nicht mehr vorzustellen, als sie faktisch sind. Die Worte be
grenzen sich; die Realität setzt immer wieder Ideologien außer
Kurs.
Was die Beziehungen zwischen den Klaffen und Berufs
schichten betrifft, so versichert man mir, daß die Mischung sich
gut entwickle. Die Arbeiter legen ihre anfängliche Befangen
heit in den Arbeitsgemeinschaften um so leichter ab, als sie bei
der körperlichen Vormittagsarbeit die Ueberlegenen sind. So
brauchen sie sich nicht in jeder Lagersituation zurückgesetzt zu
fühlen. Außerdem befindet man sich ja in einem halben Natur
schutzpark, in dem die gesellschaftlichen Kontraste sowieso schon
etwas gedämpfter sind.
denunziert sich selber als politische Naivität.
Nicht anders kann man jedenfalls das Ansinnen bezeichnen,
das^heute aus der Bewegung heraus an den Staat gestellt
chaß er den Freiwilligen Arbeitsdienst um seiner volks-
Eltlschen Ziele w-llen auch auf Kosten der wirtschaftlichen
Rentabilltat durchfuhren möge. Sieht man selbst davon ab
daß ein so stark wirtschaftlich bedingtes Unternehmen wie der
Freiwillige Arbeitsdienst die ökonomische Rentabilität nicht
«über acht lassen darf, so ist doch noch zu fragen, ob
den volkspolitischen Zielen der Bewegung tatsächlich damit
gedient , Ware, wenn die Regierung auf einen solchen Vor-
ihnen gar nicht damit gedient,
und wahrscheinlich bemeE man nicht einmal, daß wenig dazu
gehört, um die Arbeitslager in ein Instrument der Kultu r-
reaktion zu verwandeln. Schon heute zeigen sich Ansätze
zu einer Entwicklung in dieser Richtung, die auch dem
ahnungslosesten Gemüt zu denken geben sollten. Ein Laqer-
teilnehmer antwortet auf meine Frage, wie sich junge Kom-
Nationalsozialisten nach Absolvierung des
Lagerdienstes verhielten, daß die Radikalen meistens „ge
brochen zu ihren Parteien zurückkehrten und nicht mehr recht
zu gobrauchew seien. Ebenso wird nach Schellenberg von den
Arbeit N betont, „daß sich neben der Hebung,
fArbeitsfreu.dlgkert das Gemeinschaftsgefühl nach der
idealen Seite hm stark gehoben habe, Ablehnung des Radi ¬
kalismus und positive Einstellung zum Staate seien die be
herrschende Haltung." Wenn es aber so ist, daß die Arbeits
lager das Einschwingen in eine höchst problematische Mitte
begünstigen, wenn sie junge, revolutionär gesinnte Leute nicht
nur kritisch gegen das Verhalten ihrer Partei stimmen, sondern
auch von jenem entschiedenen Denken abbringen, das den Ehren
namen des radikalen verdient, wenn sie einen Zustand her
vorrufen, in dem die eine Radikalität so wenig wie die andere
gilt — dann befördern sie in Wahrheit nicht die Volksgemein
schaft, sonden die politische Stagnation; dann bilden sie nichr
die Keimzelle neuer Gestaltungen, sondern werden zum Werk
zeug der nach rückwärts gerichteten Mächte. Dergleichen.fängt
klein an und hört schlimm auf. Die naiven Ideologen der
Bewegung sollten begreifen, daß sie zuletzt nur den Kräften
in die Hand arbeiten, die mit den Arbeitslagern ihre eigenen
Pläne verfolgen.
/ Jeder Versuch, die Arbeitslager mit' positiven Bedeu
tungen zu überlasten, sie als Vorform der Volksgemeinschaft
aufzuziehen und überhaupt politisch auszuwerten, muß Ent
täuschungen zeitigen; wenn er nicht gar der Reaktion mittel
bar zugute kommt. Diese Erkenntnis besagt nichts wider die
Bewegung selber. Nur wird ihr Sinn nicht dort anzutreffen
sein, wo ihn die Gutgläubigen zu finden hoffen.
