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Die Menschenmenge zieht sich an den Bauzäunen entlang, die
noch immer ihre Kurven auf der Platzfläche beschreiben. Sie sind
mit handgeschriebenen Zetteln beklebt, auf denen billige Mittags-
Lsche und günstige Gelegenheitskäufe angepriesen werden. Vor den
Zetteln stehen Straßenhandler, deren Beredsamkeit schlechterdings
nicht zu überbieten ist. Einer von ihnen halt eine kleine Schlange
aus DmhLspiralen feil, die man nur in einer bestimmten Richtung
streicheln muß, damit sie sich auf ihrem Papptellerchen ununter
brochen windet. Kitzelt man sie gar am Schwanz, so gebärdet sie
sich wie toll und reckt Zornig den grünen Kopf empor. Der Häusler
begleitet ihre Manöver mit Ansprachen, die nicht der Zweideutig
keit entraten, zwingt durch seine Worte die Zuhörer dazu, die
leblose Drahtspirale zu beseelen, und versichert alle die seiner Ge
ringschätzung, die nicht einen Groschen für ein Ding anlegen wol
len, das soviel Humor und Stimmung verbreitet. Derart unter
Druck gesetzt, kaufen viele die Kuverte, in denen das Pappteller-
chen mit der Schlange steckt. Sie werden hinterher um eine Ent
täuschung reicher sein. Aber wie gerne sucht dieses Straßenpubü-
knm der Erwerbslosen, der Arbeiter und Kleinbürger seine Zu
flucht bei Illusionen, die es dem Alltag entrücken. Wo er ein Loch
hat, schlüpft es hinein. An der Bretterwand, die eine Abwechslung
nach der andern gebiert, lehnt auch eine Malerin mit dem Zeichen
block in der Hand. Schon ist das Polizeipräsidium, naturgetreu
durchschattierL, auf dem Papier zu sehen, und die Büro-Hochhäuser
werden bald folgen. Mädchen, Männer und Frauen umlagern die
Künstlerin, blicken ihr nach, wenn, sie die Höhen und Bretten
visiert, und freuen sich über die gelungene Wiedergabe einer Wirk
lichkeit, die sie nur zu genau kennen. Sie mustern ihren Platz
anders als sonst, sie entrinnen ihrem verzweifelten Dasein für
einen Augenblick, indem sie in seinem Abbild versinken.
8, LraeLusk.
Warenhaus-Konzern errichtet worden ist. Zwischen ihm und den
beiden Büro-Hochhäusern an der Stadtbahn liegt nicht nur der
Platz, sondern eine halbe Welt. Jenes Gebäude ist eine finstere
Unternehmerfeflung, deren Kolossalfront aus lauter Lisenen be
steht, vor denen man unwillkürlich zittert. Sie endigen oben stumpf,
jagen pausenlos über den Mittelturm hin und folgen einander
in so unabsehbarer Menge, als gälte es einen Vertikaltrust von
Lisenen Zu bilden. Jede von ihnen ist ein senkrechter Gewaltakt.
In den schmalen Zwischenräumen, die sie frei lasten, sitzen die
Fenster wie in Rinnen, mangelhaft ernährte, eingeschüchterte
Fenster, die an Angestellte erinnern. Ihre Tätigkeit ist völlig durch
rationalisiert, ihr Gehalt entspricht genau dem Tarif. Bald wer
den sie ab gebaut. Tann geht der Betrieb ohne sie weiter, und die
Lisenen streichen noch brutaler über die blinde Fassade. Aber es
könnte auch sein, daß der Betrieb eines Tages nicht mehr weiter
ginge... Im Vergleich mit diesem Konzern-Gebäude, das eine
einzige Drohung ist, tragen die beiden Bürohäuser am Platz selber
eine freundlichere Gesinnung zur Schau. Sie sind nicht geradezu
dem Größenwahn verfallen, sondern passen sich immerhin den Ver
hältnissen an. Und statt mit einem hochfahrenden Pfeilerwerk auf-
zutrumpfen, das die Knute über den Fenstern schwingt, schließen
sie diese paarweise in Kästchen ein, in denen sie sich wie in Eigen
heimen ausleben dürfen. Häuser, die wenigstens für Menschen
gebaut sind und nicht nur zum Ruhm anonymer kapitalistischer
Mächte. Vorerst stehen sie freilich größtenteils leer. Das eine von
ihnen enthält einen bekannten Restaurations-Betrieb, der Zwei
Geschosse einnimmt und mit edlen Hölzern und modernen Be
leuchtungskörpern ausgestattet ist. Die Kultur der Räume bildet
eine Gratiszugabe Zum Bier und den Würstchen.
