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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

när gehören sollen, der mit dem Städtchen angeblich Großes vorhat. 
Aus dieses Gerücht hin erreichen die B-ewohner aus ihrer Lethar 
gie, und die Folge ist, daß sich das Städtchen zur Weltstadt ent 
wickelt. Selbstverständlich waren die Koffer nur durch ein Versehen 
dorthin verschlagen worden. Es lohnte sich nicht, auf die Verfilmung 
dieses mageren litemrischen Aperyus einZMehen, wenn nicht Leo 
Lama, der mit Granowsky das Drehbuch angefertigL hat, in ein 
öffentliches Entzücken über seine eigene Schöpfung aus geb rochen 
wäre. Er sagt ihr unter anderem nach, sie entlarve „eine Wirt 
schaftsordnung, die den Widersinn MM ehernen Gesetz erhebt"; 
während sie in Wirklichkeit den Kapitalismus, den sie anscheinend 
wenrt, nicht im geringsten trifft oder auch nur betrifft. Ferner 
stellt er sie als einen Versuch hin, „der aus den Gesetzen des Ton 
films heraus Bild, Wort und Musik verbindet und Zu einer künst 
lerischen Einheit gestalten will". Aber sie denkt gar nicht daran. 
Granowsky mag ein ausgezeichneter Theaterregisseur sein, von den 
Gesetzen der Filmkompositisn weiß er noch wenig. Statt die Reali 
tät zu zeigen, die dem Film Zugekehrt ist und nur durch ihn er 
schlossen werden kann, zwingt er die Kamera zur Aufnahme stili 
sierter Groteskszenen, die auch eine Kleinkunstbühne zu gestalten 
vermöchte. Abgelebtes Kunflgewetbe, dekorative Mache und satirische 
Einfälle, die erst nachträglich ins Optische übersetzt sind —- das un 
gefähr ist das Milieu, das bis zum Ueberdruß abgewandelt wird. 
Hinzu kommen plane Kästner-Songs, die von Karol Rathaus frei 
nach der Dreigroschennper komponiert sind. Ein hohles Zeug, das 
kaum minder unerquicklich ist als die literarische PrätenLLon, mit 
der es auftritt. 
Der Film: „N iemandslaud" von Leonhard Frank und 
Victor Trivas — dieser hat die Regie geführt — ist so etwas 
wie eine pazifistische Legende. Fünf Soldaten, die den verschie 
denen kriegführenden Nationen angehören, werden ins Niemands 
land zwischen den Schützengräben verschlagen, halten dort in einer 
Ruine Kameradschaft miteinander und brechen schließlich, während 
die Schlacht weitertobt, gemeinsam gegen die Stacheldrahtverhaue 
auf, um den Krieg zu besiegen. Das Ende: Man sieht die Fünf 
marschieren, ihre Gestalten werden immer mächtiger und erfüllen 
Zuletzt den Horizont. Die Frage ist, was ein solcher Film in einer 
solchen Zeit bewirken kann. So gut wie nichts, und daran trägt er 
selber die Schuld. Denn er appelliert nur an ein Friedensbedürf 
nis, das in allen Menschen vorhanden ist, ohne aber diesem Be 
dürfnis irgendeine praktische Möglichkeit der Betätigung Zu er 
öffnen. Im Gegenteil! Genau an den Punkt, an dem es darauf 
ankäme, im Interesse der Förderung des Friedens verändernd in 
die Situation einzugreifen, verflüchtigt sich die Handlung zur sym 
bolischen Demonstration der fünf Soldaten. Die Geste der Fünf 
wirkt aber um so verstimmender, als sie im Verlauf einer ganz 
realistisch geschilderten Schlacht vollzogen wird und ihre Ohnmacht 
E . -wird der ungesetzliche Kampf der japanische» Kvmmunchen 
a" ein nachahmenswertes Beispiel gefeiert. Dadurch sollen auch 
die deutschen Leser und „Klassengenossen zum Ungehorsam gegen 
die Gesetze und rechtsgültige Verordnungen angereizt werden." Wie 
übertrieben die Stuttgarter Besorgnisse sind, geht schon daraus 
hervor daß die Erzählung nach einer Mitteilung des Mopr-Ver- 
laas im Land der Kirschenblüten selber nicht verboten worden ist, 
sondern sich dort der ossiziellen Freiheit erfreut. Was der japa- 
Berlin, Ende Dezember. 
Die neuesten Erzeugnisse der Filmproduktion lassen sich in 
thematischer Hinsicht schwer auf einen Generalnenner bringen. Rein 
negativ ist allenfalls festzuftellen, daß die Operetten- und Schlager 
filme, die uns eine Zeitlang erschlugen, sich nun selber geschlagen 
in den Hintergrund zurüöziehen, und auch jene Filme vom Schau 
platz abgetreten zu sein scheinen, in denen ein kleines Laden 
mädchen am Schluß eins gefeierte Künstlerin wurde oder doch 
ihren Generaldirektor kriegte. Nicht so, als ob die Wunschträume 
auDgeträumt seien, aber sie werden von den Zielen im Stich ge 
lassen, denen sie gelten Denn mit manchen Generaldirektoren zum 
mindesten ist heute kein Staat mehr zu machen, und überhaupt wird 
die Not viel Zu tief und allgemein empfunden, als daß das Publi 
kum noch an eines der Paradiese zu glauben vermöchte, die ihm die 
Filme bis vor kurzem vorzugaukeln beliebten. Vorbei ist einstweilen 
dis Jazzmusik, die Girlrevue, das High-life in den Hotelhallen; 
vorbei die ganze, von der Filmindustrie systematisch aufgezo^ne 
Zerstreuungskultur, die immerhin nur solange möglich war, als die 
Massen betäubt werden konnten. Inzwischen sind sie durch das un 
aufhörliche Gekrache aus dem Halbschlaf erwacht; womit allerdings 
nicht gesagt sein soll, daß sie auch sehend geworden wären. 
