20*
30. Ungleiche Wege.
An einem Frühlingsmorgen stand ein Mann im
Dorfe auf einem Kreuzwege. Der eine Weg führte zur
Schule, der andere nach der Wiese. Da hoͤrte er, wie zwei
Knaben Folgendes mit einander sprachen:
„Guten Tag, Karl!“
Guten Tag, Michel!“
„Wo gehst du hin, Karl?“
In die Schule. I
„Ei was! In der Schule ist es nicht schoͤn, da muss
man sitzen und lernen; draußen auf der Wiese ist's schöner!
Komm mit, wir wollen dort spielen!“ vWW
Am Abend, Michel; jetzt geh' ich lernen. Behüt' dich
Gott!
„Meinetwegen, geh' du in deine Schule, Karl; ich geh'
spielen!“ —
Zwanzig Jahre waren seitdem vorübergegangen, und
die beiden Knaben hatten ihre Wege im Leben gemacht.
Es war ein kalter Wintertag. Da stand derselbe Mann im
Dorfe auf derselben Stelle. Er sah, wie ein blasser, ärmlich
gekleideter Mensch an die Thür des Schulhauses klopfte,
und wie der Lehrer diese öffnete. Darauf hoͤrte er folgendes
Gespräch:
„Guten Tag, lieber Herr!“
Guten Tag, lieber Mann!
„Ach Herr, erbarmt Euch mein!“
Was verlangt Ihr denn von mir?
„Herr, ich bitte Euch um Arbeit. Ich habe nichts zu
essen und kein Obdach. Nehmt mich auf!!“!
Was für Arbeit könnt ihr mir denn leisten?
„Was ein Taglöhner kann; sonst hab' ich nichts
gelernt.“