L - L'O
Iitm-Sommer.
Berlin, Anfang Juli.
Den lauten Ereignissen, die jetzt die Straße beherrschen, ist die
ereignislose Stille in den Berliner Kinos umgekehrt proportional.
Man verunstaltet eine Reprise um die andere, das ganze vergan
gene Repertoire wird wieder durchgekaut. Die „Privatsekretärin"
macht von neuem eine unwahrscheinliche Karriere, die „Stürme
auf dem Matterhorn" toben, und „Der Andere" kehrt in sein
eigentliches Ich zurück. Einige dieser Filme sind noch ganz leben
dig und halten jeden Vergleich mit den späteren aus; viele da
gegen wirken wie Grabgespenster, die bei der leisesten Berührung
vergehen. Noch nie ist bisher im Sommer ein solcher Mangel an
Nachschub gewesen. Verschuldet wird 'die Dürre durch das Kon-
Lingentgesetz, das neuerdings bekanntlich sehr verschärft worden
ist. Sollte seine Auflockerung nicht möglich sein, so befürchten die
Interessenten für den Winter eine filmlose, eine schreckliche Zeit.
Was den Produzenten recht ist, scheint wieder einmal den Kon
sumenten (d. h. den Theaterbesitzern) picht billig zu sein.
Eine einzige Neuheit ist zu verzeichnen: der Ufa-Film: ,,Der
Mann ohne Namen" mit Werner Krauß. Die Ufa hat sich
hier um ein gefüllteres Thema, um eine dichtere Atmosphäre als
die hergebrachte bemüht. Dennoch gelingt es der Werkstattarbeit
Robert Liebmanns nicht, den Oberst Chabert-Stoff wirklich zu be
wältigen. Sie schlagt wesentliche Motive an, ohne sie zu Ende zu
entwickeln, und stoppt den Eintritt ernster Möglichkeiten vorzeitig
ab. So wird der Kampf geschildert, den der nach Ißjähriger Ab
wesenheit Zurückgekehrte und längst Lotgesagte Automobilfabrikant
Heinrich Martin im Interesse der Anerkennung seines Namens
führt; aber ehe noch diese Kampfszenen ihren Sinn erfüllen und
die bittere Hilflosigkeit des Einzelnen dem Staatsorganismus
gegenüber illustrieren können, hören sie plötzlich auf und münden
in einen törichten Lustspielschluß ein, der ganz zu Unrecht wieder
aufatmen läßt. Und wie das soziale Motiv verebbt das private.
Aus der Tatsache, daß der Heimkehrer seine frühere. Frau mir
seinem besten Freund verheiratet findet, werden keinerlei deutliche
Folgerungen gezogen, und man weiß weder genau, ob die Frau
ihn zuletzt erkennt, noch ob die abweisende Haltung des Freundes
auf bösem Willen beruht. Durch den Abbruch der thematisch ge
gebenen Konflikte und ihre Auflösung in den Gewässern des
Schwanks entstehen überdies schwer erträgliche Unmöglichkeiten.
Innerhalb eines realistisch gemeinten Films ist es wenig glaub
haft, daß der Held seinen Namensanspruch nicht zureichender be
gründen kann — Zeit genug dazu wird*ihm in den gedehnten
Szenen wahrhaftig gelassen -- und die Schnelligkeit, mit der er
sich um des happy end willen in ein fremdes Mädchen verliebt,
widerstreitet den Bindungen, die ihn angeblich ins alte Zuhause
zurücktreibsn.
