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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Mt-Berlin im Wetten. 
Lümmer ist Boutaus 
b^^^s Desekiekts kehrt in Bildern, 
^V-- V2Z- VL5 
Keißer Abend. 
Berlm, im Juni. 
Jetzt in den heißen Tagen öffnen sich abends die Poren 
Berlins, und die Stadt dünstet ihre Menschen aus. Viele sammeln 
sich aus dem Kurfürstendamm und wälzen sich ununter 
brochen fort — ein träges Gewühl, das genau so glüht wie der 
Asphalt; Man sieht ihn nicht mehr, denn er wird vollständig vom 
Ineinander menschlicher Körper bedeckt, die eine lebendige Schicht 
über der toten bilden. Und wo sie aufhören, beginnen gleich die 
Karosserien, aus denen Köpfe herausragen, die wartenden Wagen, 
die in Laub gehüllt sind. Das Laub raschelt nicht, sondern ist still 
und erschöpft. Endigte es noch im Himmel! Aber vom Himmel 
wird es durch die Lichtreklamen getrennt, deren farbige Zeichen, 
Worte und Linien die Höhe beherrschen. Sie sind grell wie die 
Hitze, erhellen Bruchstücke von Dächern, Türmen und Karyatiden, 
und werfen zusammen mit den Bogenlampen einen betörenden 
Schein auf das Menschengewimmel. Es ist bunter noch als die 
Lichter. Kleine Pärchen, Provinzler, junge Dandys, vornehme 
altere Herren, vierschrötige Männer, Dämchen, Damen und Mäd 
chen, Arbeiter, Gelegenheitsmacher, vergnügte nächtliche Banden 
— aus allen Ländern und Stadtquartieren sind sie hier zusammen 
geströmt. Außer dem Pflaster und der schwülen Luft, die sie ein 
atmen, haben sie kaum etwas miteinander gemein. Im Gegenteil, 
so dicht sie sich streifen und kreuzen, so scharf und unvermittelt 
grenzen sie sich gegenseitig ab. Keine Atmosphäre ist zwischen den 
Gesichtern, keine Woge nimmt das Widerstrebende mit. Sämtliche 
Konturen sind vielmehr von einer Härte, die unduldsam ist. Armut 
und Reichtum, Unschuld und Laster: diese Begriffe aus den Kin 
derbüchern, die sonst vielfach abgewandelt werden, verkörpern sich 
an solchen heißen Abenden auf dem Kurfürstendamm und ziehen, 
grün oder rot beleuchtet, zwischen Laubfolien und Restaurations 
gärten dahin. Der Bettler singt. Der Portier schließt die Wagen 
tür. Ein Jüngling flüstert Liebesworte. Die Herrschaften lachen. 
Durchs Halbdunkel wirbeln Prozente. 
Es ist die Hitze, die jeden einzelnen so aus sich heraustreibt. 
Wie sie den Asphalt erweicht, so löst sie die Menschen auf, bis sie 
sich völlig zeigen. Sie haben Röcke und Westen zu Hause gelüsten 
und wirken in diesem Zustand nackter als ohne Kleider. Hosen 
träger straffen sich sichtbar, durchschwitzte Hemden kleben am Leib 
und dünne Blusen drohen zu platzen. Der Körper ist an die 
Oberfläche getreten und nicht nur der Körper, sondern alles, was 
in und um ihn ist, der ganze Mensch selber mit Haut und Haaren. 
Die vorquellenden Augen enthalten seine Begierde, das Miß 
vergnügen sitzt in den überdeutlichen Pickeln, und der Gang ist 
eins mit der Not. Die Geheimniste verdampfen, Neid, Haß, Glück 
und Einsamkeit wölben sich öffentlich im Raum. Sie drücken sich 
in der Sprache der Glieder aus, deren schwellende Plastik nicht 
übersetzen werden kann, sie vergegenwärtigen sich durch Gebärden, 
die nach ihrem Verschwinden noch lang in der Luft stehen. 
Nichts bleibt zurück und alles ist außen. 
Auch dieStimmen sind ungedämpft; es ist, als seien über 
all verborgene Schalltrichter angebracht. Die Rufe der Zeitungs 
verkäufer gellen, Frauen kreischen, und Worte, deren Hülle durch 
geschmolzen ist, brechen aus der Finsternis hervor. Wer unter 
schiede noch verständliche Fetzen in dem Gebrüll? Es sei denn, daß 
man das Gegeneinander der Stimmen heraushörte, die Qual, 
die nur schreien will, und die Lust, hier auf der Erde zu sein. 
Die Figuren sind Entladungen und das Tosen ist eine Explosion. 
8. Lraeaner. 
Narr sokrsibt uns aus Berlin: V^ird sonst in Berlin neu ssbaut, 
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diidet äis neue LraNLler-Leke arn Lurkürstsuäaiurri, äis au. 
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BieäernieierLeit 1820 bis 1860 wiäer. Heine DakG-Bäums irn Brä^ 
^eselioü, mau xlaudt, in äer OUaiss liier §elaudet 2u sein. Bin 
Lümmer ist Boutaus xsMiämet, ein anderes äsr Ba^Iioni, ein drittes 
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äen Dioden von eksmals. Vie b^^^s Desekiekts kehrt in Bildern, 
8tisken, Tapeten unä Stühlen wieder, unä so^ar äie brachten äsr 
Lellnerinnen sinä wie aus versohollsnen laZem In äsn Bestaura- 
tionsräumen öden wirä äer reirrends Bepstitionskurs iortAesetLt. Sis 
sinä mit äen Br^euAnissen äer Stanthehen BorLsIIanmanüIaktuv 
xeiüllt: Vasen und BiskuitkiAursn aus äer Bpooks Sohinkels unä 
Sehaäows- LierporriellaneQ unä Druppen, äie ihre 1an§s Oesokiekts 
haben, ^m anÄehenästen ist vielleieht äer Baum, in äem äie Berliner 
8tammti8eüs äes vorigen äahrhunäerts ins OeääoUtnis riurüekAeruien 
weräen. Bresken von Vialter Lrier halten äie laielrunäe äes 
„Llaääeraäatseh^ lest, . ver^sbenwärtiFSn äsn „Bunuel über äsr 
Sprss". Bin §roüer Bries §ilt dem alten „Oats Q r o Ü e n w a h n" 
selber, in äem naeL 1900 die ^an2s Berliner LohLme (Beter Rille, 
Bise Basksr-Sehüler usw.) residierte. Nan siebt sie alle wieder, die 
Boten und dis noeb Bebenden, mit Binsekluö des roten Biobarä, 
äer die Leitungen ausirux und leider vor Kursem verstorben ist. 
Davor sieben die bekrittelten und bemalten Stammtisobe, aueb sie 
aus der VerZänAliebkeit gerettet. IVas einst aus der. Bür^erliebkeit 
in äie Dakä-Vildnis Rüebtsttz, ist iettt 2um Dekor derselben LürAer- 
liobLeit geworden. —sr.
	        
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