Ein Reinhold-Schünzel-Film. Dem Reinhold SchünZel
ergeht es umgekehrt wie seinem Helden in dem Film der Ufa-
Lichsspiele: „Ueb' immer Treu und Redlichkeit": er
kommt immer mehr herunter. Vor Jahren war er ein ausgezeich
neter Darsteller gewisser unsympathischer Berliner Typen. In
zwischen hat ihn der Ehrgeiz befallen, man muß seine Filmgesell
schaft haben, muß zur sympathischen Hauptfigur werden. Furcht
bares ist bei der Emanzipation entstanden. In diesem neuen Film
von eigenen Gnaden (Alfred Schirokauer zeichnet für den Text
mitverantwortlich) spielt er den Karussell-Angestellten Orje Duff,
der den Drang nach höheren Kreisen als denen eines gewöhnlichen
Rummelplatzes bat. Dem kleinen Schstßbudenmädchen bleibt er
natürlich treu, denn sonst wäre er unsympathisch, und das will
Schün-zel jetzt unter keinen Umständen mehr sein. Er schiebt sich
also — teils tumber Tor, teils einfach ein ordinärer Betrüger —
in Berliner Großkaufmannskreise hinein, in denen es laut und hoch
zugekt. Dank einiger Verwechslungen, die komisch sein sollen und
nur grob und verletzend unwahrscheinlich sind, gelingt es ihm, sich
eine Zeitlang für einen anderen auszugeben, als der er ist. (Uebri-
gens sind die höheren Kreist wirklich nicht höher als die von
dem Karuffel beschriebenen auf dem Rummelplatz.) Zum Schluß
zieht er sich mit 10 000 Mark aus der Aifäre und heiratet das
Mädchen. Es muß gesagt sein: diese Berliner Schünzelmache ist
nahezu unerträglich; falsch beobachtet und roh in fast jedem Detail.
Die Zuschauer sind gehalten, die schlechten Eßmanieren des Orje
Duff, oder wie er heißt, über sich ergehen zu lassen, sie können
nicht umhin, ihn im Smoking und Leibriemen zu sehen, und sollen
noch lachen; wo doch kein Berliner, und sei er Karuffellgehilfe,
sich so ausgemacht blöde betragen würde. Was sind das für
Spässe? Welches Publikum wird hier vorausgesetzt? Wann hat die
Albernheit ihre Grenze erreicht? Raca.
in Bildern, sondern auf und durch die Natur geht sein Meinen.
Die europäische Malerei der letzten Jahrhunderte hat in stets
wachsendem Maße eine der symbolischen und allegorischen Be
deutungen entkleidete Natur wiedergegeben. Darum entraten die
von ihr getroffenen menschlichen Züge gewiß nicht der Bedeu
tung. Noch in der Zeit der alten Daguerreothpien ist das
Bewußtsein in die Natur so eingebunden, daß die Gesichter
Gehalte vergegenwärtigen, die von dem natürlichen Leben
nicht abzulössn sind. Da sich die Natur in genauer Ueberein
stimmung mit dem jeweiligen Bewußtseinsstand verändert,
kommt das hedeutungsleere Natmfundament mit der modernen
Photographie herauf. Nicht anders wie die früheren Dar
stellungsarten ist auch diese einer bestimmten Entwicklungs
stufe des praktisch-materiellen Lebens zugeordnet. Der
kapitalistische Produktionsprozeß hat sie aus sich herausgesetzt.
Dieselbe bloße Natur, die auf der Photographie erscheint, lebt
sich in der Realität der von ihm erzeugten Gesellschaft aus.
Es läßt sich durchaus eine der stummen Natur verfallene Ge
sellschaft denken, mit der nichts gemeint ist; wie abstrakt immer
sie schweige. In den illustrierten Zeitungen tauchen ihre Um
risse auf. Hätte sie Bestand, so wäre die Folge der Eman
zipation des Bewußtseins seine Tilgung; die von ihm undurch-
drungene Natur setzte sich an den Tisch, den es verlassen hat.
Hat sie aber nicht Bestand, so ist dem festgesetzten Bewußtsein
eine unvergleichliche Chance gegeben. Mit den Naturbeständen
unvermischt wie nie zuvor, kann es an ihnen seine Gewalt be
wahren. Die Wendung Zur Photographie ist das Vaban -
que-Spiel der Geschichte.
