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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Es ist nicht so, daß allein die Sache erregte und ihre Gestaltung 
im Film. Etwas anderes tritt noch hervor, eine ungewohnte Er 
scheinung: die selbstverständliche Verbindung Zwischen Menschen 
und Technik. Bei uns scheinen die Sphären getrennt. Wo 
man in „Innerlichkeit" macht, dort verachtet man das Maschinelle. 
Wo man sich technisch gebärdet, dort wird man von geistigen 
Dingen nicht eben betroffen. Die Autos fahren durch den geogra 
phischen Raum, die Seele wird in der guten Stube gepflegt. 
Dieser Film kennt eine solche Scheidung nicht. Während die 
Mannschaft zwischen unentwirrbaren Gestängen hantiert, verrichtet 
die Menge ihre Andacht vor dem Zelt des toten Matrosen. Keine 
Kluft ist zwischen den Aeußerungen der Ehrfurcht und der An 
wendung technischer Fertigkeiten. Das Volk, das zu der rechten 
Sache ein rechtes Verhältnis hat, setzt die Dinge ohne Zaudern 
an ihren gehörigen Ort. In diesem einen fruchtbaren Augenblick 
zum wenigsten, in dem es sich handelnd hier darstellt. Eine unge 
wohnte Erscheinung. 
Der Film durchläuft jetzt die deutschen Städte, in denen 
man immer noch ein Theater spielt, das mit uns nichts mehr 
zu tun hat; auch in den Filmpalästen. Wird man merken, worin 
er sich von den Fridericus Rex-Filmen, den seelischen Interieurs 
und dem schönen Zeitvertreib unterscheidet? Wird man erkennen, 
an welche Bedingungen diese Kunst geknüpft ist? 
Erkennte man es: die Jupiterlampen könnten weiter brennen. 
Hegen wen? 
D u p l i k. 
Von Dr. Siegfried Kraeauer. 
E^gen wen richtet sich die Erwiderung? Gegen den Rezen 
senten ? Aber niemals hat der Rezensent bestritten, was die 
Autoren mit dem Ausgebot ihrer Nachweise belegen: die treue 
Wiedergabe des Textes. Er hat, im Gegenteil, zu Beginn 
seiner Darlegungen versichert und anerkannt: „Die Verfasser 
streben die wörtliche Uebersetzung und rhythmische 
Treue an", und auf Grund des Urteils unterrichteter Hebrai- 
sten gerne bestätigt, daß die Autoren hierbei „sachkundig und 
gewissenhaft" verfahren seien. 
Gegen wen also der Anmarsch solcher Bildung? Unbeteiligt, 
ein Zuschauer nur, verfolgt der Rezensent das philologische 
Bombardement, das zu demonstrativen Zwecken sich abzuspie- 
len scheint, da in der Nähe und Ferne kein Widersacher sich 
bietet. Doch die Autoren, ihren vorangestellten Goethe ab ¬ 
! wandelnd, finden vielleicht, daß es immer gut sei, sein Wissen 
! zu zeigen. 
Ueber dem Bedürfnis nach seiner Entfaltung haben sie 
jedenfalls die Einwände vergessen, denen zu erwidern gewesen 
wäre. Nicht gegen eine willkürliche Behandlung des hebräi 
schen Textes, wohl aber gegen das Unternehmen seiner kom 
mentarlosen wörtlichen Uebersetzung kehrt sich die Rezension. 
Hat der Rezensent bezweifelt, daß der allüber den Wassern 
brütende Braus Begriff für Begriff des Originals nachzubil- 
den suche? Sind die gehöhten Hochgaben oder der Walter du, 
über uns Malter, von ihm einer Mißachtung der hebräischen 
Worte verdächtigt worden? Er hat sie und die anderen Bei 
spiele als deutsche Sprachfügungen gewürdigt und in einem 
Teil von ihnen postume Sprößlinge der Bayreuther Dicht 
kunst erkannt. Daß sie in der von den Autoren beliebten Zu 
sammenstellung den archaischen Klimaten der bürgerlichen Neu- 
romantik entstammen, ist ein Geburtsmakel, den die wie immer 
penible Berufung auf ihren früheren Gebrauch gewiß nicht zu 
tilgen vermag. 
