es an und mutmaße
ihre Darstellung des
politisch indifferenten
kleinbürgerliche verdrängen? Ich nehme
darüber hinaus, daß die Verfasser durch
schlechten kleinbürgerlichen Behagens die
Berlin, Anfang April.
Die Filmprüfstelle hat den Film: „Kuhle Wampe" von
Bert Brecht und Ernst Ottwald verboten; aus Gründen, auf
die ich noch zurüEomme. Das Verbot ereilt einen Film, der es
schon sowieso schwer hatte: einen Outsiderfilm nämlich, der nicht
ein Erzeugnis der Filmindustrie ist, sondern das Werk eines klei
nen Anabhängigen Kollektivs, das außer Brecht und Ottwa l d
noch den Regisseur Dudow und den Komponisten Ei s l e r um
faßt. Es handelt sich hier also um Zwei Fälle:
1. um das Eingreifen der Zensur,
2. um einen außerhalb des Löblichen Produktionsprozesses ent
standenen Film. .
Beide find gesondert voneinander Zu betrachten. Das Haupt
interesse beansprucht im Augenblick zweifellos der B e s ch ei d d er
Filmprüfstelle, und ich schicke voraus, daß er schlechter
dings unbegreiflich ist. Aber sich auf einen Protest gegen
rhn zu beschränken und den Film selber durchs Netz schlüpfen zu
lassen, wäre nur dann angebracht, wenn das Verbot irgendein
belangloses Jndustrieprodukt betroffen hätte. „Kuhle Wampe"
jedoch ist schon seiner Hersteller wegen wichtig genug, um genau
so stark belichtet zu werden- wie dieses Verbot.
Der. Film sucht vorwiegend die Zustände unter den Arbeits
losen Zu veranschaulichen. Im Mittelpunkt des ersten der drei
Teile, in die er zerfällt, befindet sich eine Erwerbslosenfamilie,
deren 'besonderes Schicksal das allgemeine illustriert. Die Eltern
tragen kleinbürgerliche Züge und hantieren mit Sprüchen, die auf
die Verhältniße nicht mehr passen. Einem Milieu, dem die Tochter
bereits entwachsen ist, der Sohn aber erliegt. Nachdem ihm der
Vater vorwurfsvoll mitgeteilt hat, daß aus Grund der Notver
ordnung seine Unterstützung beträchtlich gekürzt werde, bringt er
sich um. Der zweite Teil zeigt das Leben der exmittierten
Familie in der Siedlung Kuhle Wampe, in der sich die Erwerbs
losen aus dumpfe Art mit den Zuständen abfinden. Hier schlagt
der Film in Kritik um, in Kritik der Spießbürgerliche die re
signiert und das Leben nach alter Art weiterschleppt, so gut es eben
geht. Die Tochter erwartet ein Kind, und der Bräutigam, ein ziem
lich haltloser Mensch, willigt schließlich ein, sich mit ihr zu ver
loben. Das. Verlobungsessen, das in Anbetracht der gedrückten
Verhältnisse merkwürdig üppig ist, entwickelt sich zum Saufgelage,
dessen Widerwärtigkeit die der ganzen Kleinbürgerwelt kennzeich
nen soll. Um nicht im Schlamm zu ersticken, verläßt die Tochter
ihre Eltern. — Der dritte Teil dient der Belehrung und Ausrich
tung. Die Arbeitersportjugend feiert ein Sportfest, in dessen Ver
lauf man auch der Tochter und ihrem Bräutigam begegnet, der
durch das Fest zu einer besseren Lebenshaltung bekehrt wird. Man
treibt Nacktkultur, verunstaltet Wettspiele und fingt Songs, die den
Willen zur Veränderung der Zustände kundgeben. Im Hintergrund
prangt ein Plakat, das zur Solidarität ermähnt. Auf der Rück-
fahrt'zur Stadt kommt es zwischen der Arbeitersportjugend und
verschiedene zu leider viel zu ausgedehnten
EiseEhM denen die Weltanschauungsgegensätze noch
einmal Lufeinanderprallen.
Ich habe den Inhalt nicht nur des Verbots wegen, sondern
auch um seiner selbst willen so ausführlich berichtet. Festzustehen
scheint mir in der Tat, daß sich die Filmindustrie dieses Stoffes
unter den heutigen Umständen kaum angenommen hätte. Aller
dings macht der Film „Drei von der Stempelstelle" ebenso wenig
wie „Kuhle Wampe" einen Hehl daraus, daß die Arbeitslosen
heute fast keine Chancen haben; aber er mildert durch komische
Einschläge äb und hält die Siedlung doch halb und halb für eine
brauchbare Lösung. Brecht und Ottwald gehen unstreitig weiter.
Der Haken ist nur,, daß sie die Freiheit, deren sie sich außerhalb
des Geheges der Industrie erfreuen, nicht richtig nutzen. Ihre
Analysen sind verschwommen, ihre Demonstrationen ermangeln
der Schlüssigkeiü W Schlag gegen die offizielle
Filmproduktion hätte sein können, ist ein Schlag ins Wasser ge
worden.
