NaLurwissenschaft allererst erarbeitet hat. Eine solche „Phäno-
wenologischL" Betrachtungsweise mag, mit Vorsicht gebraucht,
immerhin einigen pädagogischen Wert besitzen; schleierhaft aber
bleibt, wie ste Zu neuen Erkenntnissen verhelfen soll, Zumal
dann, wenn sie so dilettantisch gehandhabt wird, wie das in
DarmstM Zumeist der Fall war. In der Wissenschaft war es
bislang nicht gebräuchlich, neue Methoden propagandistisch au-
Zupreften, für die nicht zugleich der Beweis vollgültiger Bewäh
rung erbracht werden konnte; die anthroposophische Bewegung
darf es M als das zweifelhafte Verdienst annchnen, mit dieser
seither geübten Zurückhaltung gebrochen zu haben.
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ft Leicht liehen stch die Beispiele für anthroposophische „Wissen-
schaftlichkeit" noch vermehren. So wurde etwa eine Ge
schichtsauffassung entwickelt, die sich für jeden nicht
mit Hellsehergaöen ausgestatteten Menschen merkwürdig genug
anhörte. Man vernahm unter anderem —- das alles sind na
türlich nur Fragmente anthroposophischer Gesamterkenntnis —
daß die Aufgabe des ägyptischen Kulturpreises in der Ausbil
dung der Beoöachtungskraft bestand, Griechen und Römern die
Ausbildung des Urteilsvermögens oblag, während die Gegen
wart das begriffliche Denken voll zu entfalten hat. Doch es
wäre wohl kleinlich, bei derartigen Einzelheiten zu verweilen,
da ja schließlich das Verständnis der Geschichte, wie jeder an
deren Wissenschaft auch, auf den in der übersinnlichen Welt ge
pflückten Erkenntnissen beruht. Was hat es mit diesen Er
kenntnissen, die Grund- und Schlußstein des anthroposophischen
Lehrgebäudes sind, nun eigentlich für eine Bewandtnis?
Dr. Steiner selber führte ein wißbegieriges Publikum
in^ die Geheimnisse der „Geisteswissenschaft" ein, deutete den
Pfad an, aus dem wandelnd man einen Einblick in die höheren
Welten erlangt. Manchem Hörer mag er wie ein Zauberer
und Wundermann erschienen sein, als er z. B. sein Wissen um
die Vorgeburten der Menschen verkündete; kritischere Geister
freilich fühlten sich schon rein durch den Aufwand an äußerem
Pathos und die Plattheit der Diktion zurückgeschreät. In
sachlicher Hinsicht bestätigten die Reden duähgehends den Ein
druck, den man bereits aus den Büchern Steiners empfangen
hatte, den Eindruck nämlich, daß dieser moderne Magier Er
kenntnisse als „Wissenschaft" auKgibt, die einfach deshalb nie
und nimmer Wissenschaft genannt werden dürfen, weil ihre
Nichtigkeit stch mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden garnicht
nachweisen läßt. ' Was, ein Geschenk der Gnade, den großen
Heilsbrmgern der Menschheit auf dem Offenbarungsweg zu
teil wurde, will Steiner durch eine bestimmte seelische Technik
unter steter Kontrolle des Bewußtseins zur endgültigen wissen
schaftlichen Erfahrung erheben. Das heißt aber nicht die
Naturwissenschaft überwinden, sondern ste mit einer Hybris
ohnegleichen noch in das Gebiet der übersinnlichen Welt hinein
ftrisetzen, heißt einen Frevel begehen, der jeden ehrfürchtigen
und frommen Menschen verletzen muß. Man darf mit Fug und
Kecht behaupten, daß dieser „Geistesforscher" ein größerer Ma
terialist ist als die Mehrzahl der von ihm bekämpften Denker
und Naturwissenschaftler. In seiner Re-inkarnationslehre
Z-B taucht das biogenetische Gesetz in mythologischem Ge
wände schamhaft verhüllt wieder auf. Und ist es nicht Ma
terialismus, wenn etwa das Denken dem Nervensystem, das
Fühlen dem sogenannten „rhythmischen" System, das Wollen
Sem Stoffwechselsystem zugeordnet wird, wenn einer der Adep
ten den Empirismus I. Stuart Mills auf pathologische Ur
sachen zurücksührt, und ein anderer der Jünger dieses Haeckel
der übersinnlichen Welt die Entwicklung der architektonischen
Stile aus den wechselnden Bedürfnissen und den mit ihnen
jeweilig verbundenen technischen Notwendigkeiten erklärt, d. h.
mit anderen Worten seiner Deutung jene selbe Zweckästhetik zu
Grunde legt, die wir bereits seit langem hinter uns haben?