Kurzum, der Film bleibt wie die meisten andern in lauter
Unentschiedenheiten stecken. Sie rühren daher, daß er
und seinesgleichen ihr Dasein nicht so sehr einer substantiellen
Kraft als dem Willen verdanken, es jedermann recht zu machen,
ohne dabei die Gesetze der Neutralität zu verletzen. Es gibt auch
unpolitische Lebensregungen, die eine gewisse Sättigung der
Neutralitätssphäre gestatteten. Aber sie scheinen bei uns in einem
hohen Grade erstürben oder doch verkümmert zu sein. Denn dieser
Film, der die Flauheit seiner Konzeption mit der Mehrzahl der
übrigen Filmprodukte teilt, verrät nirgends eine gedankliche oder
gefühlsmäßige Beziehung zu der von ihm zu treffenden Sache,
sondern an allen Ecken und Enden immer nur den einen Wunsch:
um keinen Preis Anstoß Zu erregen und sämtliche Klippen Zu um
schiffen, die seinen Publikumserfolg beeinträchtigen könnten. Er
ist von außen her bestimmt, er richtet sich nach Bedingungen, die
ihm selber nicht immanent sind. Und vergeblich sucht man nach
Antrieben, die ihm zum unableitbaren Leben verhülfen und seine
Entfaltung von sich aus bestimmten.
Die Regie Ucickys sprengt nirgends die Grenzen der Routine;
es sei denn in einer kleinen Szene, die im Archiv für Kriegsverluste
spielt. Sie zeigt einen Büroangestellten, der immer höher und höher
an den Aktenregalen empoMettert; dann kommt er wieder her
unter, und die Szene, die keine Konsequenz hat, ist aus. Infolge
der Schwächen des Manuskripts werden gerade die Hauptdarsteller
gehemmt. Man merkt es Werner Krauß an, wie sehr ihn seine
Rolle vergewaltigt. Wenn er das Spiel zu tragischer Größe steigern
will, muß er sich lustspielhaft benehmen, und hat er sich in ein
heiteres Lächeln hineingelebt, so wird er sofort von neuen Wolken
umzogen. Eine Figur, die nicht gesehen, sondern zusammen
gekleistert ist, kann auch er nicht Zum Charakter gestalten. Aus
ähnlichen Gründen ist Helene Thimig um ihre Bewegungs
freiheit betrogen. Falkenstein als kleiner Agent, Maria Bard als
Helle sympathische Stenotypistin und Grünbaum als Rechtskonsulent
versehen durch ihre spielfreudigen Leistungen den Film mit einigen
kräftigen Lichtern. Aber diese Chargenrollen gehören nicht not
wendig zur Komposition, wären vielmehr überall möglich.
8. Xr3,6au er.
An der Grenze des Gestern.
Zur B erlitt er Film - und Pho to -Schau.
Von S. K^acauer.
Berlin, im Juli.
Ist einem Ladenkomplex der Joachimsthalsr Straße ist jetzt eine
p e r m a n e n t e F i l m - undPhoto-Scha u eröffnet worden,
die ein Material vereint, wie es in dieser Fülle noch niemals ge
boten wurde. Dokumente, Bilder und Proben sind hier zusammen
gestellt, die von den ersten Anfängen der Photographie und des
Films bis zur jüngsten Gegenwart reichen. Sie gewähren einen
nahezu lückenlosen Ueberblick über eine Entwicklung, an der wir
selber so ganz beteiligt waren, daß wir sie bisher nicht von uns
abzulösen vermochten. Durch diese Sammlung erst wird das un-
gewußt mitgeführte Leben offenbar und tritt uns fremd gegenüber.
Und indem wir sie mustern, erkennen wir, nicht ohne zu schaudern,
wie das Heute stückweise in die Vergangenheit zurücksinkt und
das Vergangene stetig im Heute weiter rumort.
Die Ausstellungsräume erinnern an Buden. Alle Wände sind
von oben bis unten mit Photos gepflastert, und dazwischen leuchten
immer wieder grelle Außenplakate. Noch andere Umstände tragen
dazu bei, den Eindruck des Jahrmarktzaubers zu wecken.Der Betrieb
dauert bis in die späte Nacht; in einem der Räume, der als altes
Vorstadt-Kintopp ausgestattet ist, werden verschollene und neue
Filme gezeigt; die Schaufensterdekoration gleicht einer sichtbar ge
wordenen Drehorgelmelodie; der Eintrittspreis ist so niedrig gehal
ten, daß die offene Ladentür nicht als unüberwindliches Hindernis
wirkt. Kurzum, die Straße zieht sich tief in die Schau hinein,
und deren heimlichste Winkel noch sind für Passanten geschaffen.
