das Transparent des Gegenstandes aber wird von dem Kunst
werk vermittelt. Es gleicht darin einem Zanderfpiegel, der
den ihn befragenden Mensche« nicht zurÄSwirft, wie er
erscheint, sondern wie er zu sein wünscht oder von Grund auf
ist. Auch das Kunstwerk zerfällt in der Zeit; dich aus ftkmn
zerbröckelten Elementen steigt das mit ihm Gemeinte auf,
während die Photographie dis Elements verstaut.
Dir in die zweite HAfts des vorigen Jahrhunderts West«
wurde das LichMIdverfahre« häufig von früheren Malen:
aus geübt. Der nicht durchaus entpersönlichten Technik jener
Uebergangszeit entsprach eine räunckiche Umwelt, i« der
noch Bedeutungsspuren stch verfangen mochten. Mit der M-
nehmenden Ablösung der Technik und dem gleichzeitigen Aus
zug der Bedeutlmg aus den Gegenständen verliert die künst
lerische Photographie ihr Recht; sie gedeiht nicht
zum Kunstwerk, sondern zu seiner Imitation. Kinderbilder
find Zunwuschs, bei LaudschaftS-Jmpvssstonen hatMonet Pate
gestanden. Die Arrangements, die über die geschickte A«-
lehnung an bekannte Manieren nicht hinausweiftn, verfehlen
genau die Darstellung des Naturrestes, die der entwickelten
Technik in gewissem Umfange möglich wäre. Modern« Maler
haben ihre Bilder aus Photographischen Fragmenten zusam
mengesetzt, um das Nebeneinander verdinglichter Erscheinun
gen zu unterstreichen, die in den räumlichen Relationen auf
gehen. Dieser künstlerischen Absicht widerstrebtet die der künst
lerische« Photographie. Sie arbeitet nicht den der photo
graphische« Technik zugeordneten Gegenstand heraus, sondern
möchte das technische Wesen stilvoll umkleiden. Der künstlerische
Photograph ist ein dilettantischer Künstler, der eine Kunstweise
unter Abzug ihres Gehaltes nachahmt, statt das Gehaltlose
zw treffen. So will auch die rhythmische Gymnastik die Seele
einbeziehen, von der sie nichts weiß. Sie stinimt mit der
künstlerischen Photographie darin übereil«, daß sie das ge
hobene LÄsn zu beschlagnahmen trachtet, um ein Verfahren
zu heben, das am gehobensten ist, wenn es feiner Technik den
Gegenstand findet. Dis Photographierkünstler wirke« in«
Sinns jener sozialen Mächte, die an dem Schein des Geistige»
interessiert sind, weil sie den wirklichen Geist fürchten; er
könnte den Untergrund sprengen, dem der Schein als Ver
klärung dient. Es verlohnte der Müh«, di« engen Beziehun
gen zwischen der bestehenden Gesellschaftsordnung und der
künstlerischen Photographie aufzuL-eSen.
Die FßoLsgrapßie
Von Siegfried Kraearrer*
(Fortsetzung und Schluß,)
niedergelegt. Unter der Photographie eines Mensche« ist seine
Geschichte wie unter einer Schneedecke vergraben,
M,
Bei der Beschreibung einer ihm von Goethe vsrgÄegten
Rubensschen Landschaft'bemerkt Eckermann zu seiner Ueber-
Vaschung, daß das Licht auf ihr vrm zwei entgegengesetzten
Seiten komme, »welches aber ja gegen alle Natur ist". Goethe
antwortet ihm: »Das P es, wodurch Rubens sich groß er
weist, und an den Tag legt, daß er mit freiem Geiste über
der Natur steht und sie seinen höheren Zwecken gemäß traktiert.