Ein auffälliges Merkmal der sozialen und politischen
Kämpfe in Deutschland ist ihre Abstraktheit. Es ist, als
schlügen sich nicht so und so bedingte Menschen und Gruppen
mit Hilfe von Parteiprogrammen, sondern als befehdeten sich
Parteiprogramme mit Hilfe irgendwelcher Menschen. Die
Programme sind gewissermaßen allein in der Welt und die
Menschen nur eine Konstruktion. Dieser Grundgug geht durch,
er bestimmt das Verhalten auf der Rechten und auf der Lin
ken. Bezeichnend für ihn ist z. B. die ungehemmte Leichtigkeit,
mit der die Parteien ihre Taktik sprunghaft verändern. Die
Position des einen Tages wird durch die des nächsten
desavouiert, und die Sprünge sind Lustsprünge. Wer soll
dem folgen? Hätten die Aktionen wirklich Träger, so müßten
sie sich anders entwickeln. Aber eben die menschlichen Träger
scheinen nicht vorhanden zu sein. Es fehlt die Substanz, an
der das politische Handeln zu haften vermöchte. Die Masse
der Menschen ist nicht in Parteien organisiert; umgekehrt
vielmehr: aus der Tatsache der Parteimitgliedschaft folgern
die Organisierten erst, daß sie auch Menschen seien. Der beste
Beweis dafür ist, daß sogar untergeordnete Fragen rein sach
licher Natur von dem ihnen unangemessenen parteipolitischen
Standpunkt aus entschieden werden. Das Parteidogma regiert
unumschränkt auf Kosten der Personen, die es verfechten, und
fetzt sich noch über die gesellschaftliche Wirklichkeit hinweg.
Auf der anderen Seite genießt dann innerhalb der nationalen
Bewegung der „Führer" geradezu göttliche Ehren; aber dieser
unbegründete, phantastische, ja widersinnige Führerkultus ist
nur der totale Widerspruch zur Abstraktion vom Menschen und
vorrat ebenfalls, daß bei uns politische Theorie und mensch
liche Praxis einstweilen nicht zueinander kommen können.
W—ie d—ies.e..r Zustand sic,h —au--s-w--i-rkt, weiß jeder. Von der
leibhaft existierenden Bevölkerung aus betrachtet, verhindert
er die Entstehung des geringsten außerpolitischen Konsensus.
Da die Menschen ja nur insofern Menschen darstellen, als sie
von ihrem Parteibuch bzw. der dem Parteibuch gemäßen Ge
sinnung okkupiert werden, öffnen sich Abgründe zwischen
ihnen, die aber gar nicht Abgründe zwischen Menschen, son
dern zwischen Schemen sind. Morden sich denn die lebendigen
Träger politischer Ueberzeugungen in den Straßenschlachten? .
Keineswegs. Die aufeinander losknallen, sind gespenstische
Produkte von Ueberzeugungen, und erst ihre Leichen enthüllen
Widder, daß sie auch Menschen waren.
z? Seite der Parteiziele und -Programme aus be-
Während mehrere politische Parteien die Arbeitslager
bewegung mit Mißtrauen verfolgen, knüpft man in den Kreisen
der beteiligten Jugend selbst und auch anderswo die größten
Hoffnungen an d^ Lager. Lampel fragt einen der Jungen:
„Ihr nehmt euch zum Ziel die Erweckung des Volkes?" Der
nickt und antwortet: „Die Lösung von der Jugend her." Viele
glauben in der Tat, daß diese Lager der Kern einer kommen
den, politisch auszuwertenden Volksgemeinschaft und damit
„die Lösung" seien. „So können die Arbeitslager da
draufcn," schreibt Pros. Walter Norden in seinem Vorwort
zu Schellenbergs Buch, „zu Keimzellen einer gefestigten, ver
tieften und verbellen Volksgemeinschaft werden" Und auch
die letzten Erlaffe des Reichslommissars für den Freiwilligen
Arbeitsdienst Dr. Syrup sprechen von dem „echten Gemein
schaftsgeist", den der Arbeitsdienst zu Pflegen habe.
