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Wie's Nacht ist, schläft das Bäumlein ein, und früh
istss aufgewacht; da hat es goldene Blätter fein, das war
eine Pracht! Das Bäumlein spricht: „Nun bin ich stolz,
gold'ne Blätter hat kein Baum im Holz.“ Aber wie es Abend
ward, gieng der Räuber durch den Wald mit großem Sack
und großem Bart, der sieht die gold'nen Blätter bald; er steckt
sie ein, geht eilends fort und lässt das leere Bäumlein dort.
Das Bäumlein spricht mit Grämen: „Die gold'nen
Blätter dauern mich; ich muss vor den andern mich schämen,
sie tragen so schönes Laub an sich; dürft' ich mir wünschen
noch etwas, so wünscht' ich mir Blätter von hellem Glas.“
Da schlief das Bäumlein wieder ein, und früh ist's wieder
aufgewacht; da hatt' es gläserne Blätter fein, das war eine
Pracht! Das Bäumlein spricht: „Nun bin ich froh, kein Baum
im Walde glitzert so.“ Da kam ein großer Wirbelwind mit
einem argen Wetter, der fährt durch alle Bäume geschwind
und kommt an die gläsernen Blätter; da lagen die Blätter
von Glase zerbrochen in dem Grase.
Das Bäumlein spricht mit Trauern: „Mein Glas liegt
in dem Staub, die andern Bäume dauern mit ihrem grünen
Laub. Wenn ich mir noch was wünschen soll, wünsch' ich
mir grüne Blätter wohl.“ Da schlief das Bäumlein wieder
ein, und wieder früh ist's aufgewacht; da hat es grüne
Blaͤtter fein. Das Bäumlein lacht und spricht: „Nun hab'
ich doch Blätter auch, dass ich mich nicht zu schäͤmen brauch'.“
Da kommt mit vollem Euter die alte Geiß gesprungen, sie
sfucht sich Gras und Kräuter für ihre Jungen; sie sieht
—D0 fristt es ab mit Stumpf
und Stiel.
Da war das Bäumlein wieder leer, es sprach nun
zu sich selber: „Ich begehre nun keine Blaͤtter mehr,
deder gruͤner, noch rother, noch gelber. Hätt' ich nur meine
Lesebuch in v Theilen. M. 6