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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Prozeß verwickelt wie ich, wir 
und kommen dadurch gemeinsam 
ringen leibhaftig miteinander 
vom Fleck. 
Der Höhepunkt dieses 
erreicht, wenn die Gestalten, 
waren, mit ihrem Sein nun 
Bund zweier in polarem Gegensatz befindlichen Gefüllten ver 
danken, bezeugt nur nochmals nachdrücklich ihr Jn-BezichunH- 
Stehen zu dem Wesen, zu dem gemehrten Wesen ür mit 
einander Verbündeten. 
durchwandert man nun die Welt der Menschen und Dinge, l 
verweilt beruhigt hier und dort, und alle Urteile entspringen 
jenem dritten, erweiterten Sein, auf das die Beiden den glei 
chen Rechtsanspruch haben- Ein stetes An-und Abschwel 
len ist so das Gespräch: ein Anschwellen, das kein Ende hat, 
weil das definitive Verhältnis zum Absoluten sich im Dialog 
ja überhaupt nicht erzielen läßt, und ein Abschwellen, das 
ebenfalls, kein Ende hat, weil die Beiden als Gestalten sich 
immer wieder unter die Gestaltungen der Welt mischen müssen, 
und das Verharren im Gestalteten ihnen immer wieder zum 
auälenden Stachel für ihr Emporsteigen Wer jedwede vorläufige 
Begrenztheit wird. 
Und nun das Letzte noch, das dieses Gespräch vor allen 
anderen Gesprächen auszeichnet, ihm eine wundersame Färbung 
verleihend, die selbst das flüchtigste Wort zart grundiert. Trotz 
des gemeinsamen Wandels im Existentiellen kommt es doch 
nicht, zur völligen Verschmelzung der beiden Wesen, etwas Un 
gelöstes, Unvereinbares bleibt zwischen ihnen aufgerichtet: 
Kennzeichen der Bedingtheit, in der Beide vor dem Absoluten 
' rhen. Drohend starrt dieses Trennende noch in ihre Ver 
bundenheit hinein und schwände wohl erst am Ende, wenn der 
Eingang in das Absolute wirklich vollzogen wäre. Lieb« 
allein vermag zu Überdrücken, was so in de- Gestalt geschieden 
Gesprächs, die Zeugung, ist 
die polar auseinander getrMn 
so zusammenklingen, daß gleich 
sam ein neues Sein heranreift, das beider Sein umfaßt und 
in sich hegt, und wenn aus Hm, dem neuen Sein, dann Ein 
sichten erblühen, die keiner vorher so hätte empfangen können. 
Daß die so gewonnenen Einsichten ihr Dasein dem realen 
liest; der Mensch aber, mit dem ich in Wirklichkeit rode, wird 
in den gleichen existentiellen 
in irgend ein-er Beziehung zu dem Wesen des Menschen steht, 
und daß dieses Wesen, das als konkretes Wesen ja mannigfach 
bedingt ist, das verschleierte Bild zu Sais vielleicht nicht zu 
entschleiern vermag. 
Der Punkt, an dem die Leiden Wißbegierigen inne werden, 
daß es sich bei der Suche nach der Wahrheit nicht um einen 
Feldzug der bloßen Erkenntnis, um die exakte Auflösung einer 
mathematischen Gleichung handelt, ist ein ausgezeichneter Punkt 
der Gesprächskurve. Hier angelangt, prallt das Gespräch wie 
an einer unsichtbaren Mauer zurück und seine gradlinige 
Wetterführung wird unmöglich, denn die Beiden entdecken 
einander jetzt als Gestalt, als konkrete Wesen von eigen 
tümlicher Beschaffenheit — vorausgesetzt, daß sie nicht, an 
ihrem ursprünglichen Vorhaben verzweifelnd, in das Bloß 
Seiende Her-abstürzen und fortan nur den unwesentlichen 
Dingen sich zmnenden. 
Mer bist Du eigentlich, mit dem ich da rede?" das 
ist die Frage, die sich immer drängender ihrer bemächtigt. 