VIII. !
Ist die Großmutter verschwunden, so ist doch die Krino-!
line geblieben. Die Totalität der Photographien ist als das
GeneralinvenLar der nicht weiter reduzierbaren Natur
aufzufassen als der Sammelkatalog sämtlicher im Raum sich
darbietenden Erscheinungen, insofern sie nicht von dem Mono
gramm des Gegenstandes aus konstruiert sind, sondern aus
einer natürlichen Perspektive sich geben, die das Monogramm
nicht trifft. Dem räumlichen Inventar entspricht das zeitliche
des Historismus. Statt die „Geschichte" zu bewahren, die das
Bewußtsein aus der Zeitlichen Folge der Ereignisse abliest,
bucht er die Zeitliche Folge der Ereignisse, deren Verknüpfung
das Transparent der Geschichte nicht enthält. Die. kahle
Selbstanzeige der Raum- und Zeitbestände gehört einer Ge
sellschaftsordnung zu, die sich nach ökonomischen Naturgesetzen
regelt.
Das nüturbesangene Bewußtsein vermag seinen Unter
grund nicht zu erblicken. Es ist die Aufgabe der Photographie,
das noch ungesichtete NatWrfundamenl aufM-
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sied sednt, lsbt an äsr ^ullenseits äsr Dinw. —
Dis DebsrsstLunK ^nna Dolms liest sieb an^enedm.
weisen. Zum ersten Mal in der Geschichte treibt sie die ganze
naturale Hülle heraus, zum ersten Mal vergegenwärtigt sich
durch sie die ToLenwelt in ihrer Unabhängigkeit vom Men
schen. Sie zecht die Städte in Flugbildern, holt die Krabben
und Figuren von den gotischen Kathedralen herunter; alle
räumlichen Konfigurationen werden in ungewohnten Ueber-
schneidungen, die sie aus der menschlichen Nähe entfernen,
dem Hauptarchiv einverleibt. Wenn das Kostüm der Groß
mutter die Beziehung zum Heute verloren hat, wird es nicht
mehr komisch sein, sondern merkwürdig wie ein submariner
Polyp. Eines Tages entweicht der Diva die Dämonie, und
ihre Ponnh-Frisur bleibt neben den Chignons Zurück. So
zerbröckeln di-e Bestände, da sie nicht zusammengehalten
werden. Das Photographische Archiv versammelt im Abbild
die letzten Elemente der dem Gemeinten entfremdeten Natur.
Durch ihre Einmagazinierung wird die Auseinandersetzung
des Bewußtseins mit der Natur gefördert. Wie es stch der
blank herausgetriebemn Mechanik der industrialisierten Ge
sellschaft gegenüber befindet, so auch, dank der photograpischen
Technik, dem Widerschein der von ihm abgeglittenen Realität.
Die entscheidende Auseinandersetzung auf jedem Gebiet herauf
beschworen Zu haben: dies genau ist das Vabanque-Spiel des
Geschichtsprozesses. Die Bilder des in seine Elemente auf
gelösten Naturbestands sind dem Bewußtsein zur freien Ver
fügung überantwortet. Ihre ursprüngliche Anordnung ist da
hin, sie haften nicht mehr in dem räumlichen Zusammenhang,
der sie mit einem Original verband, aus dem das Gedächtnis
bild ausgesondert worden ist. Zielen aber die naturalen
Ueberreste nicht auf das Gsdächtnisbild hin, so ist ihre im
Bild vermittelte Anordnung notwendig ein Provisorium.
Dem Bewußtsein läge also ob, die Vorlaufigkeit aller
gegebenen Konfigurationen nachzuweisen, wenn nicht gar die
Ahnung der richtigen Ordnung des Naturbestands Zu er
wecken. In den Werken Franz Kafkas entledigt stch das frei
gesetzte Bewußtsein dieser Verpflichtung; es zerschlägt die
natürliche Realität und verstellt die Bruchstücke gegeneinander.
Die Unordnung des in der Photographie gespiegelten Abfalls
kann nicht deutlicher klargsstellt werden als durch die Auf
hebung jeder gewohnten Beziehung zwischen den Natur
elementen. Sie umzutreiben ist eine der Möglichkeiten des
Films. Er verwirklicht sie überall dort, wo er Teile und Aus
schnitte zu fremden Gebilden assoziiert. Ist das Durcheinander
der illustrierten Zeitungen Konfusion, so gemahnt-dieses Spiel
mit der zerstückelten Natur an den D^aum, in dem die
Fragmente des TaglebenZ sich verwirren. Das Spiel zeigt
an, daß die gültige Organisation unbekannt ist, nach der die
in das Generalmventar auf^ Reste der Großmutter
und der Filmdiva einst anzutEA haben.
Die Reichte
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