„Spannend geschrieben."
Von Ginster.
„Das ist ein langweiliger Mörder", sagt der zum Mordprozeß
Ackermann entsandte Berichterstatter einer großen Berliner
Zeitung in der ersten Sitzungspause zu Georg, der ihn in eine
Unterhaltung zu verwickeln sucht, ohne daß es ihm gelänge, dem
berühmten Journalisten irgendeine wichtige Auskunft zu ent
locken. Er heißt Benario, und seine Artikel sind immer „Rio" ge
zeichnet. In der Tat wirkt Ackermann so nichtssagend, daß man
ihn sofort vergäße, wenn man ihn etwa auf der Straße um Feuer
gebeten hätte, und auch sein Fall ist völlig geklärt. Ein kleiner
Filialleiter in schlechten Verhältnissen, der eines Tages mit einem
Beil und einem Hirschfänger, die beide unbeteiligt auf dem Ge
richtstisch liegen, seine kranke Frau und seine Schwiegermutter
umgebracht hat. Beschönigte er noch die Morde — aber, überwäl-
Ligt von ihnen, räumt er sie mit einer leisen Stimme ein, die
selber von dem Beil erschlagen worden zu sein scheint. Wird er
vielleicht dem sicheren Todesurteil Schwierigkeiten bereiten? Im
Gegenteil, er hat schon geäußert, daß er seine Hinrichtung wünsche.
Herr Benario wiederholt: „Ein langweiliger Mörder" und geht
in den Gerichtssaal mit der Miene eines gefeierten Tenors zu
rück, dem man zumutet, in einem Bierkeller Zu singen.
Je länger die Verhandlung dauert — sie findet am Tatort,
einem Städtchen der Nachbarschaft, statt — desto weniger gelingt
es Georg, die Gleichgültigkeit Benarios nachzuahmen, die er doch
zur Schau tragen müßte, um ihm seine Ebenbürtigkeit zu be
weisen. Er hätte begriffen, wenn nach dem Geständnis unver
züglich das Urteil verkündet worden wäre — die Taten sind be
kannt und die Strafe steht fest —, aber er kann nicht begreifen,
warum auch noch die Gründe des Verbrechens erforscht werden
sollen. Wozu bohren sich die Verhöre immer tiefer und tiefer?
Der Gerichtssaal ist grün und mit Kringeln wie aus Asche be
deckt. Allmählich verblassen die Kringel, und ein Nebel breitet
sich aus, in dem die Wände und die Gesichter versinken. Von
einer entsetzlichen Angst gepackt, harrt Georg allein in der unend
lichen Leere. Namen, Wortgelall, Rufe umtosen ihn. Er wartet,
ohne sich regen zu können.
Es zeigt sich ihm die Liebe Ackermanns zu seiner Frau. Wie
eine chemische Flüssigkeit, so färbt sie die Leere rot.
Es zeigt sich die Krankheit der Frau und Ackermanns leerer
Beutel. Die-Frau hat ihres Leidens wegen seit Jahren mit dem
Mann keine richtige Ehe geführt, und Ackermann ist zu gering
besoldet gewesen, um die teuren Medizinen zu bezahlen und alle
die Kuren. Er hat Unterschlagungen begangen. Er hat im Ge
danken gezittert, daß die Diebstähle bei der nächsten Revision
Herauskommen könnten.
Es zeigt sich die Todessehnsucht. Bor längerer Zeit haben die
beiden aus Kummer über ihr Leben gemeinsam den Tod aufsuchen
wollen, aber wie sie schon mitten im Fluß sind, erklingt vom
andern Ufer ein Lied, und sie kehren in den Abend zurück. Später
hat die Frau den Mann noch mehrmals gebeten, sie doch endlich
von ihren Schmerzen zu befreien. Sie ist fromm und steht das
Jenseits geöffnet .zu ihrem Empfang.
Es zeigt sich der Haferbrei. Die Schwiegermutter hat einen
Tag vor dem Mord den Haferbrei für die Frau anbrennen lassen.
Die Frau hat die verdorbene Speise nicht anrühren können.
Ackermann, d->r für einen Augenblick puppengleich auftaucht, brüllt
den verbrannten Haferbrei in di.e Leere hinaus.
Es zeigt sich . . . Es zeigt sich . . . Bett, Kasse, Arzt, Fluß,
Brei, Welt — die Tor wächst aus ihnen hervor, eine rote Liebes
blüte, und niemand darf sie bestrafen.
Aber dann schieben sich die Wände wieder dazwischen, und es
ist, als seien sie immer zusammengestoßen. Richter und Geschworene
sitzen in einer Reihe, wie lauter Rechtecke nebeneinander, und
starren auf Ackermann, der nicht mehr brüllt, sondern nur noch
äußerlich ist. „Wie geht es Dr. Petri?" erkundigt sich Herr
Benario. Auf dem Gerichtstisch liegen Hirschfänger und Beil. Sie
sind von Holz und Eisen, leisten Widerstand und wühlen sich in
menschliche Schädel. Die zwei Psychiater, die aus Kinn und
Bärten bestehen, beginnen zu raffeln. Grün sind die Wände und
mit Kringeln bedeckt. Weshalb sind die Gründe gezeigt worden,
wenn sie doch nicht zählen, wenn der Mord sich wieder von ihnen
ablösen muß, und die Rechtecke sitzen ihm fremd gegenüber. Sie
werden die Todesstrafe verhängen, als hätten sie gar nichts ge
sehen. Ach, wäre nur nicht gefragt worden, es ist doch unmöglich^
zu fragen und hinterher die Fragen zu köpfen...
Mehrere Tage danach liest Georg zufällig in einer großen
Berliner Zeitung ein Feuilleton, das die Überschrift: „Ein lang
weiliger Mörder" trägt und so spannend geschrieben ist, daß er
über seiner Lektüre vergißt, selber dabei gewesen zu sein. Es ist
Rio gezeichnet.
einem neuen Roman von (Ginster.