Prozessen unverhüllt an den Tag. Sie führt zum Karieristentum, er ist.
^ung, Erhebung und Erbauung wird.
In einer jener Berliner Abendgesellschaften, die Prominente auf
allen Gebieten zu vereinigen Pflegen, unterhielt ich mich jüngst mit
einer älteren Dame, der Frau eines angesehenen und ernsten, aber
wenig erfolgreichen Schriftstellers, der ebenfalls anwesend war. Wir
sprachen über den Grund seiner Erfolglosigkeit, die natürlich heute
gleichbedeutend mit materiellen Schwierigkeiten und Ablehnungen
ist. Die Dame meinte nun, daß der eigentliche Grund in der Un
abhängigkeit des Charakters und einem gewissen SuLstanzreichtum
liege. „Substanz stoßt ab", sagte sie völlig unverbittert und streifte
mit einem Blick die Gesellschaft. Das war gewiß in eigener Sache
gesprochen, aber doch ein stichhaltiges Argument; denn es duldet
keinen Zweifel, daß die Träger der Haltung, die viel zu lange
triumphiert hat, substanzfeindlich sind. Einige Exemplare von
ihnen waren in der Gesellschaft selber vorhanden, und es geht ihnen
gar nicht schlecht. Dann sah die Dame zu ihrem Mann hin, der sich
in einer Gruppe lebhaft unterhielt, und sagte mit einem freund
lichen, keineswegs resignierten Lächeln: „Sehen Sie, wie er da sitzt
und ohne jedes Mißtrauen redet. Er ist ein guter Junge! Und ich
liebe ihn um seiner Erfolglosigkeit willen, liebe ihn gerade so, wie
Vielleicht vermittelt dieser Ausspruch, der sich mir tief eittge-
prägt hat, eine Ahnung von der menschlichen Weise, an die ich
hier denke. Jedenfalls hebt er die Unmenschlichkeit radikal aus den
Angeln, in welcher Gestalt sie sich auch unter uns zeige. Und
richtete sich das Leben nach ihm ein: das Elend wäre tragbar, die
Armut erhielte Größe, und wir hätten endlich ein Fundament.
Portale sehen so traurig drein wie eine verlassene Schöne, Fabrik
tore sind geschlossen und ein Skandal nach dem andern füllt die
Spalten der reichshauptstädtischen Presse. Der Schein hört auf,
der Bodensatz steigt in die Höhe, die Wirklichkeit zeigt sich nackt.
M Sie ist häßlich, hart, klein. Und übrig bleibt nur, sich in sie zu
schicken.
Ist das ein Anlaß zur Klage? Es könnte eins Chance sein,
wenn wir damit wieder auf Grund stießen, wenn wir nicht mehr
über unsers Verhältnisse und auf viel zu großem Fuß lebten,
sondern das Leben den Verhältnissen anzupassen versuchten. Ich
kann nur schwer ausdrücken, wgs ich meine, aber vielleicht ist es
trotz unserer abgegriffenen Sprache möglich, mich verständlich zu
machen. Gewiß ist die Not, in der wir uns heute befinden, zu
einem guten Teil die Folge wirtschaftlicher und politischer Ent
wicklung, an denen wir selber keine Schuld tragen. Wer sie ist
auch die Folge einer bestimmten Haltung, die sich bei uns, wer
weiß, durch welche Umstände, hat einbürgern können. Wie diese
Haltung sich in den bereits angedeuteten gespenstischen Phänomenen
sichtbar darstellt, sio tritt sie im Sklarek-Prozeß und in anderen
Zur Absage an zwischenmenschliche Verständigung, zur Erfolgsan
beterei und zu BeLäubungsorgien; sie ist unmenschlich, mit einem
Wort. Nachdem das durch sie bewirkte Unheil hie und da offenbar
geworden ist, gälte es, sie zu liquidieren und mit den Zuständen
auf menschliche Weiss fertig zu werden. Auf menschliche Weise:
meine Verlegenheit, sie Zu kennzeichnen, ist nicht gering.
