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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.04/Klebemappe 1924 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Sehnsucht auf eine Künstlergeneration richtet, „welche als 
höchstes und würdigstes Thema ihres Schaffens das Seelen 
leben der positiv EnlwMungseinz'gen wählen wird". Diese 
Vergötznng des Genies, die übrigens, trotz dez fortwährenden 
Geredes von Differenzierung, unbedenklich den Religionsstif 
ter mit dem Künstler, den Heiligen mit dem Forscher verkop 
pelt, wird auch durch die wie immer rührende Tatsache nicht 
aus der Welt geschafft, daß dem panidealistischen Gewissen 
„alle Leuchten lieb und wichtig" sind. 
Ueber dasReligiZs« schließlich werden Herr Dr. Astrow 
und ich uns schwerlich einigen. So wenig er meine Aussage 
anzunehmen geneigt ist, daß Religion in der Kuliur nicht auf- 
und untersetzt, ebenso wenig kann ich mit seinen Sätzen 
etwas anfangen, daß Panideal einer „Vergeistigung der reli 
giösen Gefühle" gelte und für Holzapfel „die Religion und 
ihre Entfaltung das höchste Ziel des geistigen Lebens" sei. Die 
Inhaltslosigkeit, um nicht zu sagen Phrasenhaftigkeit dieser 
Sätze und der anderen für Holzapfels Religiosität herange 
zogenen Belege ergibt sich bündig, wenn man sie mit der in 
meiner Kritik behandelten panidealistischen Seelenforschung 
konfrontiert, die dadurch, daß sie die Wirklichkeit des Gebets, 
oder der UnsterblichkeitSsehnsucht ins Psychologische auslöst, in 
eine der Religion genau entgegengesetzte Richtung weist. Herr 
Dr. Astrow hat den Widerspruch garnicht bemerkt, und es ist 
bei solcher Unorieniiertheit nicht weiter verwunderlich, daß er 
die Anerkennung letzter religiöser Gegebenheiten mit AutoritätS- 
gläubigkeit verwechselt und meinen dem Panideal gegenüber 
gewiß sehr notwendigen Hinweis auf die Grenze des Mensch 
lichen einfach als QuietiSmus mißversteht. 
Ich habe also doch wohl nicht eine Fikt'on statt des Werkes 
bekämpft, sondern allenfalls das W e rk selber als Fiktion ent 
hüllt. Damit erledigt sich zugleich die Behauptung Herrn Dr. 
Astrows, der nicht leicht ein Kenner unserer Geistesgeschichte 
beipflichten dürfte: daß Panideal von „außerordentlicher Neu 
heit" sei und in „alte Denkgewohnheiten wie e'n frischer See 
wind" hereinbrause. Neu mag es lediglich insofern sein, als 
es — woran kein Seewind Schuld trägt — jene alten Denk- 
gewolmheiten in bisher ungeahnter Weise durcheinander rüttelt 
und e'ne Fülle barocker Wucherungen treibt, wie sie nur 
End erscheinunsen mitunter eignet. - ! 
MWWMe am Ssigsien. 
i Pros. Aufhaufer von der Universität München sprach 
auf Einladung des Vereins für das Deutschtum im 
Aus land über dre^ Eindrücke, die er auf seiner Weltreise 
von November 1922 bis Ende 1923 empfangen hatte. Er fuhr 
mit d^m Dampfer „Weser", einem der ersten Danwfer des Nord- 
heutschen Lloyd, die eine Kombination von Fracht- und Päfsa- 
gierdampfer sind. Bei feinen Ausführungen, die sich im wesent 
lichen auf den asiatischen Kontinent beschränkten, hob er 
vor allem das Verhalten der verschiedenen Nationen und Länder 
zu den Deutschen hervor- In Aegypten stieß er überall auf 
Sympathie für das deutsche Volk. Die Zollbehörden versicherten 
ihm, wie froh sie seien. Deutsche wieder im Land zu sehen, und 
der Eisenbahnminister, bei dem er persölnchi Audienz erhielt, ge 
währte ihm ohne Anstanh eine- beträchtliche Ermäßigung des 
Fahrpreises. In Ober-Aegypten sprach der Redner auch einfache 
Neger, die von dem Heldenmut des deutschen Volkes stark be 
eindruckt schienen. Die wichtigsten Entscheidungen in Aegypten 
liegen übrigens immer noch in Händen der Engländer. Für 
Deutsche ist es nach wie vor sehr schwierig, eine dauernde Ein 
reise-Erlaubnis nach Aegypten zu erhalten: nur die Schwestern 
dürfen wieder von ihren Anstalten Besitz nehmen. 