Wäre der erste Gesechtsgang des Gesprächs nicht (notwendig) 
remis geblieben, es hätte dieser Kehrtwendung nicht bedurft; 
so aber muß schon, soll das Gespräch nicht überhaupt abbrechen, 
die früher unbeachtete Gestalt selber in das Blickfeld treten und 
zum Gegenstand der Reflexion werden. Man tastet sich ab und 
bMäht M M MdeMMen Seins gründe aufzuschürftn, um 
die Quelle jenes unlöslichen Widerpruchs der Ueberzeugun 
gen freizulegen, denen man vorher als naiver Bekenner oder 
ohnmächtiger Neinsager gegenübersiand. Indem man sich der 
art als schlechterdings unüberwindliche Gestalt erfährt, alch 
Wesen, das da ist und nicht einfach beiseite geschoben werden 
kann, lernt man zugleich begreifen, daß die letzten Gewißheiten 
der Menschen in dieses ihr Wesen eingebunden sind, daß die 
Art, irr der ihnen das Absolute entgegentritt, abhängt von der 
Beschaffenheit ihres untilgbaren Seins. 
Wie aber stellt den Beiden ihre Gestalt sich dar? Nun, die 
zwei Gestalten entzünden sich aneinander, die eine dient der 
anderen gleichsam als Hintergrund und Folie, hebt sich rein 
inbezug auf sie aus ihrer Verschwommenheit heraus. Und zwar 
wird der unlösbare sachliche Widerspruch jetzt zu einem Gegen 
satz der Wesen ausgeweitet, das vorherige Auseinanderklaffen 
der Erkenntnisse vertieft^ zur Volarität des Seins- Diese 
Abhebung soll die Undurchdringlichkeit der Gestalten eindrucks 
voll bezeugen und symbolisch Zur Geltung bringen, daß das 
Absolute nicht erreicht werden kann, es sei denn mit dem Ein 
satz des ganzen gefamtmenschlichen Wesens 
Freilich, man wird kaum annchmen dürfen, daß diese Gipfel 
punkte des Gesprächs schon etwas Letztes und Endgültiges für 
die beiden Menschen bedeuteten. Wäre dem so, das Gespräch 
müßte unmittelbar bis zum Absoluten selber herMtragen, und 
es ist doch wohl nur eine Etappe des wer weiß wie langen 
Weges zu ihm hin. Die in ihm erfahrene — in der Verbunden- 
heil erfahrene — Gestalt des Ändern, das durch gemeinsamen 
Wandel der Existenz Errungene wirkt nun, den Dialog über 
dauernd, in den Monolog hinein, den jed^r der beiden auf 
das Absolute ausgerichteten Einzelnen fort und fort führt. 
Daz Gespräch, das diesen Monolog entscheidend vorwärts 
treibt, hat an dem Wesen der Beiden MtgeLaut. es ist Wahre 
Zeugung insofern gewesen, als es in den Beiden Keime zur 
Entfaltung gebracht hat, die ohne den zeugenden M nicht er- 
wM worden wären, da eben nur durch das Austauchen der 
anderen Gestalt, durch das Ringen mit ihr und durch die 
Verbindung mit ihr zur entscheidenden geistigen Handlung die 
gewalttätige, oft bitter schmerzhafte Sprengung des alten Da- 
sEsnuges überhaupt möglich wa. Jedoch, so mag man immer 
noch fragen, was bedeutet es angesichts des Absoluten, 
daH solche Wandlung vor sich gegangen ist? Wenn die Er 
greifung des Absoluten von der Beschaffenheit des Wesens ab- 
hängt, so kann es nicht gleichgültig sein, wie der Mensch vor die 
letzten Fragen tritt. Gerade dieses ,Mie" aber erfährt im Ge 
spräch Formung; indem der eine die Gestalt des andern erleidet 
und leiden macht, wird das Wesen eines jeden aufgeschlossen, 
weiter gespannt als bisher und derart die Herstellung des 
vollen Kontaktes mit dem Absoluten erst richtig vorbereitet. 
Nur vosbereitet: denn das Gespräch vermag den auf das 
Absolute hinzielenden Monolog nicht zu ersetzen, in dem der 
Rechen aller der Gestalten fortlebt, mit denen gemeinsam man 
einmal existiert hat. Dieser stets gegenwärtige Chor symbolisiert 
dir Menschen in ihrer Verbundenheit, Md jeder, der Dialoge 
geführt hat, wie sie angesichts des Absoluten geführt zu werden 
verlangen, wandert schließlich in der Begleitung einer ganzen 
Schar von unsichtbaren Gefährten seine einsame Straße dahin, 
ewige Zwiesprache mit den geisterhaften Gesellen pflegend, so 
lange er sich im Stande des Nichtwissens befindet. In ihrer 
Gesamtheit aber erweitern die in den Monolog hinübergenom 
menen, fortan in ihn eingeflochtenen Dialoge die Existenz bis zu 
ihver imßersten Grenze, und Es den entscheidenden Beziehun 
gen, die sie zu allen anderen Existenzen stiften, erwächst zuletzt 
die eigene Gestakt, bis zum Rande gesättigt und erfüllt, existie 
rend so voll und breit, wie einer nur existieren kann Wie 
lange der Monolog sich hinzichen muß, damit das Eine Ab 
solute endlich erreicht werde, ob nicht der Monolog vielleicht 
schon vor dem Ziele zum Stillstand kommt: das läßt sich wahr- 
UH E so einfach sagen. Möglich wäre es immerhin, 
AH erst das ErgnsfenseM vom Glauben hinter die Spännune 
auch noch des vollsten Existierens das' letzte Punktum setzte. 
