Skip to main content

Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Zu den vielen Kinotheatern Frankfurts ist jetzt ein 
neues hinzu gekommen: die „Neue Lichtbühne" auf der VW-eler- 
straße, die sich gestern mit dem oben besprochenen Großfilm „Fried 
rich Schiller" auf das Beste eingesührt hat. Um einen genügend 
großen Raum Zu schaffen, hat man das frühere Odeon-Kino durch 
einen Anbau erweitert, der den seitlichen Hof Zum Teil überdeckt. 
Berücksichtigt man die Schwierigkeiten eines solchen Umbaus. Acht 
man auch mit in Erwägung, daß durch die strentzen baupolizeilichen 
Anforderungen die Freiheit des architektonischen Planens vielfach 
begrenzt wird, so erscheint die Raumlösung in praktischer Hinsicht 
zufriedenstellend. Durch einen breiten, mit großen Wandspiegeln 
ausgestatteten Vorraum, in dem Kasse und Büro gelegen sind, be 
tritt man das Theater, dessen 630 Sitzplatze sämtlich den erwünsch 
ten Ueberblick über die Leinwandfläche gewahrem Der Bühne 
gegenüber ist eine weit ausladende Galerie angeordnet, hinter der 
sich der Raum für den Operateur befindet. Die Entleerung des 
Hauses erfolgt durch mehrere Seitenausgänge nach dem Hofe Zu, 
der direkt auf die Straße mündet und, gemäß den baupolizeilichen 
Bestimmungen, so breit ist, daß die Feuerwehr in ihn einfahren 
und an seinem rückwärtigen Ende wenden kann. Decke und Wände 
des von dem hiesigen Architekten B end er mit der Architektur- 
finna Opfermann umgebauten und erweiterten TheaLerchens 
sind in Hellen, ein wenig Deckten Farben HchMe^ die Ornamentik 
kätte man sich moderner und kräftiger gevEnM. — Die Licht 
bühne will vor allem Mure zeigen, die Kr die Irgend geeignet 
sind, und zwar außer den AnLechal^mg Ech Wissenschaft-« 
liche Filme, die der Belehrung Mmm Mir HMen Rese Echt 
für fehr begrüßenswert und glauben, daß^k einem 
in weiteren! Kreisen gehegten berMMM UÄM ese AEMtz. 
As- ßÄ man kek»? 
Reiselektüre zu empfehlen, ist einigermaßen schwierig, 
da die Manschen den verschiedensten Gcfchrmü haben, und man 
selbst dann, wenn man ihren Geschmack im allgemeinen kennt, immer 
noch nicht weiß, was sie nun gerade auf ihrem Erholungsurlaub zu 
lesen rvünschem 
So tappt man ziemlich im Dunkeln und ist auf allgemeine Mut 
maßungen angewiesen. Immerhin bleibt noch genug übrig und 
gute Detekivromano wärm nicht das Schlechteste, zum mindesten 
dann nicht, wenn man dorr der Ansicht ausgeht. Laß ein wenig 
Spannung selbst in den Ferien nichts schien kann. Da find Z. B. 
die gu en DerEdgeschichLen von Frank Heller, etwa sein geist 
reiches Buch: „Des Kaisers alte Kleider", oder von Sven Elve- 
stad: „Der Mann, der dir SLaLL plünderte" — nicht zu vergessen 
Friedrich Schillers: „Geistersehen", der ebenfalls in dieses Ge- 
bwt schlägt. Wer von geistiger Wunder- und Abenteurerlust ergriffen 
ist, der mag mit Johannes V. Iensen in die mythischen Zeiten 
der Menschheit zurückwandern und ferne Romane: „Das verlorene 
Land" und „Der Gletscher" lesen, denen jetzt als neuestes Werk 
der Roman „Columbus" gefolgt ist. Auch Stuckens Roman« 
Lrilogre: „Die weißen Goiter", eine Art von Epos, d^ die Er 
oberung Mexikos behandelt, gehört hierher. 