*
Immer wieder konnte man in Darmstadt die Beobachtung
machen, daß die Anhänger der „anthroposophisch orientierten
Geisteswissenschaft* mit blindem Fanatismus die Lehren
ihres Herrn und Meisters schwören. Die hellseherischen „Er
kenntnisse* sind zum Dogma erstarrt und werden in einerWeise,
die schlechterdinK keinen Widerspruch duldet, scholastisch inter-
i pretiert. Eine Gemeinde hat sich um Steiner gebildet, die seine
' von den verschiedensten Seiten her zusammengetragenen Ideen
als lebendige Einheit erlebt und beflissen ist, ihnen um jeden
Preis Geltung zu verschaffen. Die Gründe für die Entstehung
und das schnelle Anschwellen dieser Bewegung liegen tief. Mit
einem geradezu genialischen Spürsinn hat Steiner die Schäden
unserer Zeit erkannt und ihnen durch das, was er Anthrovo-
opme nennt, beizukommen gesucht. Wie er um das Unheil
weiß, das uns aus der schrankenlosen Hingabe an eine Ich
und Welt entseelende Naturwissenschoft erwachsen ist, so weiß
er auch, daß wir durch immer weiter gehende Abstraktion von
der unmittelbar erfahrenen Wirklichkeit schließlich jedes Ver
hältnis zu der mit unseren Sinnen wahrgenommenen Erschei-
nungsfölle verloren haben. Seine Geisteswissenschaft soll uns
wieder in die konkrete Welt hineinleiten, uns von der Unzu
länglichkeit eines nur formalen Idealismus erlösen, der im
vraktischen Leben nirgends als Richtschnur zu dienen vermag,
und das ganze Dasein rund und voll überwölben. Aus Ge
sprächen mit Steinerianern ging wiederholt hervor, daß der-
arnge in der Regel natürlich unbewußt wirkende Gründe sie
der Änthroposophie zugeführt haben. Metaphysische Bedürf
nisse und religiöse Sehnsucht finden hier eine Scheinbefriedi
gung, und die geschickte Aufmachung der ganzen Bewegung.
tauscht häufig genug darüber hinweg, daß sie imolge ihres <7
trüben Ursprungs eine wirkliche Befreiung aus echten Zeit
nöten gar nicht bringen kann. '
*
Warum doch kann sie solche Befreiung nicht bringen? WeL
sie luNferischem Uebsrmut entstammt, der die Wege der Vor
sehung erforschen will. Man stelle sich wahre Größe im Zerr
bild vor, und man hat Rudolf Steiner und seine Lehre. Schon
mehr als einmal in der Geschichte, zumal in Epochen der Er-
schMerung, sind Geister seiner Art aufgetaucht, die als Wisser
aller Geheimnisse vor die Menge traten und doch mit ihrem
armseligen Menschenverstand weit zurückblieben hinter jenen
einfältigen, gotterfüllten Mystikern, aus deren „nebulose* Phan
tasien Steiner so verächtlich herabsieht. Mr können heute nicht
mehr in alter Weise glauben, so kündet er, und schließt dann
weiter: also müssen wir durch Züchtung höherer Erkenntnis
kräfte den Zugang zu jener übersinnlichen Welt erzwingen, aus
der wir ausgesperrt sind, damit das entsetzliche Vakuum weiche,
in dem wir leben. Aber eben dieser Schluß ist falsch, er beruht
auf einer grauenerregenden Ueberschätzung rein menschlicher
Fähigkeiten und einer völligen Verkennung der eigentlichen
Quellen religiöser Erkenntniskräste. Steiner zieht nun einmal
den Fehlschluß und gelangt, von ihm ausgehend, zur Schaffung
eines Lehrsystrms, das weder Wissenschaft noch Religion ist
und darum auch nicht, wie einer seiner Apologeten meinte, die
Brücke zwischen beiden Bereichen schlagen kann. Ein seltsamer
Zwitter entsteht vielmehr, der bestenfalls im DLmneÄicht eine
Zeit lang fein Dasein zu fristen vermag und mit Goethescher
Raturanschauung sicherlich nicht das mindeste mehr zu tun hat.
