Nachzutragen wäre noch, daß das gewaltige Material, das in
der Schau nach und nach der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden soll, von zahllosen Filmschaffenden zur Verfügung gestellt
worden ist. Regisseure haben ihre Privatarchive geöffnet, Kom
parsen wertvolle alte Fotos beigesteuert. Die ausstellende Gesell
schaft, die von ihren Bruttoeinnahmen bestimmte Prozentsätze an
die WohlfahrtSkaffen einiger Filmverbände abführt, will auch
in anderen großen Städten des Reiches Zweigausstellungen grün
den. Geplant sind ferner in der Zentrale selber: Verträge der
verschiedensten Art und Sonderveranstaltungen aus Spezialge
bieten.
Leben vollständiger als irgendeine andere Kunstgattung darstellt,
zählt zu seinen Aufgaben vielleicht auch diese: uns immer wieder
auf das fragwürdige Jnsinander von verrinnender Zeit und Ge
fühlen oder Leidenschaften aufmerksam zu machen, die Dauer M
haben behaupten. Die Heiterkeit, die jüngst veraltete Bildstreifen
wecken, ist freilich dunkel grundiert; denn der Anblick von Klei
dern und Gesten, in denen wir uns vor kurzem noch geäußert hat
ten, gemahnt an den Untergang jeder Gegenwart überhaupt. Und
zweifellos werden viele Sportfeste, Tragödien usw., denen wir
heute auf der Leinwand begegnen, bald genau so komisch wickn
wie das Paar am Elterngrab. Mefreit von dieser Komik ist nur
die vollends historisch gewordene Wirklichkeit, die nicht mehr in
die unsrige hinübergreift, und die Erscheinung von Gehalten, Ue
so gut evident und übermächtig sind, daß sie sogar noch ihre ver
gehende Erscheinung bezwingen. Aber wo kämen sis in der jetzi
gen Welt vor?
*
Von der Vergangenheit rückt die Ausstellung unmerklich zür
Gegenwart vor. Einige Etappen der Entwicklung heben sich immer
hin ab. Da ist der Brief von Max Mack an Albert Bassermann,
in dem dieser, der sich bisher gegen das Filmen gesträubt hatte,
erfolgreich beschworen wird, eine Rolle im Film: „Sein eigener
Mörder" zu übernehmen. Da sind Abbildungen der ersten, jm
Atelier gebauten Dekoration, da werden Proben von Filmen ge
boten, die eine neue Serie einleiteten oder in technischer Hinsicht
eine wichtige Anregung brachten. Aber trotz dieser kleinen Sig
nale findet man nicht die Schwelle, hinter der ein für allemal das
Gestern läge, sondern gleitet ohne Zwischenstation ins Heute hin
ein. Das Gefühl der Unheimlichkeit, das dadurch entsteht, daß man
nicht eigentlich weiß, wann die modernen Gewänder die alten
verdrängen, wird noch durch das Bewußtsein gesteigert, daß mit
dem technischen Fortschritt die Leere der Filme selber wächst. Am
Ende der Schau ist eine neue Tonfilmkamera aufgebaut, die sich
zum plumpen Bioskop Skladanowskhs wie ein eleganter Wagen
von Heute zu einem urtümlichen Ford verhälp Die Filme jedoch,
die aus dieser schnittigen, wundervoll durchkonstruierten Appara
tur hervorgehen, befriedigen nicht die Erwartungen, die man an
die Vervollkommnung des ursprünglichen Modells knüpfen bürste.
Jm Gegenteil: je mehr sie zu Jndustrieprodukten werden, desto
hohler klingen sie, und der Zuwachs des in ihnen investierten
technischen Könnens scheint geradezu ihre Substanzminde.
rung zu bedingen. Sie verkehren richtige Absichten, sie heben
die Kolportage und senken sie dadurch, sie liefern der Bevölkerung
faule Ideologien und verbauen die Gehalte durch Dekorationen.
So hätte es nicht zu sein brauchen, aber so ist es faktisch gekommen.
Der Gang durch die Ausstellung gleicht aufs Haar einem Rutsch
ins Bodenlose. Eine Hoffnung aber bleibt: der herrliche Apparat,
der diese nichtigen Produkte erzeugt. Er kann nicht vergeblich
geschaffen worden sein, sondern wird eines Tages die Funktion
erhalten muffen, die ihm in Wirklichkeit zukommt.
von Versen wie diesen begleitet werden:
„Abends, wenn die Glocke Zehn,
Will Frau Schultze schlafen gehn,
Ihr Herr Nachbar — componiert,
Spielt Posaune und klaviert."
Bezeichnend auch, daß eine Zirkusreiter!» die Rolle der Räche
rin spielt. Alle Filme von damals sind Illustrationen zu Bänkel
sängerweisen oder vergegenwärtigen wie selbstverständlich kolpor-
tageähnliche Themen. Derselbe Zwang, dem die Techniker bei
der Ausbildung der Apparatur gehorchen, führt ste Motiven zu,
die unterhalb der offiziellen Literatur ihr Wesen treiben. Es ist
die Welt der Volksbelustigungen, in die sie vorstoßen, der primitiv
gemachten und genossenen Abenteurergeschichten, der Zehnpfennig
Broschüren, die in Schreibwarengeschäften und Hinterhöfen an
die halbe Öffentlichkeit kommen. Wenn aber diese Welt als erste
dem Film erobert wird, so heißt das nichts anderes, als daß er
ihr zugeordnet ist. Und in der Tat: als ein Geschöpf der Straße,
als ein Permittler jener unzerstörbaren, großen Motive, die sich
in Schauzelten deutlicher offenbaren als in der sogenannten Lite
ratur und das Glück der Unverbildeten und der Weisen sind, feiert
er später die höchsten Triumphe. Die Chaplinaden, die das Zeichen
seiner Abstammung unverwischbar auf der Stirn tragen, sind zu
gleich seine Erfüllung.