Von Politik will man Zwar während der kurzen Ferienwochen 
verschont bleiben, dennoch ist es sehr unterhaltend, einen Blick hinter 
die Kulissen M Lrm und sich von einem klugen Beobachter vordenwn- 
strieren zu lassen, wie nun eigen lich die Politik gemacht wird, zu 
mal wenn der Beobachter ein Dichter ist, und es sich außerdem nicht 
um die Politik von heute handelt. Schon Stendhal hatte gar 
scharfe Augen, wie etwa seinem zur Zeit des BüraerkZnigs spielen 
den Roman: „Lucien Leuwen" zu entnehmen ist, der allerhand ge 
fährliche Geheimnisse der Sieatskunst ausplaudert. Auch die Romane 
von Analste France, z. B. »Der Amechystring" oder „Monsieur j 
Bergeret o Paris", die freilich schon bedenklich noch die Gegenwart! 
streifen, enthalten Dialoge von entzückender Aufrichtigkeit über > 
Dinge der Politik, rücken brutale Tatsächlichkeiten in eine ironische 
Beleuchtung, für die man gerade in der kurzen Ferienpauss noch 
am ehrten geöffnet ist. 
Indessen, es ist nicht jedermanns Geschmack, sich in Spannung 
versetzen oder das AllLaMeben auch nur im Abglanz des Dicht- 
werks an sich vsrübeMehen M lassen, wenn man Ruhe und Er 
holung sucht; abrücken will man vielmehr von der gewohnten und 
die allzu uWewshnten Welt und womöglich Einkehr halten bei 
sich selber. Wie wäre es da, wsrm man die Bücher hervorholte, die 
man in seiner Jugend gelesen oder auch nicht gelesen hat,'un- 
moderne Bücher, die jedenfalls, soweit man sich zurückerinnern kann 
schon da waren und, unberührt von der Zeit inmrer da sein werden? 
Den Roman aller Romane, den „Don Quich 0 Le" z. B. sollte 
nmn wieder emnM vornehmen, er ist unausschöpflich und hat gerade 
die richüge Ferienlänge. Auch die Novellen von Kleist oder die 
von Lieck, Hauffs Märchen, Sichendorffs „Leben eines 
TaugenUts" und „Ahnung und Gegenwart", um nur einige wenige 
Namen und Titel zu nennen, tragen sicherlich gern zur Erholung 
bei. Es ist schwer, hier eine Auswahl zu treffen; jeder hat ja seine 
Bücherfreunde aus der Jugend, oft gelesene oder von ferne verehrte, 
Zerfetzte und vechaubte — er k^mse sie aus dem Schubfach und 
Lade sie mit auf die Reise ein Geht er an die Ostsee, so mag er zu 
Fritz Reuter greifen, ist der BoLensee sein Ziel, so leistet ihm 
vielleicht Scheffels „EAehard" die beste Gesellschaft; gleichviel 
welche Gegend ausersehen ist, stets wird sich der paffende Einklang 
zwischen Landschaft, Mensch und Buch ungezwungen hersMen lassen. 
Nur eines Dichters sei noch ausdrücklich gsdacht, der überall und 
immer, und just in den Ferien, in denen man so Leicht die richtige 
Distanz Zu den Dingen gewinnen kann, genossen werden sollte. 
Kaum Herrlicheres gibt es auf Erden, als hingelagert auf einer 
Sonrmerwiess, Seite mn Seite und ganz bedächtig, Ab albert Stif 
ters „Nachsommer" zu lesen, jenes wundersamste aller Erziehungs 
und Wunschbücher, das Nietzsche, der es ja wissen mußte, zu den 
Zehn schönsten Wecken der Weltlitr^Or zählte. Stifters „Studien" 
und ^BunLe Sterne" (unter ihnen besonders die Erzählungen: 
„Kalkstein" und „BerArystM") verschossen nicht minder Stunden 
der Erbauung und inneren Gelassenheit, sei es nun, daß man in 
einem Segelboot den Nachmittag vertrödelt ode? hoch im Gebirge 
zwischen Kühen im Grase liegt. —-sr. 
Aus den Lichtspieltheatern. 
