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Object: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Dir großen gedanklichen Leitmotive, die, 
mamngfach abgewandelt, in allen Vorträgen wiederkehrten, 
wurden gleich während der sonntäglichen Eröffnungsfeier in 
der Festrede des Abtes Jldefons Herwegen angeschlagen. 
Zsiuml für,den Außenstehenden war diese Rede ausschluß 
reich; ihn dicht bis an die geheime Mitte katholischen Wesens 
heranfuhrend, enthüllte sie ihm, ohne irgend theoretisch ent- 
hullen zu wollen, jene Grundkategorien katholischen Denkens, 
dre recht eigentlich dessen Stärke ausmachen, und von der 
Kirche, freilich nicht von ihr allein, mit gutem Rechte wider 
die Kategorien des noch durchweg säkularisierten idealistischen 
werden dürfen. Ein 
Meisterstück der Architektonik und geschliffenen Eloqenz, wi« es 
Tradition von Jahrhunderten geschulte katholische 
ri " yervorzubringen vermag, gründete sie das 
Nicht genug damit, daß der Abt von Maria-Laach dtv 
Wurzeln und den Sinn katholischen Gemeinschaftslebens 
austvies, er zeigt« auch, daß ein so gegründetes Leben im 
Handeln und Erkennen notwendig einer guten Ordnung 
der menschlichen Beziehungen und der Dinge zuführt. Seins 
Rede rundete sich zu hymnischer Fülle, als er die Gliederung 
der zur Lebenseinheit verbundenen Gemeinschaft aus der 
Teilnahme an den Sakramenten ableitete und, die Breite der 
Welt Lurchmessend, jedem Stand und Mer Tätigkeit den 
gebührenden Rang innerhalb des vräo zubilligte, ohne an 
der Klippe einer unzulässigen Starrheit zu stranden, die sich 
im Ziehen hart« Gvenzen msiloS erschöpft. Auch hier 
wieder tritt unstreitig «i« Unterschied des katholischen 
Denkens gegenüber dem der Mitte und ih«r Spannung 
entglittene reis autonome Denken zutage. Dieses hat die 
Fähigkeit zur summa verloren und vermag von sich aus 
nicht jenen Begriff der Ordnung zu fassen, der von der Kirche 
gehegt und in bestimmter Weise verwirklicht wird. Angegeben 
selbst, daß katholische Philosophie, wenn sie über die poli 
tischen Zustände reflektiert, häufig restaurative Neigungen 
bekundet, so ändert das doch nichts daran, daß ihre beste» 
Vertreter der modernen Staatsphilosophie, die entweder einer 
schlechten Autoritätsgläubigkeit verfällt oder im Uebev- 
schwange jede autoritative Bindung überhaupt verwirft, Li« 
richtigen, weil in der Beziehung zum Uebernatürlichen ver 
wurzelten Begriffe von Autorität und Ordnung entgegenzu- 
setzen wissen. Daß «ine solche Ordnung der Gefahr der Der« 
festigung, der Ablösung vom Leben unterliegt, duldet keine» 
Zweifel; ebenso gewiß ist aber, daß sie, wenn sie nur den 
genügenden Tiefgang hat, sich immer wieder aus sich selber 
heraus verjüngen kann. Die Rede des Abtes Jldefons Her 
wegen schien ein Beweis dieses Regenerationsvermögens, sie 
schien es vor allem deshalb, weil sie das Mysterium wie das 
aus ihm unmittelbar erwachsende Sich-Bewäbren in die 
„Mitte der Wirklichkeit des wirklichen Lebens' stellte und der 
art auf die Quelle hindeutete, die den ja keineswegs in sich 
beruhenden oräo stets erneut speisen muß, damit er nicht 
Mysterien, insbesondere auf die Eucharistie, die sie gleich den 
anderen Mysterien, gleich dem ganzen Kirchenjahr als ein 
Mitleben des göttlichen Lebens zu begreifen lehrte. Verall 
gemeinert man diese Bestimmung, was vielleicht bis zu einem 
gewissen Grad« gestattet ist, so besagt sie jedenfalls unter 
anderem azrch, daß das Leben der Menschen nur dann ein 
wirkliches Leben heißen kann, wenn seine Hast im 
Uebernatürlichen hat. Merdings ist hiermit das gemeinte 
Leben der Wirklichkeit noch nicht hinreichend umgrenzt. Soll 
es sich wahrhaft «Wen, so muß es nicht nur teil haben 
am Uebernatürlichen, sondern auch seiner Kreatürlichkeit stets 
eingedenk bleiben, es muß gleichsam hingespannt sein aus 
dem Bedingten in das Unbedingte, es gewinnt, anders aus 
gedrückt, Wirklichkett und Konkrethett allein als ein Leben 
der Mitte (genauer: der provisorischen Mitte), das weder 
den Himmel an dis Erde verrät, noch je seine irdische Ab 
kunft zu verleugnen sucht. Diese sehr fragmentarische Ueber- 
setzung spezifisch katholischer Begriffe in eine wenn auch 
fragwürdige Allgemeinsprache bringt zum mindesten den Vor 
teil mit sich, daß sie die sichere Position des Katholizismus 
in der modernen Welt und seine daraus entspringende An 
ziehungskraft auf so viele Intellektuelle in mancher Hinsicht 
verständlich macht. Aus eben jener wie immer paradoxen 
„Mitte', die von der Kirche anerkannt und innerhalb ihres 
Bannbereichs der Intention nach eingehalten wird, hat sich 
ja gerade das neuzeitliche Denken entfernt. Der Spannung 
zwischen Natur und Uebernatur sich entwindend, ist jhm nur 
mehr die Wahl geblieben, entweder in grobschlächtige Stofs- 
gläubigkett herabzusinken oder zu spekulativen Abstraktionen 
sich zu verflüchtigen und so beide Male der richtigen Mitte 
! verlustig zu gehen. Erst heute, da dieses Denken der selbst- 
erzeugten Leere inne wird, beginnt es eigentlich wieder der 
Bedingungen zu achten, unter denen ein wirkliches Leben 
überhaupt möglich ist, bemerkt wieder den Ort, an dem sich 
die gestaltete Welt in ihrer Konkrethett erschließt. Und in 
dem es aus der Hastlosigkeit zurückbegehrt, muß es entdecken, 
daß die Kirche das Wissen um die von ihm verlassene Mitte 
weniger eingebüßt hat und in der.Gegenwart sich doppelt M, 
ihre 
Schwabens vorgesehen worden sein, mit der die Tammo 
ihren Abschuß fand. 