Die Deutschen, die früher in Ceylon anwesend waren — 
längst nicht so viele wie in Aegypten —, arbeiteten hauptsächlich 
in den Plantagen- Der Redner traf Singhalesen,'die ihm er 
klärten, daß sie die Deutschen mit offenen Armen aufnehmen 
wollten. In den holländischen Besitzungen Javas haben 
die Deutschen auch "während der KriegsM gearbeitet. Heute halten 
sich einige Tausend dort auf, die sn Regierungsstellen oder auf 
Privatplantagen tätig sind. Da in Holland Arbeitslosigkeit herrscht, 
bat freilich die Regierung wohl oder übel manchen Deutschen die 
Verträge kündigen müssen. Schon aus diesem Grunde ist nicht 
daran Zu denken, daß eine große Blenge Deutscher dort unter 
kommen kann. 
In China ist die KriegZWmrmnq langst verrauscht und eine 
starke Bereitschaft gibt sich kund. Deutsche Zu allen kulturellen Ar 
beiten heranzuzielM. Das Hauptproblem in China ist heute die 
Schule. Man huldigt mvdernen Bestrebungen und ermuntert 
die europäischen und amerikanischen Missionen Zu Gründungen 
von Schulen. Zumal das höhere Schulwesen soll neu organisiert 
werden. Von deutscher Seite sind schon vor dem Krieg verschie 
dene Anstalten geschaffen worden, so die Chinesenschule in 
Schanghai, die hauvtsächlich technische Bildung vermittelte. Alles 
in allem eröffnen sich für uns Deutsche günstige Chancen, auf „die 
freilich Engländer und Amerikaner nicht wenig eifersüchtig sind. 
Auch im Import und Export ist deute in Schanghai, Tientsm 
usw- wieder eine AwZahl von Deutschen tätig» Der Redner kenn» 
Zeichnete dann in rveniger. Andeutungen die hochstehende ethische 
Kultur der Chinesen, verweilte kurz bei der Schilderung des 
Räuber-Unwesens und mancher primitiven Züge, die sich im 
Volke noch lebendig erhalten haben und ging schließlich auf das 
gespannte Verhältnis Zwischen Japan und China ein. Den 
Japanern rühmte er hierbei nach, daß sie das von ihnen inzwischen 
geräumte Tsingtauin ausgezeichnetem Zustand erhalten hätten. 
Die SadL sei sogar von ihnen nach den von den Deutschen hinter 
lassenen Plänen weiter ausgebauL worden, allerdings durchaus im 
Sinne japanischer Kultur 
In Iapa n selber ist die Stellung des Deutschtums aus ver 
schiedenen Gründen schwieriger als in China. Das japanische 
Volk hat eine ganz ausgeprägte Nationalgesinnung. Trotz der 
Industrialisierung hat es ferner in die neue Zeit den Gedanken des 
Kaisertums hinübergerettet, der ein stark konservatives Element 
darstellt. Hinzu tritt die heute besonders gefestigte Ueberzeugung, 
daß die japanische Kultur hoher stehe als die europäische. Japan, 
das sich immer mehr als geistiger Führer in Ostasien fühlt, will 
sich bewußt frei von Europa und Amerika halten; man bringt 
deshalb auch dem PrmZregM einiges Mißtrauen entgegen, 
der in Europa war und manchen Europäerrs Einfluß schenkt. Den 
Handel zumal möchte Japan selbst beherrschen, nicht nur bei stch. 
sondern auch in China, wo es allerdings auf zähen Widerstand 
stößt. Die Deutschen, die in den letzten fünfzig "Jahren in Japan 
lebten, waren zum großen Teil Männer der Wissenschaft. Auch 
heute noch ist dies der Fall. Da die Amerikaner in rege Konkur 
renz mit den Deutschen getreten sind, ist es für diese ungemein 
schwer, sich durchzuschen. Bei den deutschen Gelehrten, die mach 
Japan berufen werden^ handelt es sich "vorwiegend um Mediziner. 