Das doppelte Licht ist allerdings gewÄtsam, und Sie können
immerhin sagen, es sei gegen dis Natur. Mein wenn es gegen
die Natur ist, so sage ich zugleich, es fei höher als die
Natur, so sage ich, es sei der kühne Griff des Meisters, wo
durch er auf geniale Weise an den Tag legt, daß die Kunst
der natürlichen Notwendigkeit nicht durchaus unterworfen
ist, sondern ihre eigenen Gesetze hat? — Ein Porträt ist,
der stch durchaus der »natürlichen Notwendigkeit" unterwürfe,
schüft bestenfalls Photographien. In einer bestimmten Epoche,
die mit der Renaiffanos begonnen hat und jetzt vielleicht ihrem
Ende sich zuneigt, hält sich das »Kunstwerk" gewiß an sie
Natur, deren Sondersetn sich während dieser Epoche mehr und
mehr eröffnet; aber durch die Natur hindurch richtet es sich
auf »höhere Zwecke". Es ist Erkenntnis im Material der
Farben und Konturen, und je größer es ist, desto,mehr nähert
es sich der Transparenz des letzten Gedächtnisbildes an, in
dem stch die Züge der .Geschichte" zufammenschließen. Ein
von Trübner porträtierter Warm bat den Künstler, der Run
zeln und Falten auf seinem Gesicht nicht zu vergessen. Lrubner
deutete zum Fenster hinaus und sagte: »Da drübe wohnt a
Photograph. Wenn Sie Rmrzeln und Falten haben wolle, vo
müssen Sie den komme lassen, der machts Jhns alle rein; i
mal Geschichte..." Damit die Geschichte sich darstelle, muß
der bloße Oberflächenzusammenhang zerstört werde«, den die
Photographie bietet. Denn in dem Kunstwerk wird dis Be
deutung des Gegenstandes zur Raumerscheinung, während m
der Photographie die Raumerscheinung eines Gegenstandes
seine Bedeutung ist. Beide Raumerscheinungon: die »natür
liche" und die des erkannten Gegenstands, decken sich nicht.
Andern das Kunstwerk jene um dieser willen aufhebi, verneint
es zugleich die von der Photographie erziüts A e h n li chk e i t.
Sie bezieht sich auf das Aussehen des Gegenstands, das nicht,
ohne weiteres verrät, wir er der ErkemckriK sich seist: allein'
Die Photographie bewahrt nicht die transparenten Züge
eines Gegenstandes, sondern nimmt ihn von beliebigen Stand
orten als räumliches Kontmuum aus. Das letzte Gedächtnis
bild überdauert seiner Unvergeßlichkeit wegen die Zeit; die
Photographie, die es nicht weint und faßt, muß wesentlich
dem Zeitpunkt ihrer Entstehung zugeordnet sein. „Das Wesen
des Films ist Lis zu einem gewissen Grade das Wesen der
Zeit/ bemerkt E. A. Dupont in seinem Filmbuch von dem
Durchschnittsfilm, dessen Thema die phoLographierLare nor
male Umwelt ist (zitiert nach Rudolf Harms: „Philosophie
des Filnls"). Ist aber die Photographie eine Funktion
derfließenden Zeit, so wird ihre sachliche Bedeutung
sich ändern, je nachdem sie dem Bereich der Gegenwart oder
irgend einer Phase der Vergangenheit angehört.
Die aktuelle Photographie, die eine dem g e g e n w Lr ti-
gen Bewußtsein vertraute Erscheinung aLLildet, gewährt in
begrenztem Umfang dem Leben des Originals Einlaß. Sie
verzeichnet jeweils eine Aeußerlichkeit, die zur Zeit ihrer
Herrschaft ein so allgemein verständliches Ausdrucksmittel ist
wie die Sprache. Der Zeitgenosse glaubt auf der Photo
graphie die Filmdiva selber zu erblicken; nicht ihre Ponnh-
Frisur nur oder die Pose ihres Kopfes. Aus der Photographie
allein vermochte er sie freilich nicht zu ermessen. Aber die
Diva weilt Zum Glück unter den Lebenden, und die Titelseite
der Illustrierten erfüllt die Aufgabe, an ihre leibhafte Wirk
lichkeit zu erinnern. Das heißt: die gegenwärtige Photo
graphie leistet VermiLLlerdienste, sie ist ein optisches Zeichen
für die Diva, deren Erkenntnis es gilt. Ob ihr entscheidender
Zug die Dämonie sei, darf am Ende bezweifelt werden. Auch
die Dämonie indessen ist weniger eine Mitteilung der Photo
graphie als der Eindruck der Kinobesucher, die das Original
auf der Leimvand erfahren. Sie erkennen es als die Dar
stellung des Dämonischen an, gut denn. Nicht wegen seiner
Ähnlichkeit, sondern trotz seiner Ähnlichkeit denunziert
das Bild die Dämonie. Sie gehört einstweilen dem noch
schwankenden Gedächtnisbild der Diva an, auf das sich die
photographische Ähnlichkeit nicht bezieht. Das aus der An-
schmmng unserer gefeierten Diva geschöpfte Gedächtmsbild
aber bracht durch die Wand der Ähnlichkeit in die Photo
graphie herein und verleiht ihr so einige Transparenz.