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gewidmeten Filmfabrikate, mit denen wir seit längerem überflutet
warden sind, bis auf weiteres vorbei Zu sein scheint (vergl. mem
Referat: „Der Film im Dezember" in der ReichsausMbe vom
30. Dezember). Diese Prognose wird nun Zu meiner Genugtuung
durch das Ergebnis einer Rundfrage bestätigt, die das
„R e i ch s fi l m b la t L" verunstaltet hat. Die in seinen beid-n
letzten Nummern veröffentlichten Antworten sind so aufschlußreich,
daß sie der OeffentlichkeiL bekamftgegeben Zn werden verdienen.
Am wichtigsten ist die erstaunliche Uebereinstimmung, mit der
die befragten Darsteller, Regisseure, Kinobesitzer,
Filmautoren usw. den sinnlosen Amüsierfilm
verurteilen, der von der Filmindustrie im vergangenen Jahr
als Niaffenartikel hergestellt wurde und den Markt nahezu völlig
beherrschte. Wir haben uns an dieser Stelle wieder und wieder
gegen die unselige Tendenz der Ulmproduzenten getvandt, das
Publikum durch nichtige Zerstreuung von der Leöensnot abzu-
Leuken, und es zeigt sich jetzt zum Glück, daß auch der bessere Teil
der Filmwelt selber aus praktischen und ideellen Gründen des
bisherigen Treibens müde geworden ist.
Ich Zitiere aufs Geratewohl ein Paar der singegangenen Ver
dikte.
Paul Morgan: „Ich spreche gegen meine Tasche, wenn ich
offen die Ansicht ausspreche, der reine Amüsierfilm auf laufen
dem Band aufhören wird. Aufhören muß . . /
Felix BressarL, derselbe, der sich bereits vor einigen Mo-
NEkey mft einem anerkennenswerten Unabhängigkeitssinn dagegen
mMelehnt hat, in Militärfilmen weiter den Rekruten Zu spielen:
„Hern innigster Wunsch ist — daß die Zeit der inhaltlosen —
lebensfernen — Klamaukschwänke vorüber ist."
Herbert Juttke, ein Autor: „Der Nur-Klamauk-Film
wird . . . infolge seiner . . ,, inneren Gehaltlosigkeit wenig
Chancen auf größeren Erfolg haben."
Generaldirektor August Weinschenk: „Die Chancen des
Lustspiels und des Sckwanks sind meiner Ansicht nach nicht er
schöpft, aber doch wesentlich eingeschränkt und verkleinert . . "
Woher rührt die allgemeine Abkehr vom leeren „Klamauk"?
Zunächst daher, daß man mit rhm nachgerade schlechte Geschäfte Zu
machen befürchtet. Per Konsument hat anscheinend genug von dem
Zeug, eine Absatzkrise droht einzutreten, und die klugen Leute
sehen sich vor. Willy Forst trägt dieser Tatsache durch die folgende
Bemerkung Rechnung: „Ich bin fest davon überzeugt, daß jeder
Produzent ebeusogern einen anständigen Film macht, wenn er
von vornherein keine Chance sieht, mit Mist Geld M verdienen."
Woraus man zugleich erkennt, wel Zweifelhaften Herkünfte der
Anstand oft hat. Manche blicken tiefer und bringen Ende der
Amüsierfilm-Hausse mit dem Wachstum des Elends in unmittel
baren Zusammenhang. In meinem schon zitierten Bericht schrno
ich selber, daß die „von der Filmindustrie systematisch aufgezogene
Zerstreuungskultur... immerhin nur so lange möglich war,. als
Ne Massen betäubt werden konnten." Herr Lapiner, der Pro-
In der Ablehnung des Klamauks sind sich also sämtliche Be
teiligten einig. Die Frage ist, was jetzt produziert werden soll. Ehe
ich aber die hierauf bezüglichen Aeußerungen diskutiere, möchte
ich eine Filmkategorie aussondern, die nach der Meinung maß
gebender Filmschaffender jetzt nicht produziert werden kann.
