Schlußwort.
Von Dr. G, Kraeauer.
RKLrmmruKÄ verbietet mir leider, auf die von Otto Flake
schienen Einwände gegen meine Beurteilung der Lehre des
Grafs» Keyserling so ausführlich M antworten, wie es im Dienste
»Einer Endgültigen Klärung wohl erforderlich wäre. Flakes Auf
fassung unterscheidet sich offenbar von der meinen grundsätzlich
dadurch, daß auch Wake wie Keyserling aus der Wille der
Religionen, Weltanschauungen Usw. den ihnen allen gemein
samen einen ..Sinn", den unzerstörbaren „Grund" herauszu-
schUen und gleichsam zu verselbständigen trachtet, während ich
den »Ginn" nur durch den bestimmten Gehalt hindurch, nur in
dein Gewcnrd einer bestimmten Erscheinungsform ergreifen Zu
körnen meine. Gewiß, der Sinn ist nicht der Gehalt selber,
er ist fenseits, hinter Gehalt und Erscheinung; unsere menschliche
Beschränkung jedoch besteht eben gerade darin, daß wir nicht
Ober /Name und Form" hinweg unmittelbar Zu dem Sinn vor-
Judringen vermögen, sondern den unsagbaren Sinn stets in der
Hülle der Erscheinung empfangen müssen. Vermessenheit wäre
es. wenn wir daß Gefäß fortschleudern wollten, in das gebannt
wenn mäm versucht, nicht nur das Ewige im Erscheinenden festzu
halten, sondern aus dieser Basis den Menschen eine neue Religio
sität, einen Ersatz für die Religionen zu gehen, d. h. die abstrakte
Fixierung des bleibenden Grunds nun wieder in Lehre vom Ver
boten umzusetzen. Die so gewonnene oder zu gewinnende Lehre ist
Nelativitätslebre, indem sie alle „Formen" relativiert — ober sie
ist noch etwas: Lehre von der Distanz gegenüber dem Erscheinen
den, von den Symbolen und Formen, damit aber Zugleich Lehre
von der Selbstbehauptung. Bloßer Relativismus führt
Zur völligen Haltlosigkeit oder der kitschigen ästhetischen (unbetei-^
ligten) Betrachtung des Geschehens.
Hier allerdings muß ich ZugeLen, daß die Straffheit des
Keyserlingschen Denkens erlahmt, es scheint auch mir, daß er das
Zentralproblem: Verhältnis von Anschauung und Tun nicht steht
oder es, vielleicht, umgeht, daher seiner Philosophie das fehlt, was
jede Relaüv'Msphiloft ergänzend geben muß: Lehre von den
Impulsen, Ungebrochenheit des Willens trotz der (lähmenden)
Erkenntnis seines Gegensatzes zum Absoluten oder Seienden. An
diesem Punkt also müßte die Relativitätslehre in Lehre vom
Heroischen übergehen, sei es um den Preis des Zynischen oder
sonst eines Irrationalen — Keyserling bleibt die Aussage über das
Irrationale schuldig.
Insofern Dr. Kraeauer diese Mangel fühlt, ist seine knirsche
Haltung Keyserling gegenüber berechtigt. Er durfte aber nicht über
sehen, daß Keyserlings Versuch, auf Grund der Lehre vom bleiben
den Sinn ein neues Verhalten zu den Formen ab^ulerien, bereits
ein Schritt in Neuland ist. Wenn Keyserling philosophisch gut fun-
damputierte, würde er hier eine Lehre vom Widerstand Aefern — des
Widerstandes des Menschen mit Ach entwickelter Intelligenz gegen
das Abrollen des Geschehens und die ewige Variation der Formen.
Immerhin gibt er, zwar kein Mei«Physiker, aber ein starker Mk-
tisch« Philosoph (w«s auch etwas ist), die Anweisungen Ar end
lich einmal nicht aus dogmatischer Moral, sondern aus Anschmmnz
kommender Menschlichkeit. Ich finde die Ironien KracaE
hier unangebracht. Wenn die Keyserlingschen Leyvm auch .
Milde verdächtig sein Mögen, man muß ihre Reinheit und RemUch-
keit sehen. Hier ist wirkliche Lehrbarkeit, vorsichtige Führung, drr
vor die Weisheit, die leicht auch ein Kitschbegriff wird sie
rügung setzt — in einem indischen Sinn. Wenn irgendwo, dann
wird hier der Aristokrafismus KeyseMnO positiv und Produkts,
MM darf ihm nicht mit RessenLnMü nahen.
Ich fühle, und damit kmmne ich zu einer n«n KmrAmr, s:e
ich an Krecauers Darstellung vornehmen möchte — ch fühle der
Kraeauer ein bestimmtes Ressentiment. Natürlich kein niederes,
aber dasjenige eines fixierten Glaubens, vermutlich sozialer Arr.
