Zur Produktion der Jungen.
Bei Gelegenheit zweier Bücher von Klaus
Von S. Kracauer
Mann.
„Das Schreiben fiel ihm sehr leicht; so
leicht, daß er diese Beschäftigung niemals
völlig ernst genommen hatte“ (Aus „Treff
punkt im Unendlichen“ von Klaus Mann.)
. •.
Klaus Mann ist noch nicht 26 Jahre alt
und hat bereits einen Haufen Bücher geschrieben,
die auch alle - gedruckt und besprochen worden
sind. Jetzt sind gleich zwei neue auf einmal von
ihm erschienen: eine Art Autobiographie:
„Kind dieser Zeit“ (Transmare Verlag,
Berlin. 332 Seiten) und wieder ein Roman:
„Treffpunkt im Unendlichen“ (S.
Fischer Verlag. 368 Seiten). Ergibt zusammen
700 Seiten. Womit ist diese Unmasse Papieres
gefüllt? Die Antwort hierauf veranlaßt mich zu
wenig vergnüglichen Betrachtungen.
Um bei der Autobiographie zu beginnen, die
von der frühesten Kindheit an bis zum 18. Le
bensjahre reicht, so bestätigt sie, was ich schon
einmal an diesem Ort feststellte: daß Klaus Mann
über ein natürliches Talent sich mitzuteilen ver
fügt. Sie ist routiniert erzäh.t, enträt nicht des
Charme und besitzt sogar einen gewissen doku
mentarischen Weit. Er rührt in der Hauptsache
daher,-daß ihr Verfasser der Sohn eines berü hm-
ten Vaters- ist und oft aus der Schule, das heißt
aus dem Elternhaus plaudert. Wer sich einen
Spaßmachen will mag „Unordnung und frühes
Leid" mit diesen .Erinnerungen vergleichen. Zu
der Chance,, daß private Kindheitserlebnisse hier
gleichzeitig literarische Pikanterien sind, tritt
noch der Glücksfall bedeutender Zeitverhätnisse,
der ebenfalls ausgenutzt wird. Man erfährt vor
allem, wie der Krieg und die späteren, zum Teil
aus nächster Nähe erlebten Wirren auf die „Her
zogpark-Bande“ wirken; üben diese Ereignisse
auch einen geringen unmittelbaren Einfluß aus,
so greifen sie doch mittelbar in die Entwicklung
der Kinder ein und verstärken von den Pubertäts-
jähren an die exzentrischen Neigungen. Die Tat
sachen, die nicht selten heikel sind, scheinen mit
Aufrichtigkeit wiedergegeben zu sein; ihre Deu
tungen dagegen sind überhastet und banal. Und
damit komme ich zum Gebrechen des Buchs:
unter seiner glatten Oberfläche ist weder Zwang
noch Substanz zu spüren. Offenbar hat Klaus
Mann so etwas gemerkt. Aber er läßt sich durch
die von ihm selber möglicherweise geahnten
Mängel nicht vom Schreiben abhalten, sondern
sucht sie durch eine Vorbemerkung zu ver
tuschen. Diese Vorbemerkung enthu It seinen Un-
ernst und verrät, daß die erwähnte Aufrichtigkeit
den Tatsachen gegenüber mehr modisch als un
erbittlich ist. Denn statt sich in den einleitenden
Sätzen allenfalls für sein frühes Erinnerung?
unternehmen zu entschuldigen, rechtfertigt er es
mit gespreizten Argumenten, die unerfahren sind
und zu dem Buch gar nicht passen. Er erklär
zum Beispiel: „Mich deucht aber, auch der
Schriftsteller des ersehnten Kollektivs:aates wird
nur fähig sein, für das Allgemeine etwas auszu
sagen, solange er, als Beispiel und Gleichnis, das
einzelne nehmen darf. Nicht Ueberwindung des
Individualismus sei unser Ziel, sondern Einfü
gung des individuellen Bewußtseins in ein um
fassenderes, kollektiveres.“ Einmal sieht man
dieser Formulierung schon an der Nasenspitze
an, daß der in ihr enthaltene Gedanke schlank
weg aus der Luft geholt ist, in der er liegt, und
zum andern dient sie rein als ideologischer Auf
putz von Kindheitsgeschichten, die faktisch nir
gends über sich hinausweisen. Auch von der
„Krise des Bürgertums“ ist natürlich in der Vor
bemerkung die Rede. Ich weiß nicht, was schlim
mer ist: der unerlaubte Umgang mit solchen
Vokabeln oder ihre fixe Verwertung im eigenen
Interesse.
Man könnte milder urteilen, wäre nicht der
zum selben Zeitpunkt erschienene Roman, der
den angeblichen Gehalt der Autobiograpnie hätte
erweisen müssen, einfach zum Kotzen. Einen der
art drastischen Ausdruck zu gebrauchen, scheue
ich mich um so weniger, als ihn der Autor selber
in seinem Roman wieder und wieder verwendet.
Gespräch zwischen einer Mutter und ihrem Sohn:
„Sie erhob sich aus dem Plüschsessel, um zu ihm
ansBett zu treten. ,Du siehst noch grün aus, wie
Ausgekotztes," stellte sie angewidert fest und
prüfte ihn aus zusammengekniffenen Aucen. —
Na, bist noch nicht gerade rosig, mein Schatz,"
sagte er, wozu er kurz lachte.“ — Gespräch
zwischen zwei jungen Liebenden, in Afrika na h
dem ersten Haschischgenuß: „Kotzen! Fest
kotzen!* bat er von Herzen. Kotz auf .den Bo-