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in das Loch, das du gemacht hast, und nach einigen
Jahren werden die Gulden schon zum Vorschein kommen.“
Ich setzte den jungen Stamm in die Erde; im
nächsten Frühjahr pfropfte ihn der Nachbar. Das
Bäumchen wuchs und wurde mit der Zeit der grobe,
herrliche Baum, der hier vor euch steht. Die köstlichen
Früchte, die er nun seit vielen Jahren getragen hat,
brachten mir schon weit mehr als hundert Gulden ein.
Ich habe deshalb das Leibsprüchlein des klugen Nachbars
nicht vergessen. Merkt es euch auch:
Im kleinsten Raum pflanz' einen Baum
und pflege sein; er bringt dir's ein.“
Onr. Schmid.
87. Der Kuhhirt.
Ein Knabe weidete ein Rind auf einem Grasplatze
neben einem Garten. Als er nun in die Höhe sah nach
einem Kirschbaum, bemerkte er, dass einige reife Kirschen
darauf waren; die glänzten ihm röthlich entgegen, und es
gelüstete ihn, sie zu pflücken. Er ließ das Thier allein und
kletterte auf den Baum.
Die Kuh aber, da sie den Hirten nicht sah, gieng
davon, brach in den Garten und fraß Blumen und Kräuter
nach ihrem Gelüste.
Als der Knabe solches sah, sprang er in aller Eile
von dem Baume, lief hin und schlug das Rind.
Der Vater hatte das von weitem gesehen. Er eilte
herbei, sah den Knaben ernst und sprach: „Wem gebürt
solche Züchtigung, dir oder dem Thiere? Ein Rind weiß
nicht, was rechts oder links ist. Bist du minder deinem Gelüste
gefolgt als das Thier, welches du leiten solltest? Und
nun übest du ein so unbarmherziges Gericht und vergissest
deiner Vernunft und deines eigenen Vergehens!“
Nach Krummacher.