Mr entscheidende Fehler der Filmkomposition besteht meines
Erachtens darin, daß unklar bleibt, zu welchem Zweck die Heiden
Welten der resignierenden Erwerbslosen-Kleinbürger und der Hoff
nungsvollen Arbeiterjugend in der vorliegenden Form stilisiert
und gegeneinander abgesetzt sind. Soll die der Arbeiterjugend die
oder rückständigen Schichten zu treffen gedachten und im Schluß
teil die kommunistische Aktivität verherrlichen wollten. Wenn das
ihr Vorhaben war, ist ihnen jedenfalls seine Ausführung nicht
gelungen. Denn zunächst wird das gegnerische Spießerleben in
einer Weise karikiert, die der Ueberzeugungskraft enträt. Daß sich
arme Tröpfe, die keinen Ausweg aus ihrer im ersten Teil ver
deutlichten Situation wissen, bei Gelegenheit vollsausen, ist nicht
zu bezweifeln; daß sie sich dabei so ekelhaft anstellen, ist unwahr
scheinlich. Aber benähmen sie sich selbst derart peinlich, so wider
spräche doch die Behandlung, die der Film ihrer Ausschweifung
angedeihen läßt, seinen im Schlußteil sich durchsetzenden Ab
sichten. Er traktiert die Vollerer nicht zornig oder bekümmert,
sondern schlechthin gehässig und verhöhnt obendrein wie irgendein
mondäner Gesellschaftsfilm die kleinbürgerlichen Eßmanieren.
Das ist unberechtigt angesichts der Lage, in der sich die Erwerbs
losen befinden, und verstößt auch wider das Interesse der Soli
darität; um von der geringen Glaubwürdigkeit zu schweigen, die
der ganzen Schilderung anhaftet.
Der älteren Generation, die im Morast verkommt, wird später
die junge gegenu^ die ein Vortrupp der Freiheit sein
soll. Woraus geht hervor, daß sie es ist? Am Ende daraus, daß sie
der Freikörperbewegung huldigt, Motorrad fährt und sich zu
Kampfliedern vagen Inhalts vereinigt? Enthielten die Texte dieser
Gssänge sogar spezifischere Aussagen, sie klängen doch nur rheto
risch. Schuld daran trägt,., daß sie in einem Zusammenhang sitzen,
dem nach der vorangegangenen Bergegenwärtigung des Erwevbs-
losenelends keine reale Macht innowohnm kann. Einmal ist der
Sport eine Sache der Jugend aller Richtungen und nicht nur das
Zeichen der revolutionär gesinnten. Dann ist ein Sportfest eine An
gelegenheit, die niemalsM gleichmshaft — der All ¬
tagsnot die Balance zu halten vermag. Und schließlich eröffnet
dieses Fest um so weniger die vermutlich gewünschten neuen Per
spektiven, als auf ihm die Jugend die Hauptrolle spielt. Hätte man
noch mit den sumpfenden Erwerbslosen des zweiten Teils Leute
desselben Alters konfrontiert! Aber Unterschiede der Haltung durch
Generationsunterschiede versinnlichen zu wollen, heißt jene entkräf
ten. Gute Jugend gebärdet sich immer radikal; nur eben bietet ihr
Drang, die Verhältnisse zu ändern, an sich eine geringe Garantie
für zukünftige Taten. Kurzum, der letzte Teil des Films ist eine
windige Schlußapotheose, deren Optimismus nicht mitreißt. Ich
glaube natürlich, daß es besser ist, gemeinsam Sport zu treiben
als sich zu Lesaufen. Doch auch Sportfeste können Räusche sein, und
ich weiß weder, ob sie zur Ueberwindung des KleinLürgertums
taugen, noch ob sie einen nachträglichen Katzenjammer ausschließen.
Das.^untergründige, das im Film gezeigt wird, wirkt unter allen
Umständen wie eine dekorative Geste und erscheint mehr als eine
Flucht denn als ein Signal der Rettung. Der Beweis dafür ist
der: daß die Bilder des Anfangs im Zuschauer noch sortdauern,
nachdem die Hurra-Stimmung des Festes längst verflogen ist.
Dud o w, ein neuer Mann als Filmregisseur, verrat an einigen
Stellen seine Begabung. Er hält das Motiv der Fahrräder rm
ersten Teil sicher durch und hat von den Russen gelernt, soziale
Zustände durch Gesichter zu charakterisieren. Da man im deutschen
Film die sozialen Zustände meistens verschweigt oder verfälscht, ist'
gerade diese Kunst noch selten ber uns angewandt worden. Auf
lange Strecken hin verfährt die Regie ungeübt. So sind die Milieu-,
bilder, die jeweils einen reuen Teil einleiten, nicht genug mit
Bedeutung gefüllt und die Aufnahmen vom Sportfest viel zu weit
schweifig geraten. Immerhin sind mir diese abstellbaren Mängel
lieber als die unheilbaren, die der Versiertheit entspringen.. .
Die Filmprüfstelle hat, wenn ich richtig informiert bin, den
Film darum verboten, weil er den Reichspräsidenten als
den Schöpfer der Notverordnungen, die Iustiz und die Kirche
verächtlich mache.
1. Verächtlichmachung des Reichspräsidenten: sie kann nur in
jener Szene erblickt werden, die den Selbstmord des Arbeitslosen
aus der niederschmetternden Wirkung der Notverordnung ableitet.
2. Verächtlichmachung der Justiz: Anstoß erregt wird die Er
scheinung eines Richters haben, der mit der in solchen FällÄ
üblichen Monotonie einen Exmittierungsbefehl nach dem andern
verliest. Mit seinem Auftritt sind die vergeblichen Bittgänge her
Tochter bei den verschiedenen Aemtern zusammenmontiert.
3. Verächtlichmachung der Religion: während Gruppe
„Kuhle Wampen veröoten!
Von S. Kraeauer.