Kraeauer sagt: die Erreichung eines tieferen Seinsmveaus
(lr^: Vordringen Zum bleibenden Sinn) besage solange nichts,
als man von Inhalt absieht, der auf dieser Seinsstufe verwirklicht
werden soll. Ich glaube gezeigt zu haben, daß es sich ber
Keyserling um den gewiß nicht energisch genug empfundenen
Versuch handelt, eine religiöse Sphäre zu öffnen, m der es
vollkommen gleich ist, ob einer in der tätigen Sphäre Bolsche-
chist oder Konservativer ist, vorausgesetzt, datz er erkennt, oaß
diese Wertungen auf die praktische Sphäre beschrankt sind.
Will Kraeauer wirklich sagen, daß der Glaubensinhalt den
Sinn liefere? Dann ist er Dogmatist und muß sich gefallen
lassen, datz ein Philosoph ihm erwidert, der Wert des, sagen wir,,
spinozisttschen Denkens bestehe darin, Gott von moralischen
Attributen befreit zu haben — hier fange erst Philosophie an.
Die Lehre von den Wertungen, von den ethischen, politischen,
gesellschaftlichen Dogmen, von der besten Form, in ser Staat,
Kirche u. s. w. verwirklicht werden sollen'(sollen: DogmaLismush
gehört in den Teil, den Keyserling schuldig bleibt. Wie kann
man trotz des Vordringens in eine Sphäre, in der das Treiben
der Welt nicht gilt, brauchbar für diese Welt bleiben? Oder:
wie kann man in zwei Sphären leben? Indem man die eine,
die religiöse, als Zuflucht betrachtet, in der anderen Tätiger
unter Tätigen ist. Das wäre die allgemeinste Antwort, sie steht
nicht bei Keyserling, Kraeauer hat den richtigen Instinkt.
Jedoch: es genügt nicht, Keyserling, der das Unglück hat,
Graf zu sein, als Ende einer sterbenden Kultur zu betrachten.
Er ist mehr, er ist UeLergang, zum mindesten, und ich, für meine
Person, habe das Mißtrauen gegen Etiketten, die zu nahe liegen,
als datz man sie schon in Beginn einer Leistung aufklebt. Mau
muß sbwarten, was die Schule der Weisheit hervorLrmgl, man
muß sie studieren. Ich entnehme gerade den Angaben Kraeauers,
daß es verfrüht ist, die Darmstädter Schule als ein Kränzchen
vsR blassen Aristokraten anzusehen: die Schule öffnet sich
lichen Bevölkerung ^schichten", sie ist also kein Konventike! mit
Festessen und HofHeaLerabenden: man tut also besser, ein. Saldo
zu ziehen als ein Horoskop zu stellen.
*
in die LnZerste Peripherie der Realität, verkrustet nur in solcher
Schale. Darinnen doch etwas blieb: weicher sentimentaler Kern,
kleines, süchtiges Seelchen, neidvoll hinüberlugend nach jenen
Gefilden, in denen — nun ja. l
Dann eröffneten Sie diese „Schule der Weisheit". Wieder mit
viel — Realismus, wie? Diese Kunde setzte Beklemmung. Denn
wie GefüMinhalte (Weisheit saaen Sie) formulieren in ein
System? Mehr: zu einem Lehrstoff. Für eine Schule. Da in
Klassenzimmer Herzblut verspritzt. Seele, zu Extraktwürfeln kom
primiert, dem schaudernden Schmer teelöffelweis eingegeben!
Wir waren alle sehr erschrocken, man muß es gestehen, und nun
Sie Ihren Vortrag ankündeten vor vierzehn Tagen: Programm,
'Wille, Weg und Ziel, hielten wir den Atem an und —
> Also Sie geben gar kein System Das ist immerhin einfach.
System des Systemlosen. Erlenntnisinhalte als solche wertlos.
Wesentlich nur Bedeutungsinhalt des Seins. Persönlich-Seelisches.
Sinneserfassung lebendig jenseits gefrorener Form. „Schlechthinnige
f!) Selbstbestimmung des Einzelnen". InOividualpsycho^
Einzelbehandlung. Kurz: Psychoanalyse.
Dazu der Lärm? Ein Seelensanatorium? Dieser Bankrott
erklärung philosophischer Inhalts bedurfte es einer Schule? Deren
Wr's^t S'-mund Freud in Wien und die Schweizer um Jung
um) Adler schon seit über simm Dezennium gelehrt?
DSr C'e machen einen Unterschied: nicht seelisch Krmcke wol-
km S'e behandeln, sondern — jeden. Zurückfuhren von der seeli
schen Schichtungen Oberfläche zum Zentrum der Persönlichkeit. W-
Lau des Unbewußten. Lransparentmachung der Dunkelheiten im
Innern und damit — Schaffung einer neuen Kultur? Wirklich?