Eine gewisse Zentralisaiion der deutschen Bestrebungen ermöglicht 
der ostastatische Verein in Tokio, der auch den Japanern Gelegen 
heit gibt, sich über Deutschland zu informieren» 
Zum Schlüsse gedachte der Redner noch des Deutschtums in 
Amerika, das dadurch sehr gefährdet sei, daß schon die Kinder 
der Einwanderer sich nicht wehr als Deutsche fühlen. Er zeigte 
sodann eine große Menge von Lichtbildern, die seine, inter 
essanten Darlegungen gut veranschaulichten und in willkommener 
Weise ergänzten. Lr. 
Tiere und Menschen. Im National- Theater wird ein 
wnerikanifcher Film: „Der Herr der Steppe" vorgesührt, 
in dem ein Hengst die Hauptrolle spielt. Die Begebenheiten sind 
primitiv und dienen nur dem einen Zweck, die Fähigkeiten des 
Hengstes ins rechte Licht zu setzen. Was dieses schöne Tier leistet 
ist aber auch wirklich erstaunlich. In der Steppe ist es kraft des 
ihm verliehenen Charisma der selbstverständliche Führer der 
wilden Mustangherde, und in gefangenem Zustand weiß es Freund 
und Feind sehr wohl Zu unterscheiden. Es trampelt, nachdem es 
M mit List befreit hat, seinen Peiniger zu Tode, bem braven 
Cowboy Tom jedoch bewahrt es ein Wohlwollen, das sich später 
noch in Taten auswrrkL. Wieder in die Steppe Zurückgekehrt, weiß 
es sich allen Verfolgungen zu entziehen und nur Tom, dem es sich 
gerne beugt, wird feiner Meister. Es rettet ihn in der Stunde der 
Not und entführt ihn den grimmigen Gegnern, die nach seinem 
Leben trachten. Ein Mädchen, das natürlich Toms Braut wird, 
tritt auch mit Edelmut in Erscheinung. Gibt man die Fabel 
preis, die des Karl May würdig wäre, so bleiben die guten Tier 
aufnahmen und die prachtvollen Szenerien aus dem Nevada- 
Gebirge. Das Beiprogramm bringt noch eine amerikanische 
Groteske: „Dods als Chauffeur", in der Dsdo seine Ver 
wandtschaft mit Chaplin eindrucksvoll bekundet. Ein magere? und 
bekümmerter Bursche, dem das Hantieren mit den Gegenständen 
unsägliche Mühe bereitet. Wer sein Ungeschick ist nur der komische 
Ausdruck für eine ungemeine Behendigkeit, die ihn im letzten 
Augenblick immer wieder aus per Hast der feindlich gesinnten Dinge 
und Menschen errettet. Der Film ist reich an Tricks und ss un 
wahrscheinlich wie nur möglich. rae. 
, 2.6 - 
Als AntimMaristin in Sowjet-Rußland. 
Auf Einladung des Frankfurter Mutterschutzes 
und der Internationalen Frauenliga für Friede 
und Freiheit sprach Montag abend Frau Helene Stöcker 
über ihre Eindrücke in S o w j e t - R u ß l an d, das sie iw Oktober 
und November des vorigen Jahres bereist hatte. Die Vortragende, 
die AntimMaristin ist, erlebte in Rußland den Konflikt, daß sie 
das Ziel einer neuen und besseren Gesellschaftsordnung wohl an« 
erkennen mußte, ohne aber die Methoden durchweg billigen zu 
können, die zu dem Ziele hinführen. Bei allen Vorbehalten, Ne 
sie gegen die Anwendung von Gewalt in Rußland machte, ver 
kannte sie aber nicht, daß auch für den Idealisten die Notwendig 
keit bestehe, mit der Realität zu rechnen und daß überhaupt die 
! Kluft zwischen Politik und Ethik nicht so leicht Zu Überdrücken sei.
	        
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