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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Pathos des Kriegs substanziieren zu können. Hierzu bedürfte es der 
Bezugnahme auf eine Idee, die das Faktum des Kriegs tatsächlich 
umklammerte. Stattdeffen leiten die betreffenden Vorschläge ihre 
Architekturen aus Vorstellungen und Begriffen ab, die viel zu. 
dünn, ausgelaugt und neutral sind, um diese Architekturen selber 
zu rechtfertigen. Der Komplex der fünf Steinpfeiler ist ein Sym 
bol, das weniger, GewiM als die Steinpfeiler hat, und der von 
den Figuren getragene Block erdrückt den Gedanken, der ihm zu 
grunde liegt. Leicht verständlich, daß von so schwachen symbolischen 
Werten auch die rein architektonischen in Mitleidenschaft gezogen 
werden. 
Solche Erwägungen sind offenbar auch bei der Urteilsbildung 
von Einfluß gewesen. Denn das Preisgericht hat eine Reihe von 
Entwürfen anerkannt, die sich positiver Aussagen enthalten oder 
doch jedenfalls mit einem Minimum von Bedeutungen auszukom- 
men suchen. Unter ihnen hefindet sich zum Beispiel ein architek 
tonisch ansprechender von Ernst Zinßer, der das eigentliche Mal 
als eine Art von offenem Atrium ausgestaltet. Auch andere preisge 
krönte Vorschläge Ziehen sich Zur Hauptsache auf den wirksamen my 
thischen Gehalt des Waldes und der Landschaft zurück. So verbindet 
Dr. Heinz Hildner die drei Hügel des Geländes durch einen Rund 
weg, von dem aus sich allenthalben Blicke auf den tiefer gelegenen 
Versammlungsraum in der Mitte eröffnen. Uebersteigert wird 
der dem Wald rechtmäßig beizumessende Sinn in einem Projekt, 
das einen kreisrunden „heiligen Wald des Schweigens" anordnet, 
den es durch einen ringartig ausgeholzten breiten Gürtel von der 
profanen Außenwelt absondert. Die Funktion des Waldes erlischt 
sofort, wenn er zum symbolisch gemeinten Architekturelement er 
hoben wird, und ich wüßte nicht, wie man die Leere dieser Sym 
bolik drastischer kennzeichnen könnte als der Verfasser des Pro 
jekts selber, der nicht verabsäumt, feinem „heiligen Wald des 
Schweigens" gleich eine Planskizze zur „Verkehrsregelung im 
Ehrenhain bei vaterländischen Veranstaltungen" beizugeben. Vor 
sichtiger verkehren Gerhard Morgenstern und Kurt Voutta mit den 
Symbolen, die Autoren eines Entwurfs, der sich nicht auf ein 
einzelnes Wahrzeichen beschränkt, sondern eine Menge von Ge 
denksteinen, die den verschiedenen Ereignissen des Krieges gerecht 
werden sollen, über den Hain verteilt. Hier wird der Besucher 
aktiviert, und Wald und Erinnerung wirken zusammen auf den 
Wanderer ein. „Das SchlagwortarLige, das viele Einsender such 
ten", heißt es auch sehr richtig in der Begründung des Preis 
gerichts zu diesem Entwurf, „ist hier verdrängt durch das An 
schauliche". Pros. Wilhelm Kreis nutzt ebenfalls das Motiv des 
Weges gut aus: zum eigentlichen Mal führt eine ansteigende 
Waldschneise, an deren Ende sich hochragende Kriegergrabkreuze 
gegen den Horizont abheben. Ueberhaupt wird Kreis diesmal 
feiner Neigung zur Monumentalität Herr und behandelt das 
Symbolische mit reifer Zurückhaltung. 