Das eben ist die Frage, und da es ja darauf nur Ihnen ankam,
.scheint Sinn Ihrer Weisheitsschule damit überhaupt in Fragte ge
stellt. Sicher jedenfalls, daß großer LeiNion uns Analytikern tiefste
! Skepsis bewahren wird, nicht weil vielleicht zu zweifeln an
Qualitäten Ihrer Person (obwohl psychoanalytische Methode syste
matisch erlernt sein will und die berüchtigten Stegreifanalysen nach
den von 'Freud veröffentlichten und auch von uns gemachten Er
fahrungen nicht unbedenklich), sondern weil richtige Indikation
hier alles und Analyse an Gesunden Möglichkeit von Gefahren nicht
ausschließt, die beim Kranken durch Auslöschung seiner Symptome
und die dadurch gewonnene soziale Steigerung und Brauchbar-
machung mehr als paralysiert werden. Diese Gefahr ist die Ueber-
klarheit, die Prodrcktwes lahmt, jene dunklen schöpferischen Triebe
mit ihrer Wurzel ans Tageslicht reißt und damit ihre Stoßkraft
unterbindet. Ist diesO nebensächlich, leugnen Sie Existentsein einer
Gssamtkultur und ihres Sinnes schlechthin, verlegen also den
Schwerpunkt ins ausschließlich Persönlich-Psychologische, so ist
damit die völlige Sterilität Ihrer Schüler von vornherein fixiert
und die edle Ruhe und Stille Ihrer Philosophenschule — die des
Friedhofs.
Sprechen wir es aus: Sie wollten Klein-Jndien in Darmstadt
schaffen. Buddhalehre. Versenkung in sich selbst. Aber Sie, ein
Europäer, tmWponierten es inZ Europäische: buddhistische MysA
in intellektuelle Psychologie. Und da sind Ihre Grenzen.
O
Zum Thema: Schule der Weisheit.
Von Otto Flaks.
Indem ich vorausfchicke, daß ich Keyserling weder persönlich
noch brieflich kenne, also kein anderes als ein sachliches Interesse
an seinen Ideen habe, bitte ich um die Erlaubnis, einige Bemer
kungen über den Bericht machen zu dürfen, den Dr. S. Kraeauer
in Nr. 742 der „Frankfurter Zeitung" den jüngsten Verträgen des
Grafen auf der Darmstädter Schule der Weisheit widmet.
Dr. Kraeauer nennt das, was Keyserling als den „Sinn"
bezeichnet, einen höchst unfaßlichen Begriff. Wer das Urteil des
denkenden wie des einfachen Menschen wird in dieser Frage Key
serling Recht geben: der Sinn ist ein leicht verständlicher Begriff,
auf den nicht etwa nur der Philosoph, sondern schon jeder irgend
wie religiös interessierte Mensch stößt. Der Sinn ist der Grund,
den man hinter dem Erscheinenden sucht, und sekundär das Ver
hältnis des Menschen zu diesem Grund.
Glaubt man nicht nur, daß dieser Grund die Erscheinungen in
die Existenz setzt, sondern auch dafür sorge, daß sie ihm auf die
rechte Weise dienen und ihm so die Ehre erweisen, dann ergibt
sich die stets moralisch LseigenschafLete Idee Gott: Gott, liegt
außerhalb der Welt des Dinge und ist ihr Sinn. Unterdrückt man
die, mmrM'chem MtriLuLe oder setzt gar Gsft mit der „Substanz"
gleich, so identifiziert man Grund und Erscheinung und erlangt
so den Ginn, der die Feststellung der Identität wäre.
Wir denken heute alle so, spinozistifch Ein Etwas ist da, die
Welt ist da, das Etwas manifestiert sich als Erscheinung, als
Form. Die Formen sind Variationen des Daseienden, des
Seienden. Hier nun fetzt Keyserlings Denken ein: alle Religio
nen, alle wissenschaftlichen Systeme, alle Weltanschauungen ver
sagten und versagen, eines aber ist ihnen gemeinsam, daS UnM-
störbare, Unleugbare; der Grund und, sobald der DLensch ihn
sucht, der Sinn. Dieser Kern des Religiösen — warum kann er
nicht im Wechsel der Religionen gerettet und mehr, als neue Reli
giosität gelehrt werden? Diese neue Religiosität würde heißen:
die (sinnsuchende) Relation der Kreatur zum Grund, oder das
ewige Verhältnis.
Relation und Verhältnis sind nahezu mathematische, nahezu
abstrakte Begriffe. Es ist aber etwas anderes, ob ich Abstracto an
Stelle von erlebten Symbolen und leberGer Symbolschaffung setze,
oder ob ich kraft meines lebenden Gefühls bis zur
Abstraktion vordringe. In diesem Fall wird das AbstracLum tiefste
Erkenntnis, die unmittelbar von der inneren Struktur der Dinge
ausragt.
In dieser KoiMption nun sehe ich wenigstens die absolut
starke, einwandfreie, respektheischende Leistung Keyserlings und
darf sagen, daß mir Dr. Kraeauer trotz seiner vorzüglichen Dar
stellung des Keyserlingschen Gedankengangs den Mmnftbildenden
Wert seiner Leistung nicht fühlt.
Denn es bedeutet eine neue Periode des europäischen Denkens,