Haben die Beiden sich einmal in ihrer Bedeutung als exi 
stierende Menschen begriffen, so wird das Gespräch als Ge 
spräch unendlich wichtig, die Suche nach der Wahrheit wird 
dann zu einem Ringen der Ge st alten. Der zweite, der 
eigentlich entscheidende Gesechtsgang des Gesprächs beginnt. 
Nicht niehr, wie zu Anfang, sieht man an der Gestalt und 
ihrer Bedingtheit vorbei, nicht mehr auch lenkt man den Blick 
ab auf das Wesen selber, das im Wege stand und darum zu 
durchleuchten war — man zieht vielmehr jetzt in das Gespräch 
Sache und Wesen zusammen hinein, der ganze Mensch tritt 
jetzt in Aktion. Wären die Beiden als Gestaltn abgeschlossen 
und. unverrückbar, so hätte das Gespräch mit der Erfassung 
ihrer Gestalten sein Ende, Wesen befände sich starr dem Wesen 
gegenüber, und die Suche nach der Wahrheit klänge zuletzt in 
eine resignierende ästhetische Würdigung der Wesen aus. Das 
heißt, die Unterredung erschöpfte sich darin, daß die zwei Ge 
sprächsteilnehmer bei der Anschauung ihres Vorgefundenen 
Seins verharrten, und liefe sich derart ebenso tot wie durch 
das vorherige Streben nach seinsfremder Erkenntnis. Diese 
Möglichkeit scheidet aber aus, da Beide ja im Nichtwissen 
stehen, und darum noch nicht so fixiert sind, daß ihr Sein sich 
nicht öffnen und erweitern, nicht voller als bisher dem Ab 
soluten entgegenwachsen könnte. Statt daß das Gespräch im 
Ästhetischen versandet, wirkt vielmehr der empfundene Wider 
stand der Gestalten als Stachel, der vorantreibt dem verborge 
nen Ziele zu. 
! M dieser Phase wird das Gespräch zum Entscheidungs- 
jEampf, zur Auseinandersetzung und Jneinanderfügung der 
vollen Gestalten. Auch jetzt Mg noch (oder wieder) 
vom Begriff des Schönen und des Religiösen die Rede fein, 
aber der Wahn von früher ist vorbei, als handle eK sich bei 
derlei Aussagen lediglich um Wesens gleich gültige BestinMMN-- 
gen. Die Existenz in ihrer ganzen Breite wird nun mitge 
nommen, und es kommt zu Akten geistiger Zeugung > 
deren Ergebnisse weder dem einen noch dem anderen allein 
angehören, sondern die Frucht gemeinsamen Ringens sind- 
Gleichvi-A, welches diese Ergebnisse sind: ob sachliche Ueber 
einstimmungen, ob nur ein Einklang, in der Beurteilung noch 
vorhandener Differenzen — ihre Bedeutung besteht darin, daß sie 
einer in Gemeinschaft vollzogenen Wandlung der Existen^n 
entstammen. Keiner von Beiden geht mehr aus dem Gespräch 
so hervor, wie er in das Gespräch hineingegangen ist, es ge 
schieht etwas an Beiden im Gespräch, und seine Früchte sind 
aus solchem Geschehen, aus solcher existenti ellen Ver 
bundenheit Heraus gezeugt. Kraft der Verbundercheit 
wird das bisherige Definitivum der Gestalten aufgehoben, die 
Gesprächshandlung wird zum Zusammen-Leben, und Beide 
rücken, sich gegenseitig Geburtshelfer-Dienste leistend, durch 
einander in ihrer Existenz vor. Das gibt dem Gespräch den 
Vorrang vor dem einseitigen Dialog mit einem Buch: Das 
»Buch ist fertig, es wandelt sich nicht mit, während num E
	        
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