Ist der Platz jetzt nach der Stadtbahn zu abgeschlossen, so steht
er nach der anderen Seite zu noch weit offen. Ganze Stadtteile
drängen aus dem Osten heran, und zu jedem gehört ein eigener
'Straßenzug, dem der Blick vom Platz aus folgen kann. Diese
Straßen graben sich immer tiefer ins graue Elend hinein, das
sie zuletzt verschlingt. An der Stelle, von der sie ausstrahlen,, ist
ein Stück Vergangenheit übrig geblieben, ein Kleinst adt-
Jdyll. Es setzt sich aus ein paar niedrigen alten Häusern zu
sammen, die eine grellrote Backsteinkirche umgeben. Je näher man
der Gruppe kommt, desto mehr entschwindet die Großstadt; bis
man sich am Ende auf einem abgelegenen Plätzchen befindet, zu
dem kein Laut von der Welt dringt. Mitten im Alexanderplatz
Gebiet, ist man Stunden weit von ihm fort, irgendwo in der
Mark. Eines der Häuschen hat einen Biedermeier-Giebel, und
die Kirche, die unzählige Backsteine verschlungen hat, ist Zweifellos
der Stolz der Gemeinde. Dlan sieht sie vom Plätzchen aus nur bis
zur Hüfte, so hoch wächst sie über die Dächer hinan. Ihre Ehöre
runden sich üppig, ihre Backsteine bringen kunstvolle Ornamente zu
stande. Hier, zwischen den Kirchenmauern und den Häuschen,
wäre der geeignete Ort für einen malerischen Tümpel mit Enten
und Weiden. Nach der Rückkehr ins Leben, die höchstens eine
Minute währt, vergißt man sofort das stille Revier. Die Unter
grundbahn rauscht durchs Bewußtsein, die tausend Geräusche des
Platzes sind viel zu gegenwärtig, um Erinnerungen aufkommen
zu lassen. Und erblickte man nicht aus der Ferne vie Kirche, so
glaubte man das an sie geschmiegte Gewinkel flüchtig geträumt
zu haben.
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äer eigenen 2sit, äie ekrlürsktiAe Ledau auk äen
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tkroxoleKseKe LeL M idrsm Maüstad
kommt, äis MnäunZ-M in unssrsm Llut Wirksn-
äsn Aöttlieken Lräkte und seklieüliek äsr ^ille 2um
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staatliedsn Ordnung von Wirtsekaktlieken Zisternen
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Dritter Humanismus nennt, ist kaktised niedts M-
äeres als ein einLiZes Lemüdsn, äie nationalistisede
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nisdt Askesen dat. Latte er sie Aelesev, so konnte
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äruekskormen unseres Seins..." und damit ^irt-
sedakt unä Deednik erlsäiZt sein lassen' oäer sied
im L!amuk ZsAen den Didsralismüs unä ZoLialismus
Aeraäs z'ensr ^rAUMsnte deäienen, äie LvuikeHos'äis
ältesten Daäsndütsr sinä. Lr Zreikt äas Lrinriip äer
AröütmöAlisden KVoddadrt mit äer LeZrunäunZ an,
äaü „seine LrküllunA die AeistiAs vüe uirtsedakt-
lisds ^Velt in eine unikorme LsdrederZartenkultur
verhandeln Würde", er masdt Lront „AeZen den alles
Ledv erAeWiedt in den soLialen Lortsedritt oder ein
so^ialistisedes LroZramm versediedenden Materialis
mus, äsr die mensedlicden, rsliZiösen unä Volk-
daktsn Ludstanösn Lsrsetxt.. ." Zollte man Wirtzlied
äiesem nsudumanistissdsn Lolemiker noed erläutern
müssen, äaü äsr von idm Zemeinte ^srset^unZsxro-
26Ü nisdt die Zedulä äes Materialismus ist, sondern
anderen, dösdst konkreten Ilrsaeden entspringt und
erst de^ A^torisliMrus emportrerdtk led
äsn Zeürlktsn von D 0 tL A r LsIdinF und Laus Raum an
Von 8. Krakauer.
L rsAt sish Wisäsr in äsn Askttästsn
MäkäKv. Oh ss allerdings Wirkliek IsksüdiA ist, vttä /
skk Koek ssigen. l^ickt Ssl^ äsr Lklskti/ä^ j l) 0 <
Mus, daü sr in äis 2sit sinxngrsiksn vsrinögs, und
mansks lässn Linäiliäsr Lat nur läsologisn.