Mag die Improvisation, die hier herrscht, den Absichten der Ver
anstalter oder einfach der Knappheit an Mitteln zu danken sein:
sie entspricht jedenfalls genau dem Gegenstand, der vorgeführt
werden soll. Diese Bilder müßten nicht allein ihrer Herkunft und
ihres Sinnes wegen in Hellen, vornehmen Museumssälen ersticken,
sondern wären auch darum in einer solchen Umgebung schlecht
untergebracht, weil sie noch nicht völlig historisch geworden sind.
Ihr Ort ist an der Grenze zum Gestern, an der nur improvisiert
werden kann. Denn im Zwielicht dort verschwimmen vorerst die Kon
turen, und das Rauschen des gelobten Daseins klingt in die kaum
verlassenen Felder herüber.
Aus der Urzeit stammt die Aufnahme eines Fensters von
Niöpce, der zwischen 1816 und 1830 gewirkt hat und der Vor
läufer Daguerres gewesen ist. Die Photographie ist auf besonders
präpariertem, in Asphalt getränktem Papier hergestellt worden und
wird keine lange Lebensdauer mehr haben. Schon Zeigt das Bild
Sprünge und Risse, schon droht die Gestalt wieder in die Mono
tonie des Grundes einzugehen, dem ihr Schöpfer sie abgelistet
hatte. Es muß für ihn ein Glück ohnegleichen gewesen sein, alle
todgeweihten Dinge zu bannen. Noch ist die Erscheinung deutlich
Zu sehen, mit dem Fensterkreuz und der steinernen Brüstung — ein
armseliges Fenster an irgendeinem Pariser Haus. Aber gerade die
Nichtigkeit dieses Sujets veranschaulicht das von den ersten Licht
bildnern Gemeinte. Sie waren zweifellos von der Mission erfüllt,
das Zeitliche einer Welt zu segnen, die das Zeitliche segnet. Und
die Rührung, die sich der heutigen Betrachter beim Anblick des
vergilbten Blattes bemächtigt, erklärt sich eben daraus, daß es zum
Unterschied von den meisten modernen Photos das Vergängliche
retten, nicht aber bis zum Ueberdruß verewigen will. Dadurch,
daß es ein flüchtiges Phänomen um seines möglichen Sinnes
willen wunderbar zum Stehen bringt, ruft es wieder die ursprüng
liche Bestimmung der Photographischen Technik ins Gedächtnis zu
rück, deren Nutznießer sich längst damit begnügen, die Verflüch
tigung unwesentlicher Phänomene sinnlos aufzuhalten.
- - > *
Anfänge des Films: eine Wundertrommel wird gedreht, und
aus kleinen Bilderheftchen, die man wie ein Kartenspiel rasch mit
dem Finger Überschlagen kann, erstehen kunstlose Szenen. „Du
ahnst es nicht," heißt eines der Heftchen, und diese Behauptung
ist dazu geeignet, die Neugier von Rummelplatz-Besuchern zu
wecken. Noch erhalten sich im Luna-Park die Biofixbilder-Apparate
jener Zeiten fort, die der spendierfreudigen Lüsternheit übertrie
bene Versprechungen machen. Schaubudenluft umweht überhaupt
den Beginn der ganzen Filmproduktion, ist die Atmosphäre, in der
die Versuche Max Skladanowskys gedeihen. Und wie das unge
schlachte Instrumentarium, dessen sich dieser Erfinder bedient,
schon viele, später herausgearbeitete Möglichkeiten in sich enthält,
so ist die Stelle, an der ins jungfräuliche Stoffgebiet eingebrochen
wird, für ^ie Zukunft entscheidend. Immer haben die Umstände,
unter denen eine neue Entwicklung anhebt, einen unabsehbaren
/ Einfluß auf ^eren Verlauf. Der von Skladanowsky ge-
j schaffene erste''Spielfilm der Welt nennt sich: „Die Rache der
/ Frau Schultze" und ist eine Art von Moritat, deren Bilder