In den OLympia-Lichtspielen wird zur Zeit eine gerade 
M fabelhafte amerikanische Affäre „D i e Fi L m s der 
Prinzessen Fantoche" Vorgefühl. Diese Lustspielidee 
sucht ihresgleichen, sie zieht mit Geist den Film selber in 
den Film hinein und 'entfaltet sich spannend bis zum guten 
Ende. Was die Handlung anbei rifft, so muß man zunächst 
wissen, daß die entzückende Modistin Mary Dupont in den. Sohn 
des Polizeiprafekterr verliebt ist, der aber der Verehelichung 
seines Sprößlings mit einem armen Mädchen streng enigegen- 
steht. Weiterhin muß man misten, daß die Fata-Morgana-Film 
A. G. schlecht» Geschäfte macht, und sich durch eine Serie von' 
Schlagern wieder auf die Beine helfen will, in der ein neuer 
Filmstern, die Prinzessin Fantoche, die Hauptrolle spielen toll. 
Der Direktor der Filmgesellschaft läßt die Film Prinzessin mit 
dem Operateur zu sich kommen und weiht sie in seine Pläne 
ein; er denkt, daß ein unter ihrer Beteiligung erfolgender fin 
gierter Raubüberfall auf ihn, den Direktor selber, sachgemäß 
gekurbelt, denn doch seine Wirkung tun und die Aktien der Ge 
sellschaft zum Stengen bringen müsse. Gedacht, gemacht! Man 
bracht ckn, die Polizei lächelt verständnisvoll (es ist ja nur 
eine Filmaufnahme!), der Operatuer kurbelt und alles scheint 
gut. Aber, oh Weh! Der Einbruch ist offenbar garnicht fin 
giert, diese Teufelspninzessin plündert wirklich mit ihren Kum- 
vanen den Kassenschrank aus und iiberläßt den gefesselten 
Direktor seelenruhig seinem Schicksal. Und was noch schöner ist: 
die ganze Affäre wird verfilmt und der Polizei zur Zensur 
vorgelegt. Die sehr düpierte Polizei läßt den Film schließlich 
passieren, weil sie hofft, daß die Prinzessin sich bei seiner Vor 
führung verrate. Aber dieses verflixte Mädchen ist mit allen 
Wassern gewaschen, es fällt ihr garnicht ein, sich fangen zu 
lassen, im Gegenteil, sie führt die Polizei an der Nase herum 
und bringt erweist der Himmel fertig, jede neue Blamage der 
Polizei zu verfilmen und so dem Publikum kund zu geben. Der 
Präftkt tobt und haucht den Kommissar an, dieser den Wacht 
meister usw., der Skandal - zieht immer weitere Kreise, man 
steht Prinzessin Fantoche in jedem Weibe, eines Tages sogar 
in der Frau des Präfekten, die doch gewiß keine Helena ist, es 
folgt eine Interpellation im Parlament (alles prompt im Film 
wiedergegeben) und zuletzt verspricht der Minister des Innern 
selber, den mehr als gordischen Knoten zu lösen. Er erscheint 
in der Stadt der Blamage, und nun, da die Handlung auf dem 
Höhepunkt ist. gefällt es endlich der Prinzessin, die Wirrnis zu 
entwirren. Sie begabt sich zum Minister und macht ihm be- ' 
greiflich, daß er am besten daran tut, die ganze Sache zu ver 
tuschen," da ihre Preisgabe die Blamage nur noch vergrößere. 
Denn wer ist doch Prinzessin Fantoche? Jene entzückende 
kleine Modistin, die mit dem fingierten und doch nicht fingier 
ten Ueberfall zwei Fliegen mit einer Klappe schlug: die Aktien 
der Fata Morgana-Gesellschaft A. G. in schwindelnde Höhe 
trieb und den Sohn des Präfekten errang, der ihr getreuer 
Helftrshelfer war. Liane Haid in ihrer reizenden Doppel 
gestalt und Karl Ettlinger als Präfekt halten das rechte 
Schwanktempo inne und tragen wesentlich Zum Gelingen bei. 
— Vortrefflich ist auch das große Sensationsdrama: „Der 
geheimnisvolle Dolch" mit Eddie Polo in der Hauptrolle, 
dessen erster in England spielender Teil schon auf die Fort ¬ 
! setzung begierig macht, die in verschiedenen anderen zum Teil sehr. 
j exotischen Himmelsstrichen spielen soll. räc.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.