Um den historischen Bedeutungswandel der Worte zu er 
messen, wird man freilich auch ihre soziologische Be 
dingtheit Mit berücksichtigen müssen. Die Autoren lehnen der 
gleichen nicht ohne Verachtung ab. So geschieht es ihnen, 
daß sie die Alliterationen mit dem Anspruch auf aktuelle Ver 
bindlichkeit übernehmen; daß sie den Luther-Satz über dse 
„Schloß- und Hofwärter" zu ihren eigenen Gunsten auslegen, 
während in Wirklichkeit Luthers Vordringen zum „altvolkstüm 
lichen Wortgut" eine der ihren entgegengesetzte Wendung zum 
Profanen gewesen ist. Man erinnert sich der bekannten Stelle 
im „Sendbrief vom Dolmetschen": 
„Denn man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen 
Sprachen fragen, wie man soll deutsch reden, wie diese Esel thun; 
sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, 
den gemeinen Mann auf dem Markt drumb fragen und denselbigen 
auf das Maul sehen, wie sie reden und darnach dolmetschen. 
Es wäre gut, etwas von soziologischen Dingen zu wissen. 
Gegen wen also richten sich die Einwände der Rezension? 
Gegen die deutsche Sprachform der Uebersetzung und damit 
gegen ihre Absicht. Wenn die wörtlich getreue Einholung 
des Textes Sprachgewächse wie „Schlachtstatt" und „Weih 
buhle" reifen läßt, so ist die Absicht seiner wörtlich getreuen 
Einholung fragwürdig in dem von der Rezension aufgewiese 
nen Sinn. Diese „treue" Wiedergabe ist gar nicht treu, wer 
sie Worten und sprachlichen Konfigurationen, die nur noch 
Zeichen eines bestimmten Abschnitts unserer Vergangenheit 
sind, die ungebrochene Gewalt des Originals verleihen mochte. 
Der Rezensent stimmt mit den Autoren in der Meinung über- 
ein: Sprache müsse „ganz Gegenwart, ganz für das heute, 
ganz — gesprochen sein". Wer weder ist „ohne Maß" ein 
„heutiges Wort", noch sind etwa die Sinndeutungen de 
Namen (Jaakob^Ferfehalt) von restaurativen Bestrebungen 
frei. 
Den Autoren ist das Anachronistische ihrer Uebersetzung 
entgangen. Sie befinden sich offensichtlich in so glücklicher Un 
abhängigkeit von der Zeit, daß sie die besonderen Erfordernisse 
unserer gegenwärtigen „metaphysischen und soziologischen" 
Situation — die Adjektiva, mit Verlaub, sind von den Autoren 
geprägt — glauben übersetzen zu dürfen. Ihre Zeitent- 
hobenheit mag es auch verschulden, daß sie die ästhetische Wir- 
Lwg ihres UebersetzungsWerks nicht fassen können und 
seinem reaktionären Sinn gegenüber stch verschließen, den der 
Rezensent der Verdeutschung in voller Kenntnis der literari 
schen und sonstigen Tätigkeit ihrer Autoren zugesprochen hat. 
Es wäre gut, etwas von seiner Zeit zu wissen. 
Erwidert die Erwiderung auch nichts, so ist sie doch des 
Nutzens nicht bar. Unfreiwillig unterstützt sie den Rezensen- 
Len mit einer Zuvorkommenheit, deren er sich nimmer versehen 
hätte. Sie ist in der Skizze ein Kommentar, der, als Kommen 
tar, über die Gabe des Exorzisierens verfügt. Indem er das 
in und mit den Begriffen Gemeinte erläutert, treibt er die 
dünkelhaften Geister aus den von ihnen besessenen Worten aus. 
Die „wörtliche" Uebersetzung, die den Text darstellen möchte, 
verstellt die Aussicht auf ihn; die philologische Exegese, die für 
WeihLuhle besser schon „Hierodule" setzte, eröffnet den Zugang 
zu seinem Verständnis. Hat der Rezensent die Berechtigung 
eines Kommentarwerks geleugnet? Hat er nicht viel 
mehr umgekehrt den Schluß gezogen, daß neben der Lutherbibel 
heute einzig eine textkritische Ausgabe möglich sei, 
„die etwa den Kautzsch auf den Stand der modernen jüdischen 
Schriftforschung brächte"? Niemand wäre den Autoren für die 
Bescheidung bei der nüchternen wissenschaftlichen Arbeit dank 
barer gewesen als der Rezensent. Denn auch er findet, daß 
es gut sei, etwas zu wissen. 
Zum Schlüsse künden die Autoren mit erhobener Stimme, 
daß dem „Wort" eine jede Zeit feindlich gegenüberliege. Aber 
der von ihnen der Lästerung geziehene Rezensent hat nichts 
anderes behauptet. Er hat nur freilich außerdem erwogen, 
wie das Wort in unserer Zeit beschaffen sein müsse, um 
als Instrument der Wahrheit das Bestehende anzugreifen. 
Wird das jüngst verschollene Deutsch der Uebersetzung solche 
Kräfte^bewähren? Der Rezensent enthält sich der Antwort. 
Er möchte nicht in den Verdacht kommen, ein ägyptischer 
WahrschreiLer zu sein. —
	        
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