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Kampf gegen die
ZU verschiedenen Berliner Zeitungen hat eine Kampagne
gegen die sogenannten Kuppelanzeigen eingesetzt, die in ver
schiedenen anderen Berliner Zeitungen grassieren. Man kennt
sie, diese Anzeigen, in denen eine strenge Erzieherin sich
anbietet, deren Strenge für viele die höchste Erdenlust bedeutet,
in denen der würdige Beruf der Masseuse als Aushängeschild
dient und unter dem Deckmantel geselliger Beziehungen intime
erfragt werden. Sie mißbrauchen auch die unverfänglichen Tätig
keiten des Sprachlehrers und der Maniküre, um jene öffentlich
nicht zu nennenden Verbindungen herzustellen, die weder mit den
Nägeln noch mit der Grammatik etwas zu schaffen haben, und
füllen tagtäglich lange schmale Spalten, die auf die gewaltige
Ausdehnung des Liebesmarktes zu schließen erlauben.
Welche Folgen das Mimikry mit der Ehrbarkeit Br diese
selber haben kann, beweist der Fall einer jungen Dame, die un
längst inserierte, daß sie Unterricht in spanischer Sprache und
kaufmännischer Korrespondenz erteile. Obwohl oder vielleicht auch
weil sie sich in dem Inserat als junge Dame der Gesellschaft be
zeichnete, erhielt sie auf die Annonce hin den Besuch von Herren,
die alles andere aber als ein Interesse für die spanische Sprache
und Korrespondenz verrieten. Herbeigelockt wurden sie vielmehr
durch die besonderen Vorstellungen, die das südliche Wörtchen
Spanisch in ihnen erregte, das ja tatsächlich die Erinnerung an
eine Carmen von exotischen Reizen zu wecken vermag. Und als
der jungen D^rme der Gesellschaft die Sache spanisch vorkam,
wandten sich die enttäuschten Klienten nicht etwa beschämt dem
Sprachstudium zu, sondern erklärten brüsk, daß sie sich solche irre
führenden Offerten verbaten.
Mehrere Vorschläge sind gemacht worden, um der Zunehmenden
Propagierung der Unsittlichkeit Zu Heuern. Zunächst wird gefordert,
daß die Staatsanwaltschaft und die Polizei eine Säuberungsaktion
auf Grund des UnZuchtparagraphen und Kuppeleiparagraphen un
ternehme; siehst, wie es heißt, schon eingesetzt. Ferner gibt man den
Vertretungen der in Mitleidenschaft gezogenen Berufe den Rat,
Hre Schädiger systematisch zu bekämpfen. Schließlich ergeht an die
Zeitungsverlage der moralische Appell, durch die Ablehnung aller
anrüchigen Inserate dem Unwesen Einhalt zu tun.
Zweifellos wird der KreuZZug mit vortrefflichen Argumenten
Kuppetanzeigen.
geführt, und wenn auch sein Van nicht nur dem Idealismus ent
springen sollte, so wüßte ich doch nichts, was wider ihn spräck-e.
Der Augiasstall dieser Welt muß endlich gereinigt werden: etm
tugendhafte, eine beherzigenswerte Maxime. Nur meine ich, dar
das Handeln nach ihr sich selbst einzuschrärrken hätte. Denn so ge
jährlich es ist, die Verderbnis gewähren Zu lassen, ebenso bedenklich
ist das unnachsichtige Walten der Tugend. Einmal deshalb, wei.
sie nie so rein ist, wie sie zu sein glaubt; zum andern deshatt
weil die hemmungslose Rigorosität stets auch das Gegenteil von
dem erreicht, was sie bezweckt.
Ein Beispiel. Vor einiger Zeit erhielt ich von einer mir un
bekannten Dame einen Brief, in dem sie darüber klagte, daß ihr
die Möglichkeit genommen sei, mit einem vernünftigen Menschen
in Beziehung Zu treten. Sie ist Angestellte, lebt, wie ich Zur
näheren Erklärung hinzufüge, in irgendeinem abgelegenen Nest
und scheint, dem Brief nach Zu urteilen, eine belesene, recht ge
bildete Frau zu sein. Was lag näher für sie, die in dem Ort selber
keinen passenden Umgang finden konnte, als die Aufgabe eines
Inserats? Dieses Inserat aber wurde trotz seines Zurückhaltenden
Tones von etlichen großen Blättern abgelebnt, da sie, gewiß aus
Anstand, darauf verzichtet hatte, ihr Bedürfnis nach Anschluß durch
die Erwähnung einer etwaigen Heirat Zu legalisieren. Um ihren
Wunsch der Welt Zu eröffnen, mußte sie dann später die Annonce
in eine jener suspekten Spalten verschicken.
Das ist ein Grenz,fall von vielen. Ich führe ihn nur an, um
zu verdeutlichen, daß man das Kind nicht mit dem Bad aus
schütten darf. Die Moral in Ehren aber es gibt in Deutsch
land, vor allem in der Provinz, zahllose vereinsamte Menschen, die
sich nur schwer zu helfen wissen, und auf ihre Kosten die Symptome
der Unsittlichkeit mit Stumpf und Stiel ausrotten zu wollen,
wäre um so mehr eine Donquichotterie, als die Symptome gar
nicht aus allen Schlupfwinkeln aufgestöbert werden können. Statt
einen Pauschalangriff gegen verdächtige Inserate Zu machen, sollte
man lieber behutsam unter ihnen sichten. Erscheint die Tugend
nicht in Gesellschaft des Taktes, so triumphiert sie auf einem
Leichenseld. 8. Xr 8. eauar.