Nichts wäre der richt gen Entwicklung der Arbeitslager
hinlvrlicher als dieso sie zu „Keimzellen zukünftiger politi
scher Gestaltungen zu machen und sie derart ideologisch zu
übersteigern. Wenn man sie als dsn Kern einer neuen Volks
gemeinschaft ansieht und dementsprechend behandelt, erstickt
man nur von vornherein die Möglichkeiten, die sie vielleicht
bieten. Warum? Weil jeder Versuch, die Volkslager unmittel
bar politisch auszukonstruieren, an der politischen Realität
scheitern und sie damit selber zum Scheitern bringen muß:
weil er ihnen einen Geist einhaucht, der ihrem ursprünglichen
zuwiderläuft.
Zugegeben, daß in den interkonfessionellen Arbeitslagern
die Jugend aller Volksschichten sich aufeinander abstimmt und
ihre Gemeinsamkeit Zu empfinden lernt. Aber wie dieses
jugendliche Empfinden der Gemeinsamkeit von sich aus
politisch wirksam werden soll, ist nicht einzusehen. Die Jugend
bewegung in ihrer keineswegs zufälligen Unkenntnis der
politischen Realität hat von jeher den guten Willen und Ge
meinschaftsgefühle für bare politische Münze genommen; statt
der Tatsache inne zu werden, daß in der politischen Sphäre
Interessen regieren. Um eine eingreifende politische Bedeutung
zu erlangen, hätte sich also die Arbeitslagevbewegung als eine
politische zu konstituieren; d. h. ihre Anhänger dürften nicht
in den Wahn verfallen, daß bereits die Lagerform als solche
politische Konsequenzen nach sich ziehe, sondern müßten
Stellung zu unserer Wirtschaftssituation, zur sozialen Schich
tung, zu den Parteiinteressen usw. nehmen und sich dann zur
Lagerform aus politischen Konsequenzen bekennen. Diese Not
wendigkeit der Eingliederung einer an sich noch nicht politi
schen Erscheinung, wie es die Arbeitslager sind, in reale
politische Zusammenhänge faßt E. W. Eschmann, der Mit-;
arbeiter der „Tat", ins Auge, wenn er im Vorwort zu dem
Sammelwerk: „Wo findet die deutsche Jugend neuen Lebens
raum?" die Forderung des obligatorischen Arbeitsdienstes
durch die Sätze ergänzt: „Am furchtbarsten wäre wohl das
Zusammenschließen eines solchen allgemeinen Avbeitsdienst-
jahres aus den... freien Arbeitslagern der Jugend aller
sozialer Schichten, denn hier sind die geistigen, sozialen und
wirtschaftlichen Vorbedingungen des Arbeitsdienstjahres be
reits praktisch erforscht worden. Andererseits ist es notwendig,
daß dieses Arbeitslager sich in zunehmendem Maße als Vor
posten des unvermeidlichen allgemeinen Arbeitsdienstjahres
fühlen und ihre Fragestellungen danach einrichten, indem sie
ihrem nationalpädagogischen Anfang eine staatspolitische und
nationalwirtschaftliche Fortsetzung geben. Das bisher richtige
Bestehen auf der rein pädagogischen Bedeutung der
Arbeitslager würde die Gefahr mit sich bringen, daß vielleicht
das kommende Arbeitsdienstjahr nach unsinnigen, veralteten
Vorstellungen organisiert wird und eben den pädagogischen
Erfolg der freien Arbeitslager wieder zerstört. Wie überhaupt
ist auch hier, gerade hier, die Behauptung von der Autonomie
der Pädagogik scharf zurückzuweisen. Gerade hier ist zu be
tonen, daß es eine Pädagogik außerhalb des Staatlichen und
Sozialen nicht gibt und nicht geben kann." Lehnt man auch
das allgemeine Arbeitsdienstjahr ab, so muß man doch die
Gültigkeit der in Eschmanns Forderung mitgesetzten Erkennt
nis einräumen, daß die Institution des Arbeitslagers nur
dann einen politischen Sinn erhält, wenn sie als Glied einer
politischen Konstruktion auftritt. Als eine Einrichtung, die.
aus eigenem Antrieb in die politische Sphäre hineinwirken
will, bleibt sie zur Ohnmacht verdammt. Oder hat etwa der
Frontsoldatengeist in der Politik der Nachkriegszeit sich durch-
zusetzen vermocht? Und doch ist die Kriegsgemeinschaft binden
der gewesen als die Gemeinsamkeit in den Lagern.
Die romantische Illusion, daß aus der Wirklichkeit der
Arbeitslager direkt die der Volksgemeinschaft