Ulm, das den Rahmen hergab, war mehr als nur Rahmen. 
Es gehört zu jenen gewachsenen Städten Süddeutschlands, die 
nach den Worten Pros. Guardinis ganz von innen her ge 
formt sind. In der Mitte das Münster mit der« allüber 
ragenden Turm, nach der Donau zu, die kleinen Kanäle um 
lagernd, Aas Gewimmel der alten Quartiere mit ihren un- 
bestimnibaren Gerüchen, ihren südlich Hellen Plätzen, den 
vom Schattendunkel verschlungenen Gaffen, den vielen Brück- 
chen und den tief in das Hausgewinkel eingeschnittenen 
Hosen, sann die gar nicht blaue, sondern viel eher heiter 
grüne Donau selber, deren flacher kalkweißer Strand bedeckt 
ist mit lauter Badenden, die, eine Unzahl dünner Striche, 
sich unaufhörlich durcheinanderbewsgen, dem Flußlauf sich 
anvertrauen und mit ihm unter weitgespanntem Brückenbogen 
bald zwischen Gebüsch in der nahen Ferne entschwinden, 
darüber von Zeit zu Zeit die Klänge der Münsterglocken und! 
das Ganze eingeschmiegt den sanften HSHenzügen rundum 
— das ist Ulm. Eine begrenzte Welt, die wohl Heimat! 
fern kann und auch den Fremden freundlich umfängt. 
M r^W ÄR WÄMN MHMtsT. 
Mr Wm, 10. M 16. AuglO. 
LA MMe Wrgufi M Nlm vemnstaltete vierte reli- 
g4Ss-wissenjschaftlichs Losung des Verbands katho- 
KWer Akademiker, einer noch jungen, im Wachsium befind 
lichen Gründung, die binnen weniger Jahre bereits in vielen 
deutschen Städten Ortsgruppen gebildet hat, bezeugte dem 
RüHtkacholiken nicht allein die heute wieder neu hervor- 
Lrechende Lebenskraft der Kirche, sie Keß ihn auch, mehr 
rKÄÄchi als manchen Katholiken selber^ die besondere Bedeu 
tung deS 'jungkathoiischen Denkens und Seins gevade für unsere 
Zeit erkennen. Außer den zahlreichen deutschen Mitgliedern 
und Freunden des Bundes, unter denen man eine Reihe von 
Rheinländern bemerkte, hatten sich Teilnehmer aus Oestev- 
re^, aus der Schweig, Böhmen, Holland und Italien ein- 
gefimden. Welch« Beachtung man in kirchlichen Kreisen dem 
Kongreß schenkte, bewies die Entsendung des päpstlichen 
Seyens durch Dr. Davids, den Rektor vom Osinpo 8nnto 
und die Anwesenheit hoher geistlicher Würdenträger. Die bei 
nahe überreichlich bemessenen Veranstaltungen, die sich in 
EinzÄvorträge, Kurse und Gemeinschaften (mit beschränkter 
Teilnehmerzahl) gliederten, erstreckten sich auf ungefähr alle 
Gebiets der Wissenschaft und des Lebens, von der Theologie an 
Äs zu den aktuellen Foagen der Politik und Wirtschaft- Daß 
diese Vielheit der Gegenstände einheitlich angegriffen und be- 
wAtigt wurde, daß überhaupt nirgends das übliche Kongreß 
bild eines babylonischen Wirrwarrs der letzten Ueberzeugungen 
mch vorletzten Meinungen sich bot, dafür sorgte derselbe katho 
lische Geist, dessen Richtung auf die Welt hin solche allseitige 
D^chirringung des Gegebenen ftrderte. Zu dem anstrengenden 
Tagmrerk t«r Kurse, t«ren Abhaltung führende GeistlüA und 
namhafte Gelehrte — beide nicht selten in einer Person ver 
einigt — übernommen hatten, gesellten sich tägliche kirch 
lich« Feiern, damit nicht nur gemeinsam gehört, sondern 
auch gemeinsam gelebt werde. In gleicher Absicht mochte die
	        
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