„Rache der Gefallenen. Sittengemälde in vier Akten": diesen
Titel führt ein verschlissener Film, in dem der junge Hans
Nlbers als dämonischer Verführer auftritt. Noch wehen seine
Locken in voller Pracht, noch ist seine Eitelkeit unschuldig wie die
von Helden in Dienstmädchenromanen. Jetzt will er die Bolks-
figur sein, die er in seiner Novizenzeit vielleicht wirklich war.
und trifft sie nicht mehr. Der Kitsch, den er einst darstellte, war
populärer Natur, die Bedeutung hatte; die Natur, die er heute
im Interesse seiner Popularität mimt, ist Kitsch. AuWlußrekch
rst ein Bild aus diesem Film. Mit der Pistole in der Hand steht
die (anscheinend schon gefallene) Heldin im reich ausgestatteten
Familiensalon einem Staffelei-Gemälde gegenüber, das den Ver
führer in Frackuniform zeigt, und hegt Gefühle, die der Text wie
folgt ausdrückt: „Diesen Mann liebte ich einst. Öh, wie ich ihn
heute Haffe! Ich muß ihn töten, und sei es auch nur im Bild!"
Statt daß man nun der Heldin die Erregung anmerkte, die diese
Worte verraten, wirkt sie im Gegenteil wie eine völlig unbeteiligte
Person. In der ruhigen Haltung einer gehobenen Mittelstands
Statue erfüllt sie die Mitte des Zimmers, und der Windstille, die
ihren Busen am Wogen verhindert, entspricht durchaus die Gleich
gültigkeit, mit der sie den Revolver umfaßt. Das Mordinsirumenl
könnte eine leere Streichholzschachtel sein, die im nächsten Augen
blick abgelegt wird, so gering sind seine Beziehungen zur Ge
fallenen und zum Frack. Und doch diese tragischen Worte? Die
Aufnahme beweist, daß sich zur Zeit ihrer Entstehung der in
zwischen vom Film eroberte Raum noch nicht aufgetan hat. Der
Salon ist ein abgewandeltes Bühnenpodium, die Darsteller find
Schauspieler, die nicht reden dürfen, die Möbel kommen aus der
Requisitenkammer, und die Kamera hat Angst, sich vom Fleck zu
rühren. Solange dieses Borstadium dauert, gehören die Menschen
und Dinge weder mehr zum Theater, in dem sie sich verständlich
machen könnten, noch bereits in jene Welt, die auf der Leinwand
widergespiegelt zu werden vermag. Es sind Gespenster, die im
Morgengrauen agieren und deren Sprache nicht die unsrige
ist. Ihre Gebärden scheinen ihre Worte Lügen zu strafen, ihre
Arglosigkeit ist Aufruhr, und ihre Pistolen schießen ins Leere.
Wenn die Kamera aus der Starre erwacht, werden sie weichen.'
Viele Filme der abgelebten Epoche sind nur noch komis ch.
Nicht dort wo ste komisch sein wollen, sondern gerade an den
Höhepunkten des Ernstes. Inmitten einer Friedhofsszsnerie zukn
Beispiel, die offensichtlich best rührenden Schluß einer dramatischen
Handlung bildet, verweilen ein besser gekleideter Herr, der jedem
Courths-Mahler-Roman zur Ehre gereichte, und die kniende
Henny Porten, Der Kommentar zum. Bildertext lautet:
„Der schönste Platz, den ich auf Erden hab',
Das ist die Rasenbank am Elterngrab."
Daß die Trauergestalt und der etwas abseits stehende Herr
erschüttert sind, duldet nicht ^n mindesten Zweifel. Dennoch
zwingt das Bild Gelächter herauf, und auch andere, weniger krasse
Szenen aus verjährten Gesellschastsfilmsn sind unrettbar der Ko
mik verfallen. Sie entspringt einer bestimmten Veränderung, die
mit diesen Bildern vorgegangsn ist. Zeigten sie ihren ersten Be
trachtern im wesentlichen nur den von ihnen gemeinten Gehalt, so
zeigen sie ihren heutigen Betrachtern das sonderbare, Sben ver
moderte Milieu, in dem jener Gehalt sich so naiv kundgab als sei
er darin wirklich verwurzelt. Wir sehen nicht nur die Ergriffen
heit des Herrn, sondern auch sein antiquiertes Jackett, und sind
zu bemerken genötigt, daß die Trauer Henny PortenS gleich unter
der veralteten Hutform sitzt. Der Akzent der Bilder hat sich ver
schoben, die modischen Aeußerlichkeiten, die früher verschwanden,
treten jetzt wie eine Geheimschrift sichtbar hervor. Und statt von
dem Pathos mitgerissen zu werden, das in der Zeit ihrer Aktuali
tät aus ihnen sprach, erregt uns nur noch der lächerliche Kon
trast, der zwischen den pathetischen Ansprüchen und der hinfälligen
Erscheinung ihrer Helden besteht. Da der Film das erscheinende (