Um welche handelt es sich? Um das Zeitstück.
Wie sehr man seine Unterdrückung gegenwärtig für notwendig
hält, geht aus der Tatsache "ervor, daß gerade die mit dem Pro
duktionsprozeß und der Publikumsstimmung besonders vertrauten
Personen auf diese Gattung ausdrücklich verzichten. Es sind die
Filmregisseure, die ihr vorerst den Abschied erteilen Zu müssen
glauben.
Joe May: „Gerade sie aber, diese Zeitstoffe, auf die rnan
wartet, können nicht verfilmt werden. Packt man kräftig Zu und
läßt eine unmißverständliche Weltanschauung durchblicken, kann
man sicher sein, daß die Zensur entweder das wichtigste heraus-
schneidet — oder den Film ganZ verbietet."
Hans Steinhosf: „Zeitstücke sind in Mueto des Geschäfts
bei der heutigen Lage zu riskant, außerdem kann man es nicht
allen recht machen, und im Kino sitzt zu gleicher Zeit links und
rechts."
Hans B e h r e n d t: „Ein Sptzialwunsch von mir ist die
Satire L ia „Hose" — doch beiße ich stets mit diesbezüglichen
Vorschlägen auf Granit/
Diese Erklärungen belehr über die Gründe, aus-denen
die Jnaktualität des aktuellen Films ahzuleiten ist. Sie sind wirt
schaftlicher und politischer Art. Und Zwar wird die Industrie, will
sie Nieten vermeiden, durch die Angst vor der Zensur auf her
einen Seite und auf der andern durch die Angst vor der Ver
stimmung, die sie mit Filmen von ausgesprochener Haltung bei
einem Teil der Bevölkerung erregen könnte, beinahe Zwangsläusig
in die Neutralität gedrängt. Was die Zemsur betrifft, so habe
ich wiederholt darauf hingewiesen, daß ihre faktische Handhabung
die Unternehmungslust einschränkt und die Herstellung guter, Zeit
gemäßer Filme über Gebühr erschwert. Auch Wolfgang Petzet
ist erst jüngst in seiner Broschüre: „Verbotene Filme" (Societäts
Verlag Frankfurt am Main) dem Verfahren der Filmprüfstellen
vom gleichen Gesichtspunkt aus zu Leibe gerückt. Weniger bedroh
lich dagegen ist, so dünkt mich, die Tatsache der politischen
Zerrissenheit des Volkes; jedenfalls brauchte sich die Film- .
Industrie von ihr längst nicht so sehr ins Bockshorn jagen Zu -
lassen wie von der Zensur. Es gibt genug aktuelle Themen, die !
nur richtig angepackt werden müßten, um trotz ihres Eingreifens j
in die heutige Situation nicht nur keinem ernsthaften Widerspruch
zu begegnen, sondern eine bessere Aufnahme zu finden als der
öde Klamauk. Was dem Theater möglich ist, sollte beim Film
völlig ausgeschlossen sein? Das wird dem Publikum auf die Dauer
niemand einreden können. Im Gegenteil, ich bin der Ueber-
sich in ähnlichem Sinn^ Zeugung, dM es ein starkes V e rla n gennach^M
Vor kurzem stellte ich in einem Sammelbericht über einiae Warengattung gehöre, die auf Lager bleiben werde, fährt er fort:
aktuelle Filme fest, daß die Zeit für jene rein der Zerstreuung Ks gibt nämlich einen Grad von Sorgen i Lebensernst, bei
^m die Volksstimmung umschlägt und zur Sehnsucht nach Ver-
Schluß mit dem Klamauk!
einer Rundfrage des „R e i ch s f i l m b ta L L e s".
8 Berlin, Anfang Januar. Nachdem er festgestellt hat, daß die reine Posse bereits zu einer