Verjährt die Photographie, so ist der Unmittelbare Bdg
i auf das Original nicht mehr möglich. Der Körper eines Ge
storbenen erscheint kleiner als seine lebendige Gestalt. Auch
die alte Photographie gibt fich als die Verkleinerung der
gegenwärtigen. Das Leben ist aus ihr gewichen, dessen Raum
erscheinung die bloße räumliche Konfiguration überdeckte. Um
gekehrt wie die Photographien verhalten sich die Gedächtnis
bilder, die sich zu dem Monogramm des erinnerten Lebens
vergrößern. Die Photographie ist der aus dem Monogramm
herabgesunkene Bodensatz, und von Jahr zu Jahr verringert
sich ihr Zeichenwert. Der Wahrheitsgehalt des Originals
bleibt in seiner Geschichte zurück; die Photographie faßt den
Restbestand, den die Geschichte abgeschieden hat.
Wenn die Großmutter auf der Photographie nicht mehr
anzutresfen ist, muß das dem Familienalbum entnommene
Bild in seine Einzelheiten zerfallen. Von der Ponny-Frisur
der Diva kann der Blick zu ihrer Dämonie wandern; aus dem
Nichts der Großmutter wird er in die Chignons zurück
gebannt, die Modedetails halten ihn bei sich fest. Der Zett-
gebundenheit der Photographie entspricht genau die der
Mode. Da sie keinen anderen Sinn als den der gegen
wärtigen menschlichen Hülle hat, ist die moderne durchscheinend
und die alte verlassen. Das um die Taille eng geschnürte Kleid
ragt auf der Photographie in unsere Zeit hinein wie ein
Herrschastsgebäude aus früheren Tagen, das der Zerstörung
preisgegeben wird, weil das Zentrum in einen anderen
i Stadtteil verlegt worden ist. In solchen Gebäuden nisten sich
i gewöhnlich Angehörige der unteren Klassen ein. Die Schön
heit der Ruine, erlangt erst die ganz alte Tracht, die jede
Fühlung mit der Gegenwart verloren hat. Das vor kurzer
Frist getragene Kostüm wirkt komisch. Die Enkel sind über
die großmütterliche Krinoline von 1864 belustigt, die den Ge
danken austommen läßt, daß moderne Mädchenbeine in ihr
verschwänden. Das jüngst Vergangene, das Leben bean
sprucht, ist abgelebter als das vor langem Gewesene, dessen
Bedeutung sich gewandelt hat. Die Komik der Krinoline
erklärt sich aus der Machtlosigkeit ihres Anspruchs. Auf der
Photographie wird das Kostüm der Großmutter als ein ab
geworfener Rest erkannt, der sich fortbchaupten möchte. Es
geht in der Summe seiner Einzelheiten auf wie eine Leiche
imd gebärdet sich groß, als sei Lehen in ihm. Auch die Land
schaft und jede andere Gegenständlichkeit ist auf der alten
Photographie ein Kostüm. Denn was im Bild erhalten wird,
sind nicht die Züge, die das freigesetzte Bewußtsein meint.
Die Darstellung trifft Zusammenhänge, aus denen es aus
gezogen ist, umfaßt also Bestände, die eingeschrumpft sind,
ohne es zugeben zu wollen. Je mehr das Bewußtsein sich
den natürlichen Bindungen entzieht, desto mehr verringert sich
die Natur. Auf alten Stichen von photsgrsphifcher Treue