Es kennzeichnet das Wesen eines solchen dämonischen Spuk
gebildes, daß es Wahres und Falsches in unlöslicher Mischung,
enthält, daß es anzieht und abschreckt zugleich, daß es die
Seelen zu erhöhen und zu weihen scheint und sie am
Ende doch nur äfft und wie ein Irrlicht in Sümpfe
der Verworrenheit lockt. Beinahe unerträglich war, es,
wie Steiner fortwährend mit annähernd der gleichen
Prophetengeste von der Sphäre banaler Selbstverständ
lichkeiten in heilige Bezirke hinüberglitt, ohne der Schranken
zu achten, die das eine Gebiet vom andern trennen, und wie
er so einen Nebel um seine Hörer ausbreitete, der gerade
jene Besonnenheit und Klarheit verscheuchte, um die es ihm
doch angeblich zu tun ist. Ueberall in der Änthroposophie fin
det man dieses unheilvolle Durcheinander, dies« beständigen
Grenzverwischungen, diese höchst bedenkliche Verengung aller
möglichen Anschauungen zur trügerischen Einheit. Und wie
es sich bei einem derartigen synkretistischen Brei von selber ver
steht, paßt das Eiste nicht zum Andern, und das Gewallte ver
kehrt sich gespenstisch in sein Gegenteil. MystagogischeS Trei
ben verquickt sich mit materialistischen Gedankengängen, und
eine Idee wie die der sozialen Dreigliedevung, die doch das
konkrete Leben umgestalten möchte, erweist sich als abstrakte
Theorie. Wralleib und Aktiengesellschaft: Goethe, auf den sich die
Antbrovosophen immer berufen, hätte sich schwerlich damit ein
verstanden erklärt. Durchweg macht sich der luziferische Charak
ter der GMeswissenschaft bemerkbar, und zu beklagen bleibt
nur. daß viele ehrlich strebende Menschen der Versührungskrast
nicht widerstehen können, die von dieser Phantasmagorie
ausstrahlt.
*
Wer nicht gerade ein Blinder oder ein Hellscher ist, den
müssen die anthroposophischen Leistungen auf dem Gebiete der
Kunst über das wahre Wesen der ganzen „Geisteswissen
schaft* hinlänglich aufllären. In Darmstadt konnte man einen
kurzen Bortrag Steiners über das von ihm geschaffene
G 0 etheanum in Darnach hören und hatte überdies Gele
genheit, das Aeußere und Innere des Baues selber aus einer
Reihe größerer Abbildungen einigermaßen kennen zu lernen.
Nach Steiner selbst stellt das Dornacher Gebäude einen ersten
Versuch dar, auf Grund anthroposophischer Geisteswissenschast
zu einem neuen (organischen) Stil zu gelangen; nichts an ihm
sei bloßes Symbol, alles vielmehr aus Erlebnissen von unmittel
barer Sinnlichkeit heraus geboren. Als ob sich ein neuer Stil
so mir nichts, dir nichts aus dem Boden stampfen ließe!
Der Bau ist in Wahrheft die Karikatur eines Stils und
Stil nur insofern, als in seinem Wahnsinn Methode steckt.
Seine Formen im ganzen und einzelnen sind von dämonischer
Barbarei; die teilweise ungezügelte Wildheit der Ornamentik,
der FensteMldungen usw. erinnert irgendwie an mexikanische
Götzentempel und läßt jedenfalls die schlimmsten Verirrungen
des Jugendstils weit hinter sich. Es klingt wie ein Hohn, daß
dieses Machwerk, das statt tektonischen Feingefühls nur maß
lose Willkür verrät, den Namen Goethes trägt. Letzten Endes
ist es das genaue Spiegelbild anthroposophischer Wissenschaft:
Echtes verzerrt sich in ihm zur Fratze, und das Ganze mutet
wie eine diabolische Wahngestalt an, die vor wirklicher Schön
heit zu Rauch und Dunst zerstieben müßte. — Ueber die Rezita-
tionen Frau Marie Steiners schweigt man höflicherweise am
besten. Sie trug unter anderem eine Szene aus dem Mysterium:
„Die Pforte der Einweihung* von Dr. Steiner vor. Indessen,
so wenig offenbar die Erkenntnis der übersinnlichen Welt zum
Architekten tauglich macht, ebensowenig scheint sie sonderliche
Dichterkräfte zu verleihen. .
*
Auch der Dämon ist ein Werkzeug Gottes. In dem, was
er tut, wirken sich neben den verderblichen Kräften die guten
aus, und es kommt nur daraus an, beide reinlich von einander