Der Rest ist nicht Schweigen im Walde, sondern Radau. In der 
Tat: wer die Masse der ungekrönten Entwürfe durchmustert, dem 
vergehen die Sinne vor wildem Geschmetter und ein Alpdruck, 
der nicht nachlassen will, senkt sich auf ihn herab. Siegesalleen 
runden sich Zum Kreis, Völkerschlachtdenkmäler stolpern himmelan, 
wuchtige KoloM trampeln alles nieder, Steinbogen wölben 
sich über der nichtsahnenden Landschaft, protzige Schwimmhallen 
gebärden sich als Gedenkstätten und Monstrefilmtreppen nehmen 
ihren Lauf. Diese architektonischen Exzesse, deren manche vor das 
Forum des Psychoanalytikers gehörten, belegen sinnfälliger als 
Statistiken die Zerrüttung im Innern. Verzweiflung symbolisiert 
in ihnen mythische Gewalten, von denen sie nicht ergriffen ist, und 
Ohnmacht umgibt sich hier lautsprecherisch mit. Monumenten. 
Nicht alle preisgekrönten Entwürfe vermeiden das „Schlag- 
wortartige", das die Gutachter unmißverständlich geißeln. Den 
Passierschein erhalten hat etwa ein Ehrenmal in Gestalt eines 
gewaltigen Steinblocks mit der weithin sichtbaren Aufschrift: 
„2 000 000", den dichtgedrängte Figurenscharen stützen. Oder dgs 
Mal setzt sich aus fünf ungeheuren Steinpfeilern zusammen, die 
der Bezeichnung der fünf Kriegsjahre dienen. Aehnliche Lösungen 
finden sich unter den anerkannten noch mehr. Sie haben dies ge 
meinsam: daß sie sich aus dem Negativen herauswaaen ob»-» 
Angesichts der vollendeten Tatsache von 1828 Entwürfen ist es 
nicht an der Zeit, das Projekt des Reichsehrenmals selber noch 
mals zur Diskussion zu stellen. Genug, daß die. Ausstellung 
schlagend die Schwierigkeiten dartut, in die dieses Projekt sämtliche 
um seine Verwirklichung bemühten Künstler stürzt. Woher rühren 
die Schwierigkeiten? Sie haben ihren Grund nicht zuletzt darin, 
daß sich eine einheitliche, überragende Auffassung des Kriegs 
noch nicht hat durchsetzen können. Verschiedene fundamentale 
Prinzipien kämpfen heute um ihre Geltung, Erkenntnis und 
dunkle Machtansprüche liegen miteinander im Streit —° das 
Ehrenmal aber soll seiner Bestimmung gemäß Gehalte vergegen 
wärtigen, die allen gemeinsam sind. Diese Aufgabe Ließe sich mit 
Erfolg angreifen, wenn ein Prinzip herrschte, das wirklich allge 
mein bejaht Zu werden verdiente. Sie in unserer Situation positiv 
Zu bewältigen, ist unmöglich. 
Keichsehrmmal. 
Zur Ausstellung des Jd eenw ettbew erbS. 
i'« Berlin, im Juni. 
Der Wettbewerb zur Erlangung von Vorschlägen für die Aus 
gestaltung des Reichsehrenmals, das bekanntlich bei Bad 
Berka (Thüringen) in Form eines Ehrenhaines errichtet wer 
den soll, hat eine Unmenge von Architekten, Bildhauern und 
Malern mobilisiert. Nicht weniger als 1828 Entwürfe sind ein- 
gelauM, die teilweise noch durch Modelle ergänzt werden. Sie 
füllen die Ausstellungshallen am Lehrter Bahnhof, riesige Räume, 
die kaum die Ausgeburten der Monumentalfantasie zu fasten ver 
mögen. Ihre Sichtung muß eine wahre Herkulesarbeit gewesen 
sein. Das Preisgericht, das sie Unter dem Vorsitz von Staats 
sekretär Zweigert geleistet hat — dem Kollegium gehörten u. a. der 
Reichskunstwart Dr. Redslob und verschiedene namhafte Archi 
tekten an —, ist zur Prämierung von 20 Entwürfen gelangt. 
Zwanzig weitere Vorschläge sind mit Anerkennungspreisen bedacht 
worden.
	        
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