sprechende bedeutet. Um ganz von den Schwächen des
Films zu Mw dessen Situationskomik sich zwischen den lang-
wierige^MWoge^ entfalten kann: Buster selber hat
Schaden AUem Das ist nicht jener Buster Keaton mehr, den
Wir alle kennen, der B rsche mit dem verständnislosen, starren
Gesicht, das durch seinen unentwegten Ernst den angemaßten der
Umwelt bloßstM; das ist ein Spaßmacher ohne besondere Misston,
ein Akteur, der sich von seinen Gegenspielern grundsätzlich nicht
unterscheidet« Er macht gewiß verschiedene Anstrengungen, um
auch sprachlich auSzudrücken, was er mimisch sagte; aber ihr ein
ziger Erfolg ist, daß er sich nur desto tiefer in die Welt verstrickt,
der er vorher fremd gegenüberstand. An deutlichsten tritt die Tri-
vialisterung der Figur in den entscheidenden Szenen hervor, die
ihn als einen hilflos Liebenden zeigen. In ihE
sprechende Buster, das Hauptgewicht darauf, sein Pech in der Liybe
aus der Innerlichkeit abzuleiten^ ihm nicht erläM, 'mit dem
MMchen Nebenbuhler zu konkurrieren, der wie ein Kork
Oberfläche treibt. Die Seele schnaubt, und das Gefühl ist hier
alles. Nun ist zweifellos auch der stumme Buster manchmal ein
benachteiligter Liebender gewesen; doch er hat nie seine Leiden
psychologisch zu vertiefen versucht- sondern sie stets durch die Art
ihrer Darstellung Zu einem Hinweis auf die kEstitütive Einsamkeit
des Menschen in dieser Zeit gestempelt. Nicht die sMue Inner
lichkeit — die Leere der Welt hat er durch sein Malheur ent
hüllen wollen. Eine gute Beschränkung - denn die ^Innerlichkeit
selber ist fragwürdig geworden, oder doch jedenfalls zu wenig
tragfähig, als daß man mit ihrer Unterstützung die Zustände ss
schlagend desavouieren könnte, wie es der stumme Buster getan
hat. Kein Zweifel: der sprechende ist nicht ins Land des Films,
sondern in das der Seelegerutscht, in dem es schmuddelig zu-
geht, und Schuld daran trägt der Zwang zum sprachlichen Aus
druck. Ss hätte dieses mißglückte i^periment den Vorrang der
mirmschen Geste vor dem gesprochenen Wort erhärtet. Durchaus
nicht. Das Experiment lehrt nur das eine: daß die heutige Sprache
gewisse Verhaltungsweisen nicht einzufangen vermag, die im stum
men Film bereits entdeckt und vMommen dargeboten worden
find. Es gibt in der Tat kaum eine literarische Gestaltung, dre
den Gehalt der Mimik Busters oder gar Chaplins auswertete, und
die Revolutionsromane der Russen nehmen es mit ihren großen
Filmwerken nicht auf. Die Sprache befindet sich zur Zeit, wie
auch dieser Tonfilm wider Willen verrät, in einem Zustand der
Verlorenheit. Sie wird erst dann die Führerschaft Zurückerhalten,
die ihr ZukoM wenn die Menschen sich dazu entschließen, ihre
Verhältnisse vernünftig zu meistern. Denn die richtige Sprache
ist an richtige Einsichten geknüpft.