Der Katastrophe, als illusorisch durchschaut M werden, der so 
viele Illusionen zum Opfer fielen, sind allein die Militärfilme 
glücklich entronnen. Sie blühen und gedeihen in der Gestalt von 
Schwanken minderen Grades und von schmetternden Großfilmen 
mit Stars und Trara. So gut aber auch die Konjunktur für diesen 
Markenartikel ist, er befriedigt doch die Nachfrage nicht ganz. Und 
das Problem entsteht, welche Waren jetzt eigentlich hergestellt wer 
den sollen, nachdem die noch jüngst gepflegten Serienfabrikate in 
folge der Unseligkett unserer wirtschaftlichen und politischen Zu 
stände ausgespielt haben Jedenfalls kann die Filmindustrie nicht 
mehr schematich das Garn weiter abspulen, das sie so lange ge 
werbsmäßig spann. Sie muß andere Modelle schassen, neue Muster 
entwickeln. Kein Zufall, daß dre Produktion zur Zeit sehr gemischt 
ist und auch die Zufallstreffer nicht fehlen. Der Film: „Mädchen 
in Uniform" lvergl. meine Besprechung im Feuilleton der Reichs- 
aüLKLe vom 1. Dezember) ist einer gewesen. Aber er steht genau 
so vereinzelt da wie der Papst-Film: „Kameradschaft", und es steht 
vorerst nicht danach aus, als ob sich auf dem Trümmerfeld Zer 
störter. Ideologien, entwerteter Surrogate und wirkungslos gewor 
dener Rauschmittel gerade die besseren Kräfte, die gehaltvolleren 
Wercke behaupteten. 
' In höheren Sphären glaubt sich der neue Gran owsky- 
Mm: „Die Koffer des Herrn O. F." Zu bewegen. Tat 
sächlich ist er höherer Nonsens. Sein Thema: Im Gasthaus eines 
kleinen Städtchens treffen zahlreiche Koffer ein, die einem Mllio- 
Der Iilm im Dezember 
Von G- Rracarrer. 
Dezember. ! irischen Regierung recht ist, könnte unS aber um so billiger sein, 
»-als dime isn ' dem Bündchen danirgoesütellten Verhältnisse mMit den hie-- 
sigen keineswegs übereinstimmen. Weder ist die deutsche Kommu 
nistische Partei verboten noch auch bedient sich unseres 
ErachtenS die deutsche Polizei des Mittels der Foltcmng, um 
politischen Gefangenen Geständnisse abzupressen. Der Manische 
Bericht vermag also schon darum nicht die befürchteten Gefahren 
heraufzubefchwören, weil die in ihm vergegenwärtigten Zustande 
grundverschieden von den unsrigen find. Kurzum, die SMlgarttt 
V ^ erfügun b g d i ü st f so wenig stichhaltig, daß sie dringend einer Auf- 
Auf Grund der Verordnung zur Bekämpfung politischer Aus 
schreitungen sind neuerdings zwei Bücher kommunistischen Inhalts 
verboten worden. DaS eine: „Der 15. ^^^ ^928 , ^s die 
Polizeibehörden inStuttgart und Chemnitz beschlagnahmt 
haben, ist eine in der neuen 2V-Pfennig-Mne: „Rote Reihe des 
Mopr'VcrlagS erschienene japanische Ar b e i t e r - E r z ay- 
lung von Takisi Kobayasli. Sie berichtet über Ereignisse 
aus der Geschichte der illegalen Kommunistischen Partei ^apanS 
und verweilt besonders ausführlich bei den Folterungen der ve^ ung bedürfte, 
hafteten Arbeiter und Intellektuellen durch die Polizei. Natürlich worden tk ferner nach einer Berliner ZettungS- 
' bejaht die kleine Schrift den Kampf der japanischen Kommunisten > „Eium für den Bereich des Freistaats Preußen das Buch: 
gegen die Regierung und das Martyrium, das die gefangenen Par-! Mgie Signale". Es enthält Gedichte, die alle ohne Aus- 
teimitglteder erleiden. Wie aber aus dieser Tatsache die simstren ^hme in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung er- 
Schlüsse der Stuttgarter Verfügung gezogen werden können, ist schienen find. Sie stammen von Kurt ^ucholfly, Errch WeE 
u k n ^ s E vo s llk o ommen unverständlich. ,Jn der verherr P lic o h li e z n e d ip e r n äs S id c i h u i m lde , - Ka un m d pf a zi n e d le ere e n in. un Z d ahl s r e e t i z c e h n e si P ch ho d to u s rch u weg n f ^ ür die kommum m s a tr c f h ch en en 
A^sMbe"nich.t/GuteS^ M, beweist der folgend« Satz 
^z tz^orbeErkung: Wegen der letzten Notverordnungen !chnnt« 
„ 
vor. der AJZ veröffentlichten Gedichte in diese» 
dand nicht ausgenommen werden, um die Verbreitung dcS Buches 
,nicnhicthtZuzugegfäefhärhdredne/n."WWirir bbeeggnnüüggeenn uunnss ddaammiti,t, vdnasS Vervbokt 
Kenntnis zu geben und fragen uns nur, t» die Zensur 
benso empfindlich reagiere, wenn dre öffentliche uns 
Ordnung von der anderen Seite her als